Glaubhafte Abschreckung ist der Auftrag eigener militärischer Kräfte, Abschreckung gegenüber einem Gegner, der von außen die eigene nationale und territoriale Souveränität unseres Landes und des Bündnisses bedroht. Dies ist vornehmlich die Aufgabe von Landstreitkräften. Sie müssen in der Lage sein, den Feind glaubhaft abzuschrecken und im Ernstfall Gelände auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes zu verteidigen. Zur Durchführung dieses Auftrages bedarf es eines ausgewogenen Kräftemixes von durchsetzungsstarken mechanisierten Kräften sowie flexiblen und hochmobilen Kräften, die schnell verlegbar sind und in kürzester Zeit für ihre Aufgabe kampfkräftig an der Bündnisgrenze verfügbar sind. Aktuell gibt es hier bei den Fähigkeiten des Heeres noch eine operative Lücke. Mit unterschiedlichen Maßnahmen wurden die dringend erforderlichen Veränderungen aber bereits eingeleitet.
Bereits 2014, mit der Invasion der Russischen Föderation auf die Krim und dem darauffolgenden NATO-Gipfeltreffen in Wales und Warschau, wurde eine Entwicklung innerhalb der NATO angestoßen, um diese Lücke zu schließen. Auch das Heer beschäftigte sich mit der Frage, wie ein richtiger Kräftemix gestaltet sein muss, damit die gesamte Bandbreite der Aufträge bestmöglich erfüllt werden kann. Diese Überlegungen fanden Ausdruck in den Planungen der Division 2027 und nach dem Angriff auf die Ukraine im Rahmen der Division 2025 sowie der Gestellung einer aufwuchsfähigen Brigade zur Verstärkung der Kräfte von Enhanced Forward Presence in Litauen. Übergeordneter Gedanke dieser Planungen, der das Heer sowohl für die Durchführung von Einsätzen des Internationalen Krisenmanagements befähigen als auch die Einsatzbereitschaft der Großverbände bei der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) gewährleisten soll, ist ein ausgewogener Kräftemix. Dieser soll zukünftig durch die Aufstellung von drei Kräftekategorien, den Leichten Kräften, den neuen Mittleren Kräften und den Schweren Kräften, erreicht werden.
Jede dieser Kräftekategorien hat dabei Vorteile – aber auch Nachteile. Feuerkraft und Beweglichkeit im Gelände ist bei den Schweren Kräften sehr hoch, für strategische Verlegungen benötigen sie allerdings erhebliche Transportkapazitäten und Bewegungen und erfordern eine umfassende Planung von Kräften, Zeit und Mitteln. Aufgrund ihrer Panzerung verfügen sie über ein sehr gutes Schutzniveau. Mittlere Kräfte (die ausschließlich radgebunden sein werden) haben demgegenüber nur eine moderate Geländegängigkeit. Bewegungen sind überwiegend an das Straßen- und Wegenetz anzulehnen. Allerdings sind sie im Gegensatz zu Schweren Kräften eigenbeweglich und eignen sich insbesondere für längere Verlegungen – zum Beispiel beim Kfz-Marsch in ein zukünftiges Einsatzgebiet. Sie verfügen im Vergleich zu den Schweren Kräften über eine reduzierte Durchsetzungsfähigkeit. Mit Blick auf den Auftrag und das zu erwartende Gelände verfügen die geplanten neuen Waffensysteme über eine angemessene Feuerkraft und ein gutes Schutzniveau.
Bei den Planungen der Kräftekategorien der Zukunft kam es vor allem auch darauf an, nicht dieselben Fehler zu machen, wie bei der Bundeswehr-Reform von 2011. Damals wurde eine Fokussierung auf die Aufgabe Internationales Konfliktmanagement vorgenommen und diese Aufgabe nahezu isoliert gesehen. Die Reorientierung zur Landes- und Bündnisverteidigung im Zuge der Planungen für das Heer der Zukunft vermeidet diesen Fehler und verfügt mit den zukünftigen Mittleren Kräften über Fähigkeiten, die zwar zunächst für Aufgaben der LV/BV vorgesehen sind, aber auch für neue Missionen des Internationalen Krisenmanagements (IKM) genutzt werden können. Gleichzeitig werden auf Brigade- und Divisionsebene die notwendigen Brigade- und Divisionstruppen wieder aufgestellt, die für eine erfolgreiche durchsetzungs- und durchhaltefähige Operationsführung bei LV/BV nötig sind.
Hiermit lassen sich drei Rationale für die Aufstellung Mittlerer Kräfte ableiten:
- Mittlere Kräfte stellen aufgrund ihrer Zusammenstellung und Ausrüstung das natürliche Bindeglied zwischen den Aufgaben IKM und der LV/BV dar.
- Mittlere Kräfte lösen die operative Herausforderung der Vorausverlegung von Kräften, z.B. als Verstärkungskräfte an die NATO-Flanke. Da Mittlere Kräfte radgebunden operieren, sind sie schneller und flexibler verlegbar und stehen in kürzerer Zeit für operative Aufgaben im Operationsgebiet zur Verfügung. Die Möglichkeit der zeitgerechten Verlegung spielt hier eine besondere Rolle – sie können als quasi „operativer Türkeil“ dienen, um militärische Handlungsoptionen vorzubereiten und können dazu in kürzester Zeit in alle Ecken des Bündnisgebietes autark verlegt werden. Mittlere Kräfte erzeugen in derartigen Szenarien schnell Gefechtswert sowohl in der Verteidigung als auch in der Verzögerung, sie eignen sich allerdings, aufgrund ihrer beschränkten Durchsetzungsfähigkeit nur bedingt für offensive Operationen.
- Ein drittes Rational ergibt sich aus der Tatsache, dass Mittlere Kräfte neu aufgestellt werden. Sie bieten damit eine besondere Möglichkeit für das Deutsche Heer, Innovationen voranzutreiben. Schwerpunkt ist dabei die Kette „Sensor to Shooter“ mit der Fragestellung wie man diese Kette besser und effizienter und damit wirksamer macht. Auch das Thema neue Wirkmittel, wie Einsatz und Umgang mit „Loitering Ammunition“ oder ähnliche Fragestellungen können im Zusammenhang mit der Aufstellung der Kräfte untersucht werden.
Wie bereits mehrfach erwähnt, müssen alle Fähigkeiten der Mittleren Kräfte radgebunden sein. Was bedeutet das im Einzelnen? Hochmobil auf eigener Achse unterwegs zu sein und dennoch, auch im hochintensiven Gefecht, durchsetzungsstark operieren zu können, das ist das Hauptkriterium Mittlerer Kräfte. So sind sie in der Lage, bestimmte Einsatzräume zum Verstärken von Kräften schneller und eigenständiger zu erreichen. Bessere Möglichkeiten der Schwerpunktbildung im Gefecht und die deutliche Erhöhung der operationellen Flexibilität verschaffen dem militärischen Führer Handlungsoptionen, die er mit schweren kettengestützten Kräften nicht haben würde.
Um diese Fähigkeiten auch kurzfristig optisch deutlicher zu machen, werden aktuell schrittweise Verbände im Heer umgegliedert und teilweise in neue Unterstellungsverhältnisse geführt. So ist bereits Ende März 2023 in der 10. Panzerdivision die erste Veränderung umgesetzt worden, indem die 13. Leichtmobile Brigade der Niederlande der Division unterstellt wurde. Sie wird zukünftig mit Brigade 37 und Brigade 12 über zwei schwere Brigaden und mit der Deutsch-Französischen Brigade und der 13. Niederländischen Brigade über zwei Mittlere Brigaden verfügen. Die 1. Panzerdivision wird zukünftig mit der 43. Niederländischen Brigade und der Panzerlehrbrigade 9 ebenfalls über zwei Schwere Brigaden und mit den Brigaden 21 und 41 über zwei Mittlere Brigaden verfügen. Im Einzelnen werden die Schweren Kampftruppenbataillone auf die zukünftigen Schweren Brigaden, sprich die Panzerbrigade 12, die Panzerlehrbrigade 9 sowie die Panzergrenadierbrigade 37, aufgeteilt. Zugleich werden die Jägerkräfte der 1. Panzerdivision in der Panzerbrigade 21 zum Kern einer ersten künftigen Mittleren Brigade zusammengefasst und die 10. Panzerdivision von ihren Leichten Kräften entlastet. Die Gebirgsjägerbrigade 23 der 10. Panzerdivision ist seit dem 1. April 2023 der Division Schnelle Kräfte unterstellt, das Panzerbataillon 363 der Panzergrenadierbrigade 37 wechselte in die Panzerbrigade 12. Die Panzergrenadierbrigade 37 erhielt hingegen das Augustdorfer Panzergrenadierbataillon 212 der Panzerbrigade 21. Die Panzerbrigade 21 erhielt das Jägerbataillon 91 von der Panzerlehrbrigade 9 sowie das Jägerbataillon 413 der Panzergrenadierbrigade 41.
Insgesamt werden gleichsam, als Startpunkt für die Mittleren Kräfte, alle Kräfte der Jägertruppe in Brigade 21 zusammengezogen und stehen damit in der Perspektive für eine aufwuchsfähige Brigade in Litauen zur Verfügung.
Damit wird deutlich, dass es nicht vorgesehen ist, eine Division Mittlere Kräfte aufzubauen, sondern dass zukünftig eine geeignete Mischung von Mittleren und Schweren Kräften in beiden Divisionen vorhanden sein wird. Über allem steht dabei das Ziel des Heeres, zukünftig über insgesamt drei kaltstartfähige Divisionen zu verfügen. Diese sollen dann aus zwei Leichten, drei Mittleren und drei Schweren Kampftruppenbrigaden bestehen. Allerdings wird es, um dieses Ziel zu erreichen, in der Folge weitere strukturelle Maßnahmen im Heer geben müssen.
(l.) Die BOXER basierte RCT 30 Variante ist ebenfalls ein denkbares System für die Mittleren Kräfte.
(r.) Ein Infanterist geht während einer Übung der Jägerkompanie hinter einem Gepanzerten Gefechtsfahrzeug BOXER in Deckung. Künftig gehört die Jägertruppe zur Kräftekategorie der Mittleren Kräfte.
(l.) Foto: KMW
(r.) Foto: Bundeswehr/Oliver Pieper
Material und Ausstattung Mittlerer Kräfte
Daneben müssen die Verbände mit dem richtigen, der zukünftigen Aufgabe angepasstem, Material ausgestattet und insbesondere mit verschiedenen Radfahrzeugen ergänzt werden. Entsprechende Entscheidungen zur Materialab- und -übergabe sind getroffen und müssen jetzt umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen die notwendigen und geplanten Beschaffungsentscheidungen Umsetzung erfahren, um einen möglichst schnellen Zulauf neuen Materials sicherzustellen. Insbesondere ist vorgesehen, den Mittleren Kräften die notwendige radgestützte Feuerkraft zu geben, indem (vorhandene oder neu zu beschaffende) Radfahrzeuge mit schweren Waffentürmen und Haubitzen ausgestattet werden. Insofern wird es in den Brigaden der Mittleren Kräfte zukünftig Radschützenpanzer, Radhaubitzen und radbasierte Mörsersysteme geben. Daneben werden Transportpanzer, radbewegliche Pionierfähigkeiten sowie weitere radbasierte Systeme in allen Truppengattungen neu zugeführt werden. Entscheidend bleibt die durchgängige Ausstattung mit Radfahrzeugen, denn nur dann können Mittlere Kräfte ihre Vorteile auch zur Wirkung bringen.
Im Einzelnen bedeutet dies für die Hauptwaffensysteme:
Die Waffensysteme BOXER und das Nachfolgesystem für den FUCHS sind die Träger der Mittleren Kräfte. Zur Unterstützung des infanteriegebundenen Gefechts benötigen die Kampftrup- penbataillone der Mittleren Kräfte den Schweren Waffenträger Infanterie – ausgerüstet mit einer 30mm Kanone und dem Panzerabwehrsystem MELLS. Hier ist bereits eine Entschei- dung für eine BOXER-gebundene Variante gefallen. Daneben braucht jede der Brigaden der Mittleren Kräfte radgebundene Artilleriesysteme. Auch hier scheint mit der RCH 155 bereits ein leistungsfähiges System identifiziert worden zu sein.
Zwei der derzeit noch mit dem Waffensystem MARDER ausgestatteten Grenadierbataillone werden nach derzeitiger Entscheidungslage nicht mit dem Waffensystem PUMA aus- gestattet. Für sie ist eine Ausstattung mit einem Radschützen- panzer vorgesehen. Hier ist eine Auswahlentscheidung noch nicht getroffen, ist aber zeitlich dringend.
Auch die Nachfolge des Waffensystems FUCHS hat eine hohe Bedeutung für die Aufstellung der Mittleren Kräfte. Das Waffensystem FUCHS, inzwischen seit Anfang der 80er Jahre im Einsatz, ist an der Grenze der Versorgbarkeit angekom- men. Auch hier muss eine Nachfolgelösung zeitnah gefunden werden.
Vorteile radgebundener Systeme
Was sind die Vorteile im Detail – warum ist und bleibt das Rad so wichtig? Mittlere Kräfte bauen wie dargestellt ausschließlich auf radbewegliche Gefechtsfahrzeuge. Radbewegliche Kräfte zeichnen besonders aus, dass sie entlang von Straßen und Wegen aus eigener Kraft schnell in ein Einsatzgebiet verlegen können. So wären sie in der Lage, die rund 1.600 km von Deutschland nach Litauen in rund 72 Stunden zu überbrücken. Aufgrund ihrer modernen Waffensysteme (z.B. MELLS) bieten sie eine effektive und schlagkräftige Kombination aus Wirkungsmöglichkeiten, Mobilität und Schutz, die sie auch befähigen, ein Verzögerungsgefecht gegen gepanzerte Kräfte zu führen. Im Konfliktfall können sie damit die notwendige Zeit für den Einsatz weiterer vor allem schwerer und kettengestützter Kräfte schaffen. Gegenüber Kettenfahrzeugen sind Radfahrzeuge durch ihre hohen Geschwindigkeiten im Landmarsch überlegen und ermöglichen es, Distanzen schnell zu überwinden oder Räume zu gewinnen. Sie wirken damit dem Abschneiden eigener Kräfte im Operationsraum entgegen.
Ihre hohe Beweglichkeit ermöglicht zudem eine schnelle Kräftezusammenfassung. Aufgrund der bereits beschriebenen Vielseitigkeit, ihrer Infanteriestärke und der Radplattformen eignen sich Mittlere Kräfte gleichermaßen auch für IKM-Einsätze. In ihrer Gesamtheit sind sie ein robustes Mittel sowohl zur schnellen Krisenreaktion, als auch zur Abschreckung und Verteidigung. Um Mittlere Kräfte nicht nur beweglich, sondern auch militärisch handlungsfähig zu machen, bedarf es neben dem beschriebenen Fähigkeitsaufbau im Bereich der Fahrzeuge und Waffensysteme eines kontinuierlichen Ausbaus der Führungsfähigkeit durch digitale Führungssysteme.
Doktrinen und Ausbildung
Die Aufstellung einer neuen Kräftekategorie erfordert weitere wichtige Entscheidungen. Wie sollen die Kräfte eingesetzt werden, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit/das Zusammenwirken mit den anderen Kräftekategorien/im internationalen Rahmen? Die hierfür erforderliche Doktrinentwicklung ist angestoßen und wird unter Berücksichtigung der Lehren, die aus dem aktuellen Ukraine-Konflikt gezogen werden können, fortgesetzt.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Ausbildung der zukünftigen Kräfte. Voraussetzung hier ist der Abschluss der Entwicklung der Einsatzgrundsätze. Weiterhin müssen die Auswahlentscheidungen für die Waffensysteme der Mittleren Kräfte getroffen sein. Schwerpunkt der Ausbildung wird weiterhin die Kampfweise der Grenadiere und Jäger sein, die ähnlich, aber in ihrer Ausprägung unterschiedlich bleiben wird. Die zukünftig vorhandenen Führungsmittel und die damit verbundenen erweiterten Fähigkeiten müssen weiter untersucht werden und in die Ausbildungskonzepte mit einfließen.
Damit bleibt noch einiges zu tun. Zeit ist seit dem 24. Februar 2022 der entscheidende Faktor. Somit kommt es darauf an, auf Basis der vorhandenen Fähigkeiten zunächst eine initiale Fähigkeit Mittlerer Kräfte aufzustellen, um diese der NATO zur Verfügung stellen zu können. Daneben müssen alle Anstrengungen unternommen werden, die vorab beschriebenen Schritte umzusetzen.
Autor: Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM