Zwischen den grau-braunen Gebäuden der Bergischen Kaserne in Düsseldorf herrscht Stille. Wo einst Flak-Soldaten exerzierten und zuletzt das Ausbildungsmusikkorps Unterschlupf fand, wächst heute Unkraut; Schafe und Ziegen kötteln auf Denkmalschutz. Das Beispiel Bergische Kaserne zeigt: Während die Bundeswehr aufwachsen soll, verfallen genau die Liegenschaften, die sie für den Aufwuchs dringend bräuchte. Das Defence Network hat sich selbst ein Bild der leerstehenden Kaserne gemacht.
Die Sonne scheint noch warm über dem Kasernenhof. Grillen zirpen, Verkehrslärm legt sich dumpf auf den Hintergrund – irgendwo fällt etwas um. Es liegt eine idyllische, irgendwie auch gespenstische Ruhe über der Bergischen Kaserne in Düsseldorf.
Sträucher und kleine Bäume wachsen aus hochgedrückten Pflastersteinen, Fenster von Unterkunftsgebäuden sind blind vor Staub – oder geborsten. Unter dem Schleppdach liegt zentimeterhoher Tierkot. Schafe und Ziegen, die im Schatten der denkmalgeschützten Gebäude Kasernengras wiederkauen.
Hier, wo früher Soldaten ausgebildet wurden, herrschen heute Stillstand und Verfall. Eine ganze Bundeswehr-Liegenschaft, verriegelt und vergessen – mitten im Ballungsraum Rhein-Ruhr.
In einer Welt, die sicherheitspolitisch aus den Fugen gerät, ist dieser Ort – die Bergische Kaserne – ein Symbol für Deutschlands Zögern. Die Bundesregierung will die aktive Truppe der Bundeswehr von derzeit rund 180.000 auf mindestens 260.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößern. Allein für 2026 sind finanzielle Mittel für 30.000 zusätzliche Stellen eingeplant.
Dazu steht eine Rückkehr der Wehrpflicht im Raum, sollten der freiwillige Wehrdienst und das neue Rekrutierungskonzept nach schwedischem Vorbild nicht fruchten. Gerade Rekruten benötigen für ihren Dienst an der Waffe aber nicht nur Sold, persönliche Ausrüstung und Verpflegung, sondern eben auch Unterkunft.
Bundeswehr soll wachsen – aber wo?
Seit der russischen Vollinvasion auf die Ukraine herrscht in Berlin die Zeitenwende. Mehr Personal, mehr Gerät, mehr Präsenz. Truppe soll wieder wehrhaft werden. Die politischen Weichen für einen Aufwuchs sind gestellt, auch Material aus dem Sondervermögen läuft der Truppe mittlerweile zu.
Doch eines hat man lange verdrängt: Raum. Jahrzehntelang schrumpfte die Bundeswehr. Hunderte Kasernen wurden geschlossen, verkauft und umgewidmet. Ganze Garnisonen verschwanden aus der Fläche.
Jüngst nannte Verteidigungsminister Boris Pistorius in Zusammenhang mit aufgegebenen Liegenschaften der Bundeswehr die Zahl 500. Dass dieser Schwund nicht mit den selbst gesteckten Zielen beim Aufwuchs zusammengeht, weiß der Minister selbst.
Neue Kasernen zu bauen, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen und sämtliche Auflagen erfüllen, dauert Jahre – wer heute eine neue Kaserne plant, wird sie frühestens in einem Jahrzehnt beziehen. Wenn die Wehrpflicht tatsächlich zurückkehrt, wird dieses Problem noch größer. Selbst bei einer Teil-Einberufung von Jahrgängen wären Hunderte zusätzliche Gebäude nötig.
Es fehlt an Grundlegendem: Unterkünfte, aber auch Truppenküchen, Sporthallen und Waffenkammern. In Düsseldorf gäbe es das – nur eben nicht im schlüsselfertigen Neuzustand.
Kasernen-Reaktivierung als Chance
Die Reaktivierung von Liegenschaften – wie die Bergische Kaserne in Düsseldorf – könnte hier kurzfristig Abhilfe schaffen. Viele der alten Standorte sind baulich intakt. Strom, Wasser, Heizung – manchmal ist sogar das vorhanden. An manchen Orten müsste man nur einmal feucht durchwischen, dann könnte morgen wieder eine Kompanie einziehen. So zumindest die Überlegung.
Der Rundgang durch die Bergische Kaserne zeigt: Potenzial ist vorhanden; manches ist allerdings baufällig. In der Truppenküche kam ein Stück Decke herunter, die historische Wandbemalung ist verschimmelt. Auch andere Gebäude müssten kernsaniert werden.
Manche Gebäude sind jedoch in gutem Zustand – frische Farbe und kleinere Reparaturen versprechen zwar keinen Luxus, sind hier für eine militärische Nutzung allerdings mehr als ausreichend. Wenn man denn Willen aufbrächte, wäre eine Nutzung zeitnah umsetzbar.
Verwaltet wird die Bergische Kaserne – wie die meisten ehemaligen Bundeswehr-Standorte – von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Zu deren Aufgabenbereich gehört allerdings keine aktive Nutzung, sondern vielmehr die Verwahrung und Vermittlung, bis eine neue Nutzung der Liegenschaft in Angriff genommen wird.
Dazu gehört beispielsweise die Kooperation mit einem, damit dem wuchernden Grün wenigstens ein wenig Einhalt geboten wird. Größere Reparaturen an den Gebäuden werden von der BImA nicht durchgeführt. Der Verfall schreitet ungehindert voran. So liegen Dutzende Kasernen in einer Art Dornröschenschlaf.
Bergische Kaserne Düsseldorf – ein Standort mit Potenzial
Die Bergische Kaserne im Nordosten Düsseldorfs ist also nur ein Beispiel von vielen. Gebaut wurde sie 1936 im heutigen Düsseldorfer Stadtteil Knittkuhl. Im Zweiten Weltkrieg diente sie Soldaten der Flugabwehr als Unterkunft, später zogen britische Soldaten ein, seit 1960 auch die Bundeswehr.
Doch bereits seit den frühen 2000er-Jahren wurde die Kaserne kaum noch genutzt, bis die 33 Gebäude nach dem Rückzug des Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr 2018/19 nach Hilden vollkommen leer standen.
Dabei ist der Ort ideal gelegen: am Stadtrand zur Metropole Düsseldorf, Autobahnanbindung, Nähe zum Flughafen, gute Infrastruktur. Mit ihren Unterkünften, einer vergleichsweise neuen Sporthalle und den Gerätehallen könnte die Bergische Kaserne viele Rekruten aufnehmen – oder andere sich im Aufwuchs befindliche Kräfte beherbergen.
Auch sicherheitspolitisch wäre die Reaktivierung sinnvoll: Düsseldorf liegt mitten im Rhein-Ruhr-Gebiet, einem der dichtesten Ballungsräume Europas. Ein militärischer Stützpunkt in dieser Region würde logistische Vorteile bringen und die Präsenz der Truppe in NRW stärken. Außerdem sieht die Bundeswehr hier ein besonders hohes Potenzial für neues Personal.
Ohne Entscheidung läuft das Planungsverfahren weiter
In der Stadt selbst ist das Thema bekannt, es spielte auch im zurückliegenden Kommunalwahlkampf eine Rolle. In einem mehrstufigen Bürgerbeteiligungsverfahren wird seit Längerem die mögliche Weiternutzung des Areals diskutiert.
Eine Projektseite im Internet zeigt Luftbilder und Beschreibungen des Geländes, listet Gebäude auf und lädt zum Träumen über die weitere Nutzung der Bergischen Kaserne ein. Derzeit läuft ein städtebaulicher Wettbewerb, bei dem zuletzt Mitte Juni ein öffentliches Kolloquium stattfand. Interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten sich über die eingereichten Vorschläge informieren. Im Raum stehen unterschiedliche Konzepte der Wohnbebauung.
All das, während man aus Berlin von einem Stopp des Liegenschaftsausverkaufs hörte. Ehemalige Kasernen, die noch im Besitz des Bundes – also der BIMA – sind, sollten nach Maßgabe des Ministers nicht veräußert werden, eine erneute Prüfung der militärischen Nutzung habe Priorität.
Eine mögliche Wiedernutzung durch die Bundeswehr sorgte allerdings bei der SPD im Düsseldorfer Wahlkampf für Aufregung. Eine „Katastrophe“ nannte es der damalige OB-Kandidat der Sozialdemokraten. In Düsseldorf hatte man sich schon auf 2.000 von insgesamt 8.000 dringend benötigten Wohnungen im Stadtgebiet gefreut.
Die Entscheidung ist überreif
Doch solange in Berlin keine Entscheidung getroffen wird, planen die Kommunalpolitiker in Düsseldorf weiter. Das dortige Planungsbüro beabsichtigt für Anfang Dezember einen zweiten Termin des Preisgerichts, für die Bürgerinnen und Bürger öffentlich. So dringend kann es mit den benötigten Kasernen für neue Rekruten ja nicht sein, wenn Zeit und Geld für derlei Termine ausgegeben wird, obwohl selbst Beteiligte auf einen Brief aus dem Ministerium warten.
Hinter den Kulissen hört man: Die Bergische Kaserne steht auf der Liste, es fehle nur der politische Auftrag. Ein möglicher Kandidat wäre der Unterstützungsbereich. Dort weiß man um die strategische Bedeutung der Bergischen Kaserne, schließlich war die SKB letzte Nutzerin. Im Unterstützungskommando in Bonn wird die Liegenschaft als Option für eine zukünftige Wiedernutzung gesehen.
Währenddessen vergeht Zeit. Zeit, in der sich Bedrohungslage verschlechtert und Partnerländer aufrüsten. Deutschland dagegen diskutiert – über Zuständigkeiten, über Zustimmungsverfahren. Und so bleibt in Düsseldorf und andernorts eine Bundeswehr-Infrastruktur ungenutzt, die man in wenigen Monaten wiederbeleben könnte.
Symbol eines größeren Problems
Dutzende ehemalige Bundeswehr-Standorte stehen leer. Sie verfallen langsam, aber sie verfallen. Nicht jede dieser Liegenschaften mag nutzbar sein, doch sie alle erzählen die gleiche Geschichte: Deutschland hat die Gebäude, aber nicht die Entscheidungskraft, sie zu nutzen.
Zu den Standorten, deren mögliche Wiedernutzung in jüngster Zeit diskutiert wurde, gehören beispielsweise die Rantzau-Kaserne in Boostedt/Schleswig-Holstein, die ehemals britische Dempsey-Kaserne bei Paderborn und die ehemalige US-Liegenschaft Patrick-Henry-Village in Heidelberg. In allen Fällen heißt es: „Man prüfe“. Aber wie lange schon und wie lange noch? Die Zeit drängt, denn bald sollen die neuen Soldaten kommen.
Die Reaktivierung von Kasernen wäre keine symbolische Geste, sondern eine strategische Notwendigkeit. Denn ohne Unterkünfte und Ausbildungseinrichtungen bleibt jeder Aufwuchs ein Papierversprechen.
Bergische Kaserne – Ein Ort, der wartet
Zurück auf dem Hof der Bergischen Kaserne. Noch sind die 2.000 Wohnungen für Düsseldorf nicht gebaut, noch finden sich taktische Zeichen auf Hallentoren, ein verblasstes Schild verweist auf das Mannschaftsheim und unten im „Kommandeursturm“ erzählt goldene Farbe von Fahnen und Standarten ehemaliger Truppenteile. Vieles in der Bergischen Kaserne sagt: „Ich bin noch hier, ich warte.“
Im Zeitalter der „Zeitenwende“ bedeutet Verteidigungsfähigkeit nicht nur Wehrpflicht und Beschaffungsvorhaben, sondern Beton und Backstein, Dämmwolle und Dachziegel – mit Fundamenten, die längst vorhanden sind.
Während die Planung für eine zivile Folgenutzung weitergeht, bleibt die Bergische Kaserne ein stilles Mahnmal für verschwendete Zeit. Drinnen läuft das Echo eines stillen Gedankens durch die verwaisten Flure: ‚Eigentlich müsste man nur wieder aufschließen.‘
Weitere Bilder aus der leerstehenden Bergischen Kaserne
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