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GORCH FOCK – Die Phasen der Fertigstellung des Segelschulschiffs der Marine

Das Segelschulschiff der Deutschen Marine, die GORCH FOCK, lief am 30. September 2021 aus dem Marinestützpunkt Wilhelmshaven nach einer langen Reparaturphase zu ihrer ersten Fahrt unter der Regie der Marine aus, um über das Skagerrak zu ihrem Heimathafen in Kiel zurückzukehren. Für viele war es ein emotionaler Moment nach Jahren des Wartens und Bangens, ob die GORCH FOCK überhaupt wieder als Ausbildungsmittel der Marine zur Verfügung steht und als Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland die Weltmeere umsegelt. Dieser Beitrag beschäftigt sich nicht mit den Umständen, die die Instandsetzung der GORCH FOCK begleitet haben, sondern soll die Phasen der Fertigstellung und die Erfahrungen dieses besonderen Vorhabens beleuchten.

Das Segelschulschiff Gorch Fock führt die Windjammerparade zum Ende der Kieler Woche an in der Kieler Förde.
Foto: Bundeswehr/Marcel Kröncke

Phase 1 beginnt mit dem Insolvenzantrag des ehemaligen Auftragnehmers, der Elsflether Werft AG

Mit dem Insolvenzantrag der Elsflether Werft AG am 20. Februar 2019 gab es im Hinblick auf die Instandsetzung der GORCH FOCK eine eindeutige Zäsur. Die betroffenen Unterauftragnehmer bangten um ihr Geld, der öffentliche Auftraggeber (öAG) musste sich entscheiden, wie es mit dem Vorhaben weitergehen soll. Die Marine sorgte sich um ihre Ausbildungsplattform und der Bundesrepublik Deutschland drohte ein Aushängeschild abhanden zu kommen.

Aufgrund der Entwicklungen im Instandsetzungsvorhaben GORCH FOCK mit überproportionalen Leistungs- und damit verbundenen Kostensteigerungen, Terminverzügen und weiteren „Unregelmäßigkeiten“, in deren Folge das Vorhaben mehrfach unterbrochen wurde, wurde durch die Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) am 27. Februar 2019 die Task Force Instandsetzungsvorhaben GORCH FOCK (TF IHV GOR) eingerichtet. Diese erhielt den klaren Auftrag, das Instandsetzungsvorhaben gesamtverantwortlich zu übernehmen und zu leiten.

Mitglieder der Task Force unter Leitung des Autors dieses Artikels waren Vertreter aus dem Vertrags- und Projektbereich der Abteilung See, dem Justitiariat sowie der zentralen Qualitätssicherung des BAAINBw und der Instandsetzungsbeauftragte des Marinearsenals. Mit der Einrichtung der TF IHV GOR ging die Gesamtverantwortung für das Instandsetzungsvorhaben auf den Leiter der Task Force über, d.h. alle Entscheidungen zur Fortführung des Vorhabens wurden fortan vom Leiter Task Force getroffen. Jegliche Berichterstattung in Richtung Leitung BAAINBw und Bundesministerium der Ver­ teidigung (BMVg) erfolgten durch oder über den Leiter der Task Force.

Obwohl die Marine nicht offizieller Teil der Task Force war, war sie doch ein elementarer Bestandteil bei der Fertigstellung der GORCH FOCK. Insbesondere hat das Bordkommando mit seiner Expertise und seinen Kenntnissen über das Schiff zum Erfolg beigetragen. Das Vorhaben hatte bis zur Insolvenz bereits Einschnitte er­ leben müssen, die in den meisten Fällen auf unvorhersehbare verdeckte Schäden, die die gesamte Substanz des Schiffes betrafen, zurückgeführt werden können. Damit einher gingen Kostensteigerungen und erhebliche Zeitverzüge. Betrachtet man die Insolvenz als Zäsur, ging es in einem ersten Schritt für die Task Force um die Erstellung einer kompletten Be­ standsaufnahme des Projekts. Dies klingt im ersten Moment trivial, da alle Leistungen, die vom öffentlichen Auftraggeber an die Industrie vergeben werden, eindeutig und transparent beschrieben sind. Da aber der Leistungsumfang in Folge der verdeckten Schäden immer wieder angepasst werden musste, war es aufwändig, zu einem festen Zeitpunkt zu ermitteln, welche Leistungen in welchem Umfang bereits erbracht wur­ den, welche Leistungen noch ausstanden und welche beauf­ tragten Leistungen nicht mehr erforderlich waren. Weiterhin war zu ermitteln, für welche Leistungen bereits wie viel bezahlt worden war.

Schnell wurde klar, dass es sich bei der Reparatur der GORCH FOCK nicht mehr um die Abwicklung eines „einfachen“, klassi­schen Instandsetzungsauftrags handelte, sondern um die Be­ wältigung eines Gesamtprojektes, nämlich die „Fertigstellung der GORCH FOCK als Segelschulschiff der Marine“, ging. Aus diesem Grund wurden durch die Task Force von Beginn der Arbeit die aus Rüstungsprojekten bekannten Standards und Ansätze zur Abwicklung eines komplexen Projektes ein­ geführt und angewendet. Zu nennen sind hier u.a. das Aufsetzen eines Forderungscontrollings, die Erstellung von Ma­nagementplänen wie Projektplan, Qualitätssicherungsplan usw. inklusive des Aufbaus eines Risikomanagements. Absicht der Task Force war es daher nicht, das Instandhaltungsvor­haben in der vorliegenden Form fortzuführen, sondern durch die Verhandlung eines fest umrissenen Änderungsvertrages mit dem Kernauftrag „Fertigstellung der GORCH FOCK“ ein stabiles vertragliches Fundament zu schaffen, an deren Ende der Marine die GORCH FOCK wieder als Ausbildungsplattform zur Verfügung gestellt werden konnte.

Allerdings war zu Beginn noch nicht klar, ob dieses Ziel auf­grund der Insolvenz und der unklaren Rahmenbedingungen überhaupt noch erreichbar sein würde. Daher wurde in einem ersten Zwischenschritt vereinbart, die Schwimm­ und Trans­portfähigkeit der GORCH FOCK herzustellen und die Qualität des Kaskos zu überprüfen. Festgelegt wurde zudem, dass eine Fortführung des Vorhabens nur bei einer Nutzungsdauer der GORCH FOCK von mindestens 25 Jahren sinnvoll wäre. Der erste entscheidende Schritt hin zur Fortführung des Instandsetzungsvorhabens wurde am 21. Juni 2019 erreicht, als der Kasko der GORCH FOCK nach 1.248 Kalendertagen wieder zu Wasser gelassen wurde und die mit den schiffbaulichen Arbeiten beauftragte Werft verlassen konnte. Nach intensiver Begutachtung der bis dahin durchgeführ­ ten schiffbaulichen Reparaturarbeiten entschied die Vertei­digungsministerin am 24. Juni 2019, das Instandsetzungs­vorhaben unter der Maßgabe der strikten Einhaltung der Kostenobergrenze fortzusetzen.

Die Galionsfigur der GORCH FOCK zeigt einen stilisierten Albatros.
Foto: Bundeswehr/Marcel Kröncke

Phase 2: die Suche nach einem Vertragspartner

Aufgrund des Umfangs der noch ausstehenden Arbeiten war eine Fortführung des Vorhabens unter den Restriktionen des laufenden Insolvenzverfahrens nicht darstellbar, so dass nach einem solventen Auftragnehmer, der willens und bereit war, die Fertigstellung der GORCH FOCK zu übernehmen, gesucht wurde. Die Friedrich Lürssen Werft (heute Naval Vessels Lürs­sen, NVL Group) setzte sich mit der Übernahme der Elsflether Werft AG gegenüber den Mitinteressenten durch und über­nahm mit Wirkung vom 1. November 2019 die Verantwortung zur Fertigstellung der GORCH FOCK. Damit war der wesentliche Grundstein für die Fertigstel­lung der GORCH FOCK gelegt. Im nächsten Schritt galt es, die Wissensträger und wesentlichen Unterlieferanten wieder mit ins Boot zu holen, was den neuen Auftragnehmer mehr Mühe und Arbeit kostete, als anfangs angenommen. Von Woche zu Woche konnten in zähen Verhandlungen jedoch mit den alten Unterauftragnehmern die Bausteine für eine stabile Vertrags­abwicklung zusammengestellt werden und die Fertigstellung der GORCH FOCK konnte langsam aber sicher Fahrt aufnehmen.

Phase 3

Ein weiterer wichtiger Schritt war die Verhandlung des bereits erwähnten Änderungsvertrages über die Fertigstellung der GORCH FOCK mit einem klar umrissenen Leistungsumfang, der schließlich am 3. Mai 2020 unterzeichnet wurde. Mit diesem Vertrag verpflichtete sich der neue Auftragnehmer zur Fertigstellung der GORCH FOCK im Rahmen der festgelegten Kostenobergrenze. Dies war insofern wesentlich, da mit dieser Vereinbarung weitere Kostensteigerungen ausgeschlossen waren und die Fertigstellung garantiert wurde.

Phase 4: Fertigstellung

Nachdem alle Unterauftragnehmer wieder unter Vertrag ge­nommen waren, ging die Fertigstellung der GORCH FOCK mit großen Schritten voran. Die Höhere Gewalt in Form der Corona­-Pandemie verlangsamte das Projekt dann erneut vehement. Der Ausfall von Personal bei vielen Unterauftragnehmern und auf der Werft wirkte sich spürbar auf den Projektfortschritt aus. Hinzu kamen, ebenfalls als Folge der Pandemie, Lieferketten­probleme in allen Bereichen. Damit konnte der für den 31. Mai 2021 geplante Ablieferungstermin nicht gehalten werden und wurde auf den 30. September 2021 verschoben. Als wesentliche Meilensteine hin zur Fertigstellung der GORCH FOCK seien genannt:

21.06.2019 Aufschwimmen des Kaskos GORCH FOCK

01.11.2019 Übernahme des Instandhaltungsvorhabens durch die Friedrich Lürssen Werft

11.11.2019 Dockung GORCH FOCK beim Betriebsteil Berne der Friedrich Lürssen Werft (FLW)

Juni 2020 Stellen der neuen Masten und Aufsetzen Deckshaus

Dezember 2020 Montage Teakdecksbelag auf den Stahldecks

09.12.2020 Anbringen der Gallionsfigur Albatros

10.03.2021 GORCH FOCK wird in Berne zu Wasser gelassen und zur Endausrüstung zur FLW nach Lemwerder geschleppt

März 2021 Setzen der Rahen und Endausrüstung Takelage

01.09.2021 Verlegen in den Marinestützpunkt nach Wilhelmshaven

21.-22.09.2021 Werftprobefahrt in der Deutschen Bucht

30.09.2021 Abnahme GORCH FOCK durch den öAG und Übergabe an die Deutsche Marine mit anschließender Verlegefahrt vom Marinestützpunkt Wilhelmshaven um Skagen in den Heimathafen Marinestützpunkt Kiel

Eine der zahlreichen Herausforderungen für den neuen Auf­tragnehmer war, neben der Integration der ausgebauten Alt­anlagen sowie Neuanlagen, die gleichzeitige Umsetzung von zahlreichen Änderungen an der GORCH FOCK. Hierzu zählen insbesondere die Erneuerung der Riggkonstruktion sowie die Integration einer neuen Klima­ und Lüftungsanlage, um die SOLAS­Richtlinien (International Convention for the Safety of Life at Sea) einzuhalten. Dabei zahlte es sich aus, dass in der frühen Phase des Instandhaltungsvorhabens ein 3D­Modell der GORCH FOCK erstellt wurde, mit dessen Hilfe die gesamten In­tegrationsarbeiten vorbereitet und überprüft werden konnten.

Das Segelschulschiff der Deutschen Marine, die GORCH FOCK, läuft im Kieler Heimathafen ein.
Foto: Bundeswehr/Schönbrodt

Zur Konstruktion des Riggs der GORCH FOCK

Die originalen, aus den 50er Jahren stammenden, Masten und Spieren der Bark zeigten bei den im Rahmen der Instandset­zung durchgeführten Prüfungen signifikante Auffälligkeiten, so dass diese aus Sicherheitsgründen und mit Blick auf die geplante weitere Nutzungsdauer von mindestens 25 Jahren nicht mehr weiter verwendet werden durften und daher neu erstellt, d.h. rekonstruiert werden mussten.

Die Konstruktion und Ausführung des Riggs sowie der Take­ lage erfolgte durch das Ingenieurbüro der Fa. Marigraph, das über langjährige Erfahrungen im Bereich von Großseglern nach den komplexen geltenden Vorschriften, Standards und Richt­linien verfügt.

Als Basis für die Neukonstruktion diente die alte Konstruk­tion sowie das vorhandene Segelstell, allerdings kamen neue, moderne Werkstoffe zur Anwendung. Das langjährige Wissen und die Erfahrung des Bordkommandos waren hierbei von un­schätzbarem Wert. Für nichtsegelaffine Leser: Als Segelstell bezeichnet man einen kompletten Satz von Segeln, das von einer Firma in einem Jahr hergestellt wurde. Von daher werden die Segelstelle in aller Regel nach ihrem Herstellungsjahr be­nannt, z.B. „Segelstell 2003“.

Der Bau des Riggs wurde sowohl durch Qualitätssicherung der Werft, als auch durch die zuständige Prüforganisation des öffentlichen Auftraggebers und der zuständigen Klassi­fikationsgesellschaft eng begleitet. Die einzelnen Prüfschritte folgten dabei einer strengen, festgelegten Prüfsystematik.

Zentraler Bestandteil für die Sicherheit der Besatzung beim Arbeiten in der Takelage ist die Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA). Unter anderem wurden daher in einer separaten Baumusterprüfung an einem eigens für diesen Zweck erstellten Mastalle Bauteile für die PSAgA­-Anschlagpunkte unter Aufsicht eines Sachverständigen gemäß DGUV Regel (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) geprüft.

Die Schäden an der Stahlstruktur der Decks unter dem ge­ samten Holzbelag der GORCH FOCK waren so massiv, dass das vorhandene Teakholz vollständig entfernt werden musste. Da das Holz mit der Stahlstruktur mit verdeckten Bolzen ver­schraubt und Holz und Stahlrost eine nicht lösbare Verbindung eingegangen sind, war es nicht möglich, das Teakholz zerstö­rungsfrei zu entfernen und gar wiederzuverwenden. Da es zu diesem Zeitpunkt keine Alternativen gab, die die robusten Anforderungen an ein Arbeitsdeck eines Segelschiffs erfüllten, wurde bei der Erneuerung des Teakdecks ein sogenannter „Sandwichaufbau“ ge­nutzt, durch den nur noch die Hälfte des Teakholzes erforderlich war.

Um künftig vollständig auf Teakholz ver­zichten zu können, wurden in Zusammen­arbeit mit dem in Hamburg ansässigen Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, dem Johann Heinrich von Thünen-­Institut, insgesamt vier Testflächen auf der GORCH FOCK mit möglichen alternativen Holzarten verlegt. Diese Flächen werden im Rahmen eines Langzeitversuchs durch das Thünen­ Institut wissenschaftlich begleitet und die Eigenschaften der verwendeten Hölzer im Hinblick auf die Eignung als Decksbelag für die besonderen und extremen Bedingungen auf einem Arbeitsdeck ermittelt.

Phase 5: Inbetriebnahmen und Abnahme

Neben dem eigentlichen Zusammenbau der GORCH FOCK war die Inbetriebnahme der alten und neuen Anlagen eine weitere Herausforderung. Trotz des hohen Zeitdrucks wurde aber auch diese Aufgabe durch das immense Engagement, das bei allen Beteiligten deutlich spürbar war, bewältigt.

Die Prüfungen und Nachweise folgten dabei einem strengen vertraglich vereinbarten Plan. In Abstimmung zwischen Werft und dem öffentlichen Auftraggeber wurden in insgesamt 268 Einzelprüfungen die von der Industrie zu erbringenden Leis­tungen abgeprüft.

Nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung konnte am 30.09.2022 die Abnahme der GORCH FOCK durch den Leiter der Task Force als Vertreter des öAG erklärt werden. Da auch von Seiten der Marine keine Hinderungsgründe gegen eine Übernahme der GORCH FOCK vorlagen, konnte im direkten Anschluss an die Abnahme von der Werft auch die Übergabe der GORCH FOCK an die Marine erfolgen.

Die zum Zeitpunkt der Abnahme noch zu erledigenden Restarbeiten, die die Abnahme und den sicheren Betrieb der GORCH FOCK allerdings nicht tangierten, wurden nach einem mit der Industrie und der Marine abgestimmten Zeitplan in den darauffolgenden Monaten systematisch abgearbeitet.

Fazit

Durch die Übernahme des Instandsetzungsauftrags durch die Friedrich Lürssen Werft und Dank des engagierten Einsatzes der Mitglieder der Task Force sowie der intensiven Unterstüt­zung durch das Bordkommando ist es gelungen, die GORCH FOCK der Marine wieder zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu übergeben. Zum Erfolg hat nach Ansicht des Verfassers die Anwendung der in Großprojekten üblichen Management­methoden maßgeblich beigetragen. Es wird zukünftig darauf ankommen, mehr und systematisch in den Erhalt der Platt­form zu investieren, da die jahrzehntelange intensive Nutzung der GORCH FOCK sich letztlich im Instandsetzungsumfang und den zu leistenden Arbeiten niedergeschlagen hat.

 

 

DirBAAINBw Norbert Blumenthal, Stellvertretender Abteilungsleiter
und Beauftragter Nutzung, Abteilung See,
Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr

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