„Wir brauchen Fähigkeiten, die die heutigen Reichweiten übersteigen“

MBDA baut seine Rolle als Schlüsselakteur für Europas Luftverteidigung aus. Im Interview mit dem cpmFORUM erklärt Guido Brendler, Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung, MBDA Deutschland, wie PATRIOT-Lenkflugkörper aus Schrobenhausen bald weltweit zum Einsatz kommen, welche Rolle MBDA bei ESSI und Deep Strike spielen und warum Europa dringend eigene Abschreckungsfähigkeiten braucht. Die Fragen stellte Rainer Krug.

müssen Taurus EUROFIGHTER. Foto: J. Gietl
Taurus EUROFIGHTER.
Foto: J. Gietl
Herr Brendler, als Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung konnten Sie Ende letzten Jahres mit der Grundsteinlegung einer neuen Fertigungslinie für den PATRIOT GEM-T ein besonderes Ereignis feiern. Können Sie uns etwas mitnehmen in die Hintergründe dieses Ereignisses?

Wir bauen unseren MBDA-Standort in Schrobenhausen zum Zentrum für die Produktion, Wartung und Modernisierung von verschiedenen Lenkflugkörper-Klassen aus. Dies gilt auch für die PATRIOT GEM-T-Lenkflugkörper. Damit werden wir einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte mit PATRIOT-Lenkflugkörpern leisten.

Die Flugkörper werden insbesondere zur Versorgung der Bundeswehr und europäischer NATO-Partner mit Lenkflugkörpern zur Verfügung stehen. Mit der in Schrobenhausen neu geschaffenen Produktionsstätte werden die weltweiten Produktionskapazitäten von GEM-T für PATRIOT verdoppelt. Die GEM-T-Produktionslinie wird die einzige ihrer Art außerhalb der USA sein. Der Besuch des Bundesministers der Verteidigung 2024 hat das hohe Engagement der Belegschaft in diesen besonderen Zeiten gewürdigt und ist zugleich ein Beleg für die mehr denn je notwendige enge Partnerschaft zwischen Politik, Bundeswehr und MBDA Deutschland.

Sind Sie in der Lage, auf zusätzliche Bedarfe nach Lenkflugkörpern zeitnah zu reagieren?

Bis 2028 werden wir an unseren Standorten Schrobenhausen und Aschau am Inn mehrere tausend Quadratmeter zusätzliche Produktionsflächen und Fertigungslinien sowie größere Bunker- und Lagerkapazitäten bauen, um auch auf veränderte Bedarfe reagieren zu können. Wir sind bereit, unsere Produktionskapazitäten weiter auszubauen und die Produktion zu beschleunigen, um der Nachfrage nach Lenkflugkörpern im aktuellen geopolitischen Kontext gerecht zu werden. Zusammen mit unserem Partner Raytheon analysieren wir derzeit, wie wir die Produktionskapazität für GEM-T-Flugkörper weiter erhöhen können. Weitere Investitionen setzen jedoch entsprechende Signale für eine weitere Beauftragung voraus.

Für welche weiteren Aufgaben tragen Sie mit Ihrer Firma beim Waffensystem PATRIOT die Verantwortung? Welche Aktivitäten stehen hier konkret weiter an?

Wir sind zunächst als MBDA der Ansprechpartner und Hauptauftragnehmer für die Betreuung und die bundeswehrspezifischen Anpassungen der deutschen PATRIOT-Systeme.

Guido Brendler, MBDA-Deutschland, Mitglied der Geschäftsführung
Guido Brendler, MBDA-Deutschland, Mitglied der Geschäftsführung
Foto : MBDA Deutschland

Hierzu arbeiten wir eng mit der Luftwaffe im Bereich Tests und Entwicklungen an der MBDA-eigenen Test- und Referenzanlage (TuRA) in Freinhausen zusammen. Zudem sind wir verantwortlich für die Entwicklung des Kommunikationsnetzwerkes für Luftverteidigungssysteme – DTN LV – als Teil der PATRIOT-Systeme.

Über unser Joint Venture COMLOG (zwischen Raytheon und MBDA) sind wir für Tests, Instandsetzung, Rezertifizierung und Modifikation von PATRIOT PAC-2-Flugkörpern sowie die Fertigung von 1000 PATRIOT GEM-T-Flugkörpern für Deutschland und europäische PATRIOT-Nutzerstaaten zuständig.

Wenn wir an die Luftverteidigung der Zukunft denken, denken wir an die European Sky Shield Initiative. Sind Sie mit Ihrer Firma in dieses Programm eingebunden und wenn ja, welche konkreten Aktivitäten laufen für Sie hier?

Die European Sky Shield Initiative (ESSI) ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um zu zeigen, wie es als Nation gelingen kann, außen- und sicherheitspolitische Ziele mit Rüstungskooperationen zu verknüpfen. Als MBDA Deutschland sind wir in der einzigartigen Lage, die Bundesregierung bei der Realisierung der European Sky Shield Initiative über alle Höhenbänder und Bedrohungsklassen hinweg zu begleiten.

Eines der dringendsten Themen ist für uns, die Bekämpfungsfähigkeit gegen Drohnen sicherzustellen. Hier bietet die MBDA Deutschland mit der „Small Anti Drone Missile“ einen hocheffektiven und kosteneffizienten Lenkflugkörper zur Abwehr heutiger und zukünftiger Drohnen an, den wir in Kooperation mit der Firma Rheinmetall auch in den SKYRANGER 30 und andere Plattformen integrieren wollen. Aufgrund seiner einzigartigen Fähigkeiten stellt dieser Effektor einen besonderen Beitrag im Kontext ESSI dar, den Deutschland auch seinen Bündnispartnern zur Verfügung stellen kann.

Beim neuen Technologiefeld Laser haben wir in den letzten Jahren signifikante Fortschritte erzielt und zusammen mit der Deutschen Marine und unserem Kooperationspartner Rheinmetall eine erfolgreiche Demonstration der Leistungsfähigkeit gegen Flugziele, insbesondere Drohnen nachgewiesen.

Im Bereich „Medium-Range“ hat die europäische Ausrichtung von ESSI eine besondere Bedeutung. Mit der CAMM-Lenkflugkörperfamilie stehen uns moderne und hocheffektive Effektoren gegen ein breites Spektrum von Bedrohungen aus der Luft zur Verfügung, die bereits in mehreren europäischen Nationen genutzt werden – unter anderem in Polen mit signifikanten Stückzahlen. Auch für Deutschland ist dies eine weitere Möglichkeit im europäischen Kontext Flugabwehrraketen zu beziehen, was insbesondere in Zeiten hoher Munitionsbedarfe eine wichtige Option ist.

Die Fertigung des PAC-2 GEM-T-Flugkörpers für das Waffensystem PATRIOT unterstreicht die Beitragsfähigkeit für ESSI und ist ein bedeutender Schritt auch in Bezug auf die Beschaffungssicherheit Deutschlands. Der in Schrobenhausen endgefertigte PAC-2 GEM-T wird darüber hinaus aber auch eine weltweite Auslieferung der Flugkörper an verbündete Nationen ermöglichen.

RCM2 Teaming. Illustration: MBDA Deutschland
RCM2 Teaming.
Illustration: MBDA Deutschland

Im Fähigkeitsbereich der äußeren Abfangschichten arbeiten wir bereits seit geraumer Zeit intensiv an einem Effektor zur Abwehr hypersonischer Bedrohungen. Das sehr umfangreiche Fähigkeitsfeld gegen diese neue Bedrohungsart ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir große Anstrengungen nicht nur national, sondern europäisch bewältigen können und müssen, was die Arbeit des MBDA-geführten HYDIS-Konsortiums tagtäglich beweist.

Besonders stolz sind wir auf unsere Rolle beim Aufbau einer strategischen Flugkörperabwehr in Deutschland. Hier unterstützen wir die Bundeswehr und unseren Partner „Israel Aerospace Industries“ bei der Einführung und Bewirtschaftung des Waffensystems ARROW und unterstreichen damit unseren Beitrag als Systemhaus für Luftverteidigung in einem für Deutschland ganz neuen Fähigkeitsfeld.

Sie haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Europa neben ausreichenden Luftverteidigungsfähigkeiten auch Deep Precision Strike-Fähigkeiten aufbauen muss. Was bedeutet das und wie kann dies der bodengebundenen Luftverteidigung helfen?

Die Aufgabe der bodengebundenen Luftverteidigung ist die Abwehr von Angriffen aus der Luft, die auf das eigene Hoheitsgebiet oder das der Bündnispartner ausgeführt werden. Es ist also primär ein Verteidigungsauftrag, der reaktiv stattfindet. Das kann insbesondere dann von Nachteil sein, wenn Waffen zum Einsatz kommen, die eine große Herausforderung für die eigenen Verteidigungssysteme darstellen, wie etwa Hyperschallwaffen.

Auch können nur diejenigen Gebiete und Objekte verteidigt werden, für die Flugabwehrsysteme zur Verfügung stehen. Der Angriff auf den Angreifer selbst, also auf die Stellungen, von denen die Bedrohungen ausgehen, wird somit selbst zu einem Verteidigungsbeitrag und entlastet die eigene Luftverteidigung.

MBDA Freinhausen. Foto : MBDA Deutschland
MBDA Freinhausen
Foto : MBDA Deutschland

Bei militärischen Auseinandersetzungen sind Streitkräfte daher insbesondere auf diese Fähigkeit angewiesen, um militärische Ziele weit hinter der Frontlinie in gemeinsamen Multi-Domain-Operationen zu bekämpfen. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die Neutralisierung gegnerischer Raketen und Logistik vor ihrem Einsatz für eine wirksame Verteidigungsstrategie unerlässlich ist.

Erforderlich sind dafür hochpräzise Lenkflugkörper mit langer Reichweite, die hohe Durchsetzungskraft besitzen und somit die gegnerische Luftabwehr überwinden können. Was wir also brauchen sind Fähigkeiten, die die heutigen Reichweiten übersteigen. Das europäische Deep Precision Strike-Vorhaben bzw. die europäische ELSA-Initiative sollte deshalb mit Nachdruck vorangetrieben werden. Europa muss sein Abschreckungspotential kurzfristig mit eigenen Mitteln und eigener Verantwortung erhöhen. Abstandsfähigkeiten in Deutschland und NATO-Ländern sind nicht in ausreichender Qualität und Quantität vorhanden.

Welchen Beitrag kann MBDA Deutschland mit Blick auf die Deep Strike-Fähigkeiten leisten?

MBDA verfügt schon heute über existierende Produkte und umfassende Erfahrungen im Bereich der abstandsfähigen Präzisionsbewaffnung und ist sowohl strukturell als auch technologisch prädestiniert für die europäische Führungsrolle in diesem Projekt. Der TAURUS kommt ja bekanntermaßen aus Schrobenhausen. Als MBDA Deutschland können wir demnach nachweislich im Design eines Gesamtsystems, der Entwicklung, Qualifikation und Produktion alleine oder in Kooperation beitragen.

Dies gilt auch für den Hyperschallbereich, in dem wir bereits über Jahre die erforderlichen Technologien zusammen mit der Bundeswehr vorantreiben. In Nutzung befindliche Technologien aus existierenden Produkten können als Blaupause dienen, ob zur Einbindung oder Weiterentwicklung. Mit Blick auf eine kurzfristige Marktverfügbarkeit bieten sich aus dem MBDA-Portfolio für lange Reichweiten die die „Naval Cruise Missile“ (NCM) an. Eine Adaptierung auf eine bodengestützte Variante, also die Land Cruise Missile (LCM), ist zeitnah möglich. Anders formuliert: Im Rahmen einer europäischen Lösung wäre eine Realisierung binnen eines relativ kurzen Zeitraums mit unseren wichtigsten europäischen Partnern möglich.

LCM ist aber nur eine mögliche Lösung, denkbar sind hier auch weitere Lösungsansätze. Wichtig ist jedoch anzumerken, dass die Anforderungen vermutlich nicht mit einer Lösung alleine abzudecken sind. In dem Reichweitenband darunter sehe ich neben TAURUS auch ein Element der auftragsbasierteren und sehr flexiblen Nutzung, wie wir es beim „Remote Carrier Multi-Domain Multirole Effector“ oder kurz „RCM²“ verfolgen. Es handelt sich dabei um ein intelligentes, schwarmfähiges und KI-unterstütztes System, das domänenübergreifend eingesetzt werden kann.

Diese Remote Carrier sind in der Lage, miteinander aber auch darüber hinaus zu kommunizieren. Sie sind modular aufgebaut und können sowohl mit kinetischen als auch mit elektromagnetischen Effektoren oder missionsspezifischen Payloads ausgestattet werden. Somit ist der RCM2 grundsätzlich in allen Dimensionen – Land, Luft und See – einsetzbar, respektive von dort aus kontrollier- und steuerbar.

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