Ab morgen findet in Koblenz die 13. Internationale Konferenz für Katastrophen- und Militärmedizin (DiMiMED) statt – eine Fachkonferenz mit Teilnehmenden aus 26 Ländern, auf der ein 22-jähriger Rettungssanitäter aus Deutschland sehr viel zu erzählen hätte. Doch Ruben Mawick ist seit letzter Woche wieder in der Ukraine – immer wieder zieht es ihn dorthin, wo seine Hilfe so dringend gebraucht wird. Zwischen Verwundetentransporten in Frontnähe und Vorträgen in Deutschland erzählt er auch auf Instagram von einem Krieg, der noch längst nicht bei allen angekommen ist.
Da ist dieses Foto; dieses Bild, das nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Zwei Hände zur Hilfe geöffnet – Blut verschmiert in blauen Einweghandschuhen. Hände, die keine Waffe tragen. Hände, die mit anpacken, wo es nicht genug Hände geben kann. Diese Hände gehören Ruben Mawick.
„Die Ukrainer kämpfen auch für uns. Es fühlt sich für mich falsch an, nicht Teil davon zu sein, nicht meinen Beitrag zu leisten für Europa“, antwortet Ruben auf die Frage, warum der 22-jährige Deutsche immer wieder in die Ukraine fährt. Aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und ausgebildeter Rettungssanitäter. Ruben diente sieben Monate als Wehrdienstleistender im Sanitätsdienst der Bundeswehr, um einen Eindruck vom Militär zu bekommen, bevor er selbst im Krieg helfen wollte.
Seine erste Fahrt in das von Russland attackierte Land war im Sommer 2023 in die Region des zerstörten Kachowka-Staudamms. Seither kommt Ruben immer wieder – mal für zehn Tage, mal für sechs oder acht Wochen. Das Land und die Menschen lassen ihn nicht mehr los. „Man tut eben etwas, um den Menschen vor Ort zu helfen“, schildert Ruben seine sehr unterschiedlichen Aufgaben in der Ukraine. Die Rettung von Menschen, aber auch Tieren, steht im Vordergrund.
Evakuierung von der Front
Zu Anfang waren es noch Evakuierungen von der Front, die Ruben mit der dritten Sturmbrigade im Bereich Bachmut fuhr. „Durch die Veränderung des Krieges ist das gar nicht mehr so möglich“, schildert er, „das Evakuierungssystem in Ukraine hat sich völlig verändert.“
Damals galt: „Hauptsache schnell von da wegbekommen. Im Rahmen von CASEVAC haben wir Patienten direkt von Kampffahrzeugen übernommen, vielleicht drei Kilometer von der Kampflinie entfernt. Dort haben wir dann ein perfektes Rendezvous gemacht: Arsch an Arsch gefahren, keine 30 Sekunden.“
Heute fährt Ruben Krankentransporte aus der Rolle 2 in weiter entfernte Krankenhäuser. Diese Patienten hatten bereits ihre ersten Not-OPs, haben keine Tourniquets mehr um. Sie sind auch beatmet und haben eine Thoraxdrainage ordentlich liegen, erklärt der deutsche Sanitäter.
„Dann geht es darum, alles zu überwachen: den Blutdruck zu kontrollieren, Pain Management für eine längere Fahrt von zwei bis drei Stunden“, schildert Ruben seine Einsätze. „Ich habe auch meist mehrere Patienten, bis zu fünf Leute transportiere ich. Das heißt: Einer auf einer Trage, vier sitzen.“ Dazu die Frage, welcher Patient in welches Krankenhaus muss. Wo ist der richtige Spezialist für die Verletzung. Das alles in meist ungeschützten Fahrzeugen – bis zu 20 Kilometern nahe der Front.
Der Krieg hat vieles verändert – auch die Verwundeten-Rettung
Gepanzerte Fahrzeuge gäbe es sowieso kaum noch. Doch selbst wenn es sie gäbe, würde man sie nicht für die Evakuierung von verwundeten Soldaten aus dem Frontbereich einsetzen – auch keine Soldaten riskieren.
„Deswegen wartet man dann inzwischen auf die normalen Rotationen“, erklärt Ruben. „Die Soldaten werden nach 48 oder 72 Stunden ausgewechselt. Die medizinischen Aufgaben, welche die Soldaten in den Schützengeräten übernehmen müssen, sind dadurch viel, viel intensiver geworden.“
Es gibt Berichte, nach denen Blutkonserven mit Drohnen in die Schützengräben geliefert, Verletzte im Notfall mit unbemannten Bodenfahrzeugen aus der Gefahrenzone geholt werden. Seitdem Drohnen in der Ukraine zur allgegenwärtigen Bedrohung geworden sind, lässt sich klassische Verwundeten-Evakuierung von der Front so nicht mehr durchführen.
Drei Basics für die Bundeswehr
Die Bundeswehr müsse für die eigene Rettung daher viel mehr aus der Ukraine lernen, ist Ruben überzeugt. Drei Basics nennt er: 1. Der Grabenkrieg ist zurück. 2. Drohnen sind ein fester Teil des Schlachtfelds. 3. Der beste Freund eines Soldaten ist heute nicht mehr das Sturmgewehr, sondern die Schrotflinte. So lassen sich – zeigt das Beispiel Ukraine – kleine FPV-Drohnen in letzter Sekunde und auf kurze Distanz noch abwehren.
Diese Basics kommen nicht aus der Theorie. „Ich bekomme kaum noch Patienten, die Schussverletzungen haben“, berichtet Ruben. „90 Prozent sind Schrapnellverletzungen und davon die meisten durch Drohnen.“ Die Soldaten würden zudem nicht mehr an der Kampflinie verletzt, sondern auf dem Weg von oder zur Front. Grund dafür sei die heute allgegenwärtige Gefahr durch FPV- und Bomberdrohnen.
Die quälende Pause vom Krieg
In Deutschland bekommt man von dieser Veränderung des Krieges, den Herausforderungen für die Soldaten nur wenig mit, bemerkte Ruben bei seinen Heimatbesuchen. Er hält daher Vorträge, berichtet von seinen Erlebnissen in der Ukraine. „Ich versuche, Soldaten beizubringen, wie sich Krieg anfühlt und wie dieser Krieg auch funktioniert; was Russland dort macht“, sagt Ruben.
Den Bundeswehr-Soldaten kann er Bilder zeigen, die für Social Media ungeeignet sind. Zu drastisch für die Instagram-Richtlinien, was für die Ukrainer Alltag ist. Das Publikum dort hat nur wenig Ahnung von dem, was Krieg bedeutet. „Es gibt einfach niemanden, der – ich mache da ganz große Anführungszeichen – influencer-mäßig diesen Krieg erklärt“, meint Ruben.
Ruben verstand das als Auftrag. Wann immer es ihm zwischen seinen Einsätzen möglich ist, erklärt er den Krieg im Internet. Er zeigt einen modernen Schützengraben, zeigt Jammer, die er auf Fahrzeugen mitführt und schildert von Begegnungen mit Ukrainerinnen und Ukrainern. In einem Video demonstriert er eindrucksvoll, warum Angriffe mit FPV-Drohnen für die Soldaten an der Front so gefährlich sind.
In den Sozialen Netzwerken beschreibt er auch seine ganz persönlichen Eindrücke und Gefühle. Wie es ist, nach Deutschland zurückzukehren, weil man muss, nicht weil man will. Das Gefühl, nicht genug geholfen zu haben, noch eine unerledigte Aufgabe hinter sich zu wissen. An all dem lässt er seine mittlerweile 33 Tausend Follower teilhaben.
Die Aufmerksamkeit, die Ruben durch Vorträge und Social Media generiert, hat auch ihr Gutes: Sie sorgt für Spenden und rettet somit weitere Leben. Über 80.000 Euro hat er bereits gesammelt, mit denen Krankenwagen und medizinische Ausrüstung für die Ukraine finanziert wurden. „Diese Fahrzeuge retten mehr Leben, als ich allein könnte“, freut sich Ruben.
Leidet im Krieg: physische und psychische Gesundheit
Wer nicht zum Kämpfen und Töten, sondern zum Helfen und Retten in einen Krieg fährt, hat vermutlich einen ganz anderen Blick über die Schattenseiten, das Elend. Ruben sieht es tagtäglich. „Man ist einfach in einer dauerhaften, extremen Situation. Man ist unter dauerhaft in Stress“, erklärt Ruben. Er selbst wurde schwer verletzt, als eine russische Rakete sein Fahrzeug durchschlug – zwei Freunde starben. Noch immer trägt er Splitter unter seiner Haut.
Das macht etwas mit einem. Das geht nicht spurlos an Ruben und all den anderen Soldaten und Helfern im Krieg vorbei. Ruben hat für sie ein offenes Ohr, teilt ihren Schmerz. In einem Instagram-Video liest er ihre Botschaften vor. ‚Letzte Nacht habe ich versucht, mich zu erhängen‘, lautet eine. ‚Ich kann die Schreie der Menschen, die ich mit meinem MG verletzt und getötet habe, noch Stunden lang hören‘, eine andere.
Ruben erzählt von Nachrichten, die Abschiedsbriefe waren. Er versteht, was in den Heimatländern der Freiwilligen um Ruben niemand versteht; niemand verstehen kann. Wenn er in den sozialen Netzwerken vom Krieg erzählt, dann malt er ihn nicht rosarot. Doch mit Videos oder Berichten von russischen Kriegsverbrechen zeigt er auch, warum Ruben und die anderen Freiwilligen ihr Leben in der Ukraine riskieren: Weil die Alternative – ein russischer Sieg – noch größeres Grauen bedeuten würde.
Rubens Hände
Das Bild der blutverschmierten Hände kommt wieder in den Sinn. Ruben wird die Erlebnisse, die er auch in diesem Moment wieder in der Ukraine macht, niemals vergessen können. Er wird sie nie abstreifen können, wie die blauen Einweghandschuhe, mit denen er sich im Rettungswagen um seine Patienten kümmert. Das weiß er.
Ruben Mawick ist ein Mann, der nicht nur zuschaut. Er ist kein Soldat, kein Politiker, sondern einer, der Verantwortung übernommen hat, weil eine innere Stimme ihn dazu aufforderte – erst als Rettungssanitäter und Flecktarn in Deutschland, dann freiwillig an einer der gefährlichsten Fronten der Welt. Seine Geschichten in den sozialen Netzwerken machen den Krieg greifbar, ohne ihn zu glorifizieren.
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