Gastbeitrag von Tobias Sticht, Director, Business Consulting, EY Consulting GmbH
EY Defense ist eine strategische Initiative von EY Deutschland im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Mit breiter Expertise unterstützen wir das Beschaffungswesen der Bundeswehr bereits seit vielen Jahren. Aus zahlreichen Projekten und tiefer Branchenkenntnis heraus haben wir eine Perspektive auf die Beschaffungsorganisation entwickelt und unterbreiten unabhängig Vorschläge zur Beschleunigung und Verbesserung der militärischen Beschaffung.
Die Bundeswehr soll bis 2029 verteidigungsfähig sein. In einer historischen Sitzung hat das letzte Parlament die finanziellen Rahmenbedingungen für die notwendige Ausstattung der Bundeswehr geschaffen. Eine zentrale Aufgabe für die neue Regierung, die Bundeswehr und das Parlament wird es sein, das Beschaffungssystem der Bundeswehr an diese Anforderungen anzupassen. Der Koalitionsvertrag thematisiert ausdrücklich die Notwendigkeit, die Beschaffung zu verbessern und zu beschleunigen. Hierzu bedarf es einer Transformationsagenda, die nicht nur auf einzelne Ansätze setzt, sondern einen systematischen Wandel verfolgt und gezielt die kritischen Punkte im Beschaffungssystem optimiert.
Zwar gelang es, das 100-Milliarden-Sondervermögen der letzten Legislatur vertraglich zu binden: Durch den politischen Willen ist das bestehende System über sich hinausgewachsen. Doch die strukturellen Hemmnisse bleiben: Bürokratische Komplexität, lange Entscheidungswege und eine kleinteilige parlamentarische Beteiligung hemmen eine zeitgerechte Ausrüstung der Streitkräfte.
Zeitenwende 2.0
Die sicherheitspolitische Lage Europas hat sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine grundlegend verändert. Mit dem Sondervermögen und der Grundgesetzänderung vom März 2025 wurde die finanzielle Grundlage für eine verteidigungsfähige Bundeswehr geschaffen. Gleichzeitig bestehen erhebliche Spannungen zwischen dem Bedarf an schneller Beschaffung und den bestehenden bürokratischen Hürden. Der Koalitionsvertrag fordert explizit eine Beschleunigung der Beschaffung, was eine umfassende Transformationsagenda notwendig macht.
Strukturelle Defizite in der militärischen Beschaffung
Trotz Fortschritten wie dem BwBBG und gestiegener Haushaltsmittel (von 17 Mrd. € in 2021 auf 29 Mrd. € in 2024) bleibt die Umsetzungsgeschwindigkeit hinter den Erwartungen zurück. Die Zahl der 25-Millionen-Euro-Vorlagen hat sich von 24 (2022) auf 97 (2024) vervielfacht. Dennoch gelten die Verfahren als zu komplex: Bis zu sechs Fachabteilungen im BMVg sowie externe Gremien sind beteiligt. Die Genehmigung eines Großprojekts kann bis zu zwölf Monate dauern. Der Bundesrechnungshof und der Bundeswehrverband kritisieren die Ineffizienz und fordern eine Vereinfachung.
Reformvorschläge zur Beschleunigung und Verbesserung der Beschaffung
- Anhebung der 25-Millionen-Euro-Vorlage
Die Schwelle von 25 Mio. € stammt aus dem Jahr 1981 und wurde nie inflationsbereinigt. Eine Anpassung auf etwa 100 Mio. € würde nur 3 % der Verfahren entlasten. Daher wird eine deutlich höhere Grenze empfohlen, um kleinere und mittlere Beschaffungen zu beschleunigen und das Parlament auf strategisch relevante Entscheidungen zu fokussieren.
- Strategische Differenzierung
Nicht alle Beschaffungen erfordern dieselbe parlamentarische Kontrolle. Ausnahmen könnten gelten für:
- Mengenverbrauchsgüter (z. B. Munition)
- Ergänzungsbeschaffungen zu bereits genehmigten Systemen
- Wiederbeschaffung nach Abgabe (z. B. an die Ukraine)
- Einzelabrufe aus Rahmenverträgen
- Zivile oder Dual-Use-Produkte (z. B. IT, Medizintechnik)
Diese Differenzierung würde Routineprozesse beschleunigen, ohne die Kontrolle bei Großprojekten zu gefährden.
- Aufhebung der mehrfachen Kontrolle
Der Verteidigungshaushalt ist der einzige mit doppelter parlamentarischer Kontrolle: zunächst bei der Aufstellung des Haushalts und zusätzlich bei Überschreiten der 25-Mio.-Grenze. Andere Ressorts unterliegen dieser Doppelkontrolle nicht. Eine Abschaffung der zweiten Genehmigung zugunsten einer Informationspflicht würde Zeit und Ressourcen sparen.
- Weitere Reformbausteine der parlamentarischen Kontrolle
Vorgeschlagene Maßnahmen:
- Vorab-Ermächtigungen: Das BMVg könnte unter bestimmten Bedingungen eigenständig entscheiden.
- Spezialisierte Gremien: Kleine Ausschüsse könnten schneller agieren.
- Digitalisierung: Ein Rüstungsdashboard würde Transparenz und Effizienz erhöhen.
- Beschleunigungsfonds: Ein Sonderfonds würde Mittel ohne Einzelfreigabe ermöglichen.
- Höhere Vergabekompetenz für das BAAINBw: Innerhalb klarer Budgets könnte das Amt eigenständig agieren.
- Ständiger Verteidigungshaushaltsausschuss: Ein kleines Gremium könnte kurzfristig tagen.
- Verteidigungsfall-Vorbehalt: In Krisenfällen könnten Beschaffungen automatisch freigegeben werden.
- Automatisierte Berichtspflichten: Statt Einzelvorlagen gäbe es regelmäßige digitale Berichte.
- Einrichten und Genehmigung von Rüstungsprogrammen
Funktional zusammenhängende Projekte (z. B. Luftverteidigung) könnten zu Programmen gebündelt und mit einem Gesamtbudget genehmigt werden. Das BAAINBw hätte dann die Flexibilität, Mittel innerhalb des Programms umzuschichten. Dies würde Innovationen schneller berücksichtigen und ein flexibles Reagieren auf neue Bedarfe ermöglichen.
Ausblick
Die Bundeswehr steht unter erheblichem Reformdruck. Die vorgeschlagenen Maßnahmen bieten eine ausgewogene Balance zwischen parlamentarischer Kontrolle und operativer Handlungsfähigkeit. Nur durch entschlossenes Handeln kann das Ziel einer verteidigungsfähigen Bundeswehr bis 2029 erreicht werden.
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EY Defense hat einen ausführlichen Point of View (PoV) veröffentlicht. Wir wollen damit die Bemühungen um eine bessere und schnellere Beschaffung in Deutschland unterstützen. Der vollständige PoV kann durch Scannen des QR-Codes oder unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden.
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