OCCARs Rolle in der europäischen Verteidigung – Einblicke von Direktor Joachim Sucker

Im Interview mit Rainer Krug, Chefredakteur des cpmFORUMs, gibt Joachim Sucker, Direktor der OCCAR, Einblicke in die Rolle seiner Organisation bei der Verwaltung komplexer europäischer Rüstungsprogramme, der Zusammenarbeit mit Nationen und internationalen Organisationen sowie die zukünftigen Herausforderungen zur Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur. Konkret geht es auch um strategische Projekte, wie der Hyperschallabwehr und multinationale Partnerschaften, durch die sich die Zukunft der Verteidigungskooperation in Europa gestaltet.

OCCAR: A400M der Luxemburgischen Streitkräfte und Portrait von Joachim Sucker.
A400M der Luxemburgischen Streitkräfte und Portrait von Joachim Sucker.
Fotos: Jozef Vanden Brock und Airbus
Herr Sucker, Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Jahr Direktor der OCCAR. Können Sie uns zu Beginn Ihre Dienststelle und die hier verorteten Aufgaben ein wenig vorstellen?

Die Organisation für gemeinsame Rüstungskooperation (Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement – OCCAR) wurde mit dem Ziel gegründet, komplexe, kooperative Rüstungsprogramme während ihres gesamten Lebenszyklus zu verwalten. Frankreich, Deutschland, Italien und das Vereinigte Königreich gründeten die OCCAR auf der Grundlage des OCCAR-Übereinkommens, das 2001 ratifiziert wurde und der OCCAR ihren Rechtsstatus als unabhängige internationale Organisation verlieh. Belgien und Spanien traten der OCCAR in den Jahren 2003 bzw. 2005 bei.

Die Hauptaufgabe der OCCAR besteht darin, den Staaten durch Zusammenarbeit die kosteneffiziente Planung, Entwicklung, Beschaffung und Nutzung von Verteidigungsgütern zu ermöglichen. Die OCCAR-Struktur ermöglicht auch anderen Staaten die gleichberechtigte Teilnahme an OCCAR-Programmen, sofern sie die OCCAR-Regeln und -Vorschriften akzeptieren. Derzeit nehmen acht weitere Staaten an einem oder mehreren OCCAR-Programmen teil.

Der Vorteil für die Staaten, OCCAR als Programmmanagement-Organisation zu nutzen, liegt darin, dass wir eine mehr als 20-jährige Erfolgsbilanz beim Management komplexer, kooperativer Programme nach ISO-zertifizierten Prozessen aufweisen können. Das ist der Grund, warum ich immer wieder betone, dass OCCAR mehr ist als nur eine Beschaffungsagentur, denn unser Schwerpunkt liegt eher auf den verschiedenen Programmstufen der Entwicklung und Produktion als auf dem Kauf marktverfügbarer Produkte. Unser Geschäftsmodell erlaubt den Staaten, die OCCAR zu steuern. Sie behalten dabei die volle Kontrolle über die Programme, mit denen wir von ihnen beauftragt wurden.

OCCAR ist flexibel, sowohl was die Teilnehmer, die Größe und den Umfang des Programms als auch die Kosten und d en Zeitrahmen betrifft. Es ist Sache der am Programm teilnehmenden Staaten zu entscheiden, was die OCCAR für sie leisten soll und wie. Das macht unsere Flexibilität aus. Unser Portfolio besteht aus Programmen in allen Bereichen, in der Luft, zu Lande, zu Wasser, im Weltraum und im Cyberspace, und obwohl wir uns auf komplexe Programme wie die A400M, Fregatten oder gepanzerte Fahrzeuge konzentrieren, dürfen wir auch weniger komplexe Programme durchführen, wie zum Beispiel unser Nachtsichtfähigkeits-Programm.

Die Entscheidung für eine nationale Programmrealisierung oder eine durch die OCCAR hängt von der Kooperations- und damit Kompromissbereitschaft der Nationen ab. Natürlich ist es auch eine Frage des nationalen Interesses der Industrien der Staaten. Was wir den Staaten anbieten ist eine Wahl, eine Wahl zur Zusammenarbeit, und wir streben an, ein „Centre of Excellence“ zu sein, was die OCCAR als eine der besten verfügbaren Optionen qualifiziert.

OCCAR als europäische Rüstungsagentur besteht neben anderen Dienststellen und Programmen auf europäischer Ebene. Können Sie für unsere Leser eine Abgrenzung Ihrer Aufgaben von denen der Europäischen Verteidigungsagentur, PESCO oder des European Defence Fund vornehmen?

Die Europäische Verteidigungsagentur (European Defence Agency – EDA) wurde gegründet, um den Bedarf an Verteidigungsgütern und die Anforderungen daran mit den Staaten zu diskutieren und zu harmonisieren. OCCAR, die Organisation für gemeinsame Rüstungskooperation, wurde gegründet, um die Programme zu managen, die durch die zwischen den Staaten harmonisierten Anforderungen definiert wurden. PESCO und EDF sind Mechanismen, die die Zusammenarbeit der EU-Staaten im Rüstungsbereich fördern.

A400M der Belgischen Luftwaffe. Foto: OCCAR EA / Andreas Ruhe
A400M der Belgischen Luftwaffe.
Foto: Airbus

Die OCCAR unterstützt Rüstungskooperation auf drei Ebenen, nämlich zwischen Staaten, zwischen Industriepartnern und zwischen internationalen Organisationen. Die Tatsache, dass die OCCAR nicht in Konkurrenz zu anderen internationalen Organisationen steht, kann nicht genug betont werden.

Die Schaffung einer homogenen Zusammenarbeitsbeziehung mit der EDA, der NATO Support and Procurement Agency (NSPA), der Europäischen Kommission und potenziell anderen wichtigen Partnern ist von entscheidender Bedeutung für die Bereitstellung von Fähigkeiten für ein kosteneffizientes europäisches Verteidigungs- und Sicherheitsumfeld. In dieser Hinsicht ist die OCCAR bestrebt, ihre Zusammenarbeit mit EDA, NSPA und natürlich der Europäischen Union zu konsolidieren und weiter auszubauen.

In Europa haben wir uns lange Zeit von den Fähigkeiten unseres transatlantischen Partners, den USA, inspirieren lassen und uns auf sie verlassen. Meiner Meinung nach ist es nun an der Zeit, dass Europa einen größeren Teil der Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernimmt, wie es der Strategische Kompass der Europäischen Union vorsieht. Wenn ich sehe, dass die Autonomie der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wächst, die Zusammenarbeit zwischen den Nationen zunimmt und die europäische Verteidigungsindustrie gestärkt wird, stimmt mich das zuversichtlich.

Die EDA hat eine Benchmark von 35 % für kooperative europäische Verteidigungsausgaben festgelegt. Wir sind noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen.

Generell muss Europa an einer Verringerung der großen Zahl unterschiedlicher Waffensysteme arbeiten. Basierend auf einer soliden Fähigkeitsplanung und der Harmonisierung der Anforderungen müssen die Staaten die Zersplitterung des Marktes und die Doppelarbeit verringern. Nur so lassen sich Standardisierung und Interoperabilität verbessern, die beide bei Einsätzen dringend benötigt werden.

Die EDA hat eine Benchmark von 35 % für kooperative europäische Verteidigungsausgaben festgelegt. Wir sind noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen. Wir müssen uns weiterhin immens anstrengen, wenn wir mehr Fähigkeiten für weniger Geld bereitstellen wollen.

Bleiben wir bei Zusammenarbeit und Abgrenzung. Sie sind der zweite Deutsche als Direktor dieser Agentur. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Ihrer Agentur und den nationalen deutschen Beschaffungsorganisationen?

Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich als Direktor der OCCAR im Interesse aller unserer Mitglieds- und Programmnationen agiere. Deutschland ist einer der großen und bedeutenden Kunden der OCCAR, und natürlich verstehe ich aufgrund meiner vorherigen Verwendungen den Bedarf und die Prozesse der deutschen Beschaffungsorganisation noch besser als die der anderen Nationen.

Die Zusammenarbeit zwischen der OCCAR, dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ist in unseren Programmen und Gremien sehr eng, nicht erst seit ich Direktor bin. Dennoch möchte ich nicht verhehlen, dass die OCCAR aus meiner Sicht für Deutschland einen noch größeren Beitrag im Kontext der Zeitenwende leisten könnte. Interoperabilität mit verbündeten Streitkräften ist hier ein Schlüssel und kooperative Rüstungsprojekte – gemanagt in der OCCAR – die ideale Grundlage für effiziente Zusammenarbeit.

Wenn wir das richtig sehen, hat mit dem BOXER als erstem Programm alles angefangen. Was sind die für Sie wichtigsten aktuellen Programme und damit die Schwerpunkte der OCCAR?

Die Fähigkeit der OCCAR, den europäischen Staaten die Möglichkeit zu bieten, schnell und effizient eine Rüstungskooperation aufzubauen und erfolgreich zu gestalten, ist in der heutigen unsicheren Welt wichtiger als je zuvor. Der anhaltende Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten sowie die allgemeine Unsicherheit im derzeitigen globalen Sicherheitsumfeld stellen die europäische Sicherheitsarchitektur vor große Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund ist es mir wichtig, dass wir als Organisation mit unserer Führung, unseren Verfahren und Instrumenten auf die Zukunft vorbereitet sind.

Transportfahrzeug GTK BOXER. Foto: OCCAR EA / Boxer Programme
Transportfahrzeug GTK BOXER.
Foto: OCCAR EA / Boxer Programme

Im Jahr 2023 konnten wir in allen unseren Programmen enorme Fortschritte erreichen, wie z. B. die pünktliche Auslieferung des Patrouillenschiffs PPA, der Fregatte FREMM, des Logistic Support Ship (LSS), der Nachtsichtbrillen und Komponenten aus dem Projekt Night Vision Capability (NVC) und der A400M sowie wichtige Fortschritte bei der kritischen Entwurfsprüfung des U212 Near Future Submarine (NFS), den BOXER-Industrieversuchen für das Vereinigte Königreich und der Vertragsunterzeichnung für das Mid Life Upgrade (MLU) der Fregatten der HORIZON-Klasse.

Parallel dazu haben wir das leichte gepanzerte Fahrzeug Véhicule Blindé d’Aide à Engagement (VBAE) für Belgien und Frankreich integriert und mit Responsive Electronic Attack for Cooperative Tasks (REACT), der Mehrrollenfähigen Patrouillenkorvette MMPC und Hypersonic Defence Interceptor Programme (HYDEF) drei neue Programme, die von der Europäischen Union im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds kofinanziert werden, integriert. Die Zahl der OCCAR-Programme hat sich bis Ende 2023 auf 21 erhöht und wird bis Ende 2024 auf 25 und bis Ende 2025 möglicherweise auf 30 Programme ansteigen. Wir beschäftigen jetzt mehr als 400 Mitarbeiter.

Die Fähigkeit der OCCAR, den europäischen Staaten die Möglichkeit zu bieten, schnell und effizient eine Rüstungskooperation aufzubauen und erfolgreich zu gestalten, ist in der heutigen unsicheren Welt wichtiger als je zuvor.

Die Erfolge und der Ruf der OCCAR werden auch außerhalb Europas anerkannt. Neben der Vertiefung der Zusammenarbeit mit Australien und der Fortführung des Status Brasiliens als Beobachterstaat im LSS-Programm ist Japan seit kurzem Beobachterstaat im MALE RPAS (Eurodrohne)-Programm.

Die Fähigkeit zur Luftverteidigung hat seit dem Beginn des Ukraine-Konfliktes eine überragende Bedeutung bekommen. Seit einigen Monaten führt die OCCAR im Auftrag der Nationen das HYDEF-Programm. Können Sie uns hierzu einen Überblick geben? Was sind die Ziele dieses Programms?

Das HYDEF-Programm zielt auf die Untersuchung und Konzeptdefinition für einen europäischen endoatmosphärischen Abfangflugkörper ab, der in der Lage ist, neue Bedrohungen aus der Luft mit höherer Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit als die derzeitigen abzuwehren. Das Hauptziel des Projekts ist die Bewertung der Durchführbarkeit und die Definition eines Abfangkonzepts für die Missionsziele in Bezug auf den Abfangbedarf im Hinblick auf den Horizont 2035+. Gleichzeitig soll gewährleistet werden, dass die Technologien und ausgewählten Konzepte rechtzeitig in drei Jahren nach Abschluss der Studie verfügbar sind.

OCCAR beschafft multinational.
Foto: OCCAR

Die Konzeptstudie stützt sich auf eine erste Erfassung von Informationen über Bedrohungen, Missionen und allgemeine Nutzeranforderungen sowie auf ein Einsatzkonzept. Das Waffensystem, die Plattformen und die Führungs- und Kontrollsysteme sowie das Sensorsystem werden in Abstimmung mit den teilnehmenden Staaten mit einem Zeithorizont bis 2035 ausgewählt. Die Konzeptstudie gliedert sich in zwei Hauptphasen, eine Vormachbarkeits-Phase, die in der Missionsdefinitionsprüfung endet, eine MachbarkeitsPhase, die in der vorläufigen Anforderungsprüfung endet, sowie eine parallele Aktivität zur frühen Reifung kritischer Technologien und Entwürfe.

Eine letzte Frage: Welche Ziele für die weitere Entwicklung der OCCAR haben Sie sich persönlich für Ihre Zeit als Direktor gesetzt, wo sehen Sie die OCCAR in den nächsten drei Jahren?

Die Herausforderung unserer Zeit ist, im Dreiklang des Projektmanagements aus Zeit, Kosten und Leistung die OCCAR hinsichtlich des Faktors Zeit zu optimieren. Vorrangig geht es darum, das große Potenzial der OCCAR zu nutzen und die erfolgreichen Prinzipien für die Zukunft weiterzuentwickeln. Wir wollen schneller für unsere Kunden, die Nationen, agieren.

Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Es gilt unsere bewährten Prozesse zu optimieren und uns die Digitalisierung zu Nutze zu machen. Unser Anspruch ist, die besten Prozesse und Methoden in unserer Arbeit anzuwenden. Ich spüre dabei ein großes Vertrauen unserer Mitgliedsstaaten, mir die nötige Freiheit für diese Schritte zu geben.

Darüber hinaus wollen wir auch das Portfolio ausbauen, sowohl mit mehr Programmen, aber auch mit mehr Programmnationen innerhalb und außerhalb Europas.

So sehe ich die OCCAR in drei Jahren weiterhin als flexible und agile Rüstungsorganisation mit über 30 Programmen und mehr als 500 Beschäftigten.

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