Die medizinische Versorgung von Verwundeten ist immer ein Wettlauf mit der Zeit. Je früher die Hilfe beim Patienten ankommt, desto größer sind seine Überlebenschancen. Soldaten werden ständig trainiert, erste Hilfe zu leisten. Im Einsatz sind die Herausforderungen besonders groß. Die Rettungskette vom Ersthelfer bis zum Operationssaal muss stehen.
Die medizinische Versorgung im Einsatz unterliegt der ständigen Überprüfung und wird gegebenenfalls weiterentwickelt und optimiert. In der jüngsten Vergangenheit ist ein neues Element hinzugekommen.
Durch die Erfahrungen von NATO-Partnern und eigenen Einsätzen entwickelte der Sanitätsdienst der Bundeswehr das Konzept „Forward Surgical Element“. FSE dienen als zusätzliches sanitätsdienstliches Fähigkeitselement der Behandlungsebene 2 zur qualifizierten notfallchirurgischen Erstbehandlung.
Grundsätzlich erfolgt die erste chirurgische Versorgung von Patientinnen und Patienten im Einsatz erst in einem Rettungszentrum (Behandlungsebene 2). Diese Sanitätseinrichtung ist mit ihrer Ausstattung nur eingeschränkt beweglich und flexibel – eine Herausforderung unter anderem bei der sanitätsdienstlichen Unterstützung von hochdynamischen Gefechtshandlungen der Landstreitkräfte z.B. im urbanen Umfeld oder beim Einsatz von Spezialkräften sowie auf See.
Einsatz der FSE nur in Ausnahmesituationen
FSE kommen daher in Situationen zur Geltung, in denen ein Einsatz von normalen Sanitätseinrichtungen der Behandlungsebene 2 nicht möglich ist. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Transportwege zur nächstmöglichen Einrichtung der Behandlungsebene 2 Basic oder Enhanced zu lang wären oder besonders mobile oder leichte Kräfte unterstützt werden müssen.
Klein, leicht und mobil
Insbesondere bei Orts- und Häuserkampf oder bei schwierigem Gelände, wie Gebirge, Wälder und Dschungel kommen die Vorteile der FSE als zusätzliche Fähigkeit in der Rettungskette zum Tragen. Wesentliches Merkmal ist die Beschränkung nur auf das absolut notwendige Personal und Material. Dadurch wird eine Beweglichkeit und Verlegbarkeit erreicht, die den Einsatz in den o.g. Szenarien möglich macht. Dadurch kann das FSE schnell an verschiedene Brennpunkte gebracht werden.
Für die Verwundeten heißt das eine zeitgerechte, vielleicht sogar lebensrettende chirurgische Erstversorgung in der mit vier bis neun Sanitätskräften besetzten Sanitätseinrichtung. Das Personal ist aus den Bereichen Anästhesie, Chirurgie und der medizinischen Pflege.
Einsatz eines FSE für Spezialoperationen und Seestreitkräfte
Der Einsatz von Spezialkräften erfolgt häufig weit entfernt von eigenen Kräften. Aufgrund der Dauer und der Geheimhaltung dieser Operationen ist es oftmals nicht möglich, die klinischen Zeitvorgaben einzuhalten. Ähnliches gilt für allein fahrende Schiffe. Dort ist der Einsatz eines FSE (hier bekannt als „Bordfacharztgruppe“) bereits seit Jahren bewährte Praxis.
Ob im Auslandseinsatz oder bei Naturkatastrophen, die Rettungszentren (RZ) des Sanitätsdienstes der Bundeswehr können nahezu an jedem Ort der Welt aufgebaut werden. Das von den medizinischen Möglichkeiten umfangreichste ist die Role 2 Enhanced (Erweitert) und kann je nach Bedarf sogar alle Fähigkeiten eines Krankenhauses widerspiegeln.
Das „Rettungszentrum +“ oder auch „Role 2 E“ ist ein modulares System, das einsatzspezifisch aufgebaut werden kann. Je nachdem mit wie vielen Verwundeten zu rechnen ist, können vier oder auch achtzig Betten mitgenommen werden. Mit einer Besatzung von 40 bis 170 Soldatinnen und Soldaten ist es das zweitgrößte mobile System des Sanitätsdienstes.
Aufbau
Die einzelnen Module bestehen aus Zelten und Containern. Daher können sie leicht verpackt und transportiert werden. Die einzelnen Module haben die Standardgröße eines Seefracht-Containers und sind als See-, Land- und Luftfracht geeignet. Bevor das RZ aufgebaut wird, muss durch Pioniere eine ebene Fläche geschaffen werden. Für den Aufbau wird schweres Gerät, zum Beispiel ein Containerstapler oder Autokran, benötigt. Nach zwei Stunden können die ersten Patienten bereits notfallchirurgisch versorgt werden.
Die Notaufnahme
Analog zu einem normalen Krankenhaus ist die Notaufnahme der erste Anlaufpunkt für die Patienten. Angeschlossen ist hier auch der Schockraum. Die Notaufnahme ist prinzipiell für die leicht bis mittelschwer verletzten, der Schockraum entsprechend für die schwerstverletzten Soldatinnen und Soldaten vorgesehen. Dort werden stabilisierende Maßnahmen ergriffen bis hin zu kleinen chirurgischen Eingriffen. Sind die Maßnahmen nicht ausreichend, können die Patienten hier für eine OP vorbereitet werden.
Expertise
Das Herzstück einer Role 2 E bilden die zwei Operationstrakte mit jeweils einem Zugangs-, Geräte-, Operationsvorbereitungs- und Operations-Container. Im Einsatz können im OP-Container alle Notfalloperationen durchgeführt werden, um die Patienten so zu stabilisieren, dass sie nach Deutschland weiterverlegt werden können. Für die Nachversorgung steht ein Intensiv-Container mit bis zu vier erweiterten Behandlungsplätzen und eine Pflegestation in Zelten mit bis zu 72 Betten zur Verfügung. Hinzu kommt eine Apotheke mit Materiallager.
Anpassungsfähig
Einsatzspezifisch können weitere Module angeschlossen werden. Dazu gehören zum Beispiel die Allgemeinmedizin, Zahnmedizin, Neurologie, Psychiatrie, Augenheilkunde und weitere Fachbereiche, die auf Bedarf nachgefordert werden können. Die Ärzte hierfür kommen aus den verschiedenen Fachbereichen der Bundeswehrkrankenhäuser. Auftrag ist es, medizinisches Personal auszubilden und in Übung zu halten. Schließlich ist dieses das Rückgrat aller klinischen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr im Einsatz.
Behandlungsebene 1
Schwerpunkt bei der Behandlungsebene 1 ist die allgemein- und notfallmedizinische Versorgung. Das heißt, die qualifizierte Aufrechterhaltung und Sicherung der Vitalfunktionen mit Hilfe moderner notärztlicher Verfahren wird hier gewährleistet. Im Falle eines Weitertransports dient die Rettungsstation zur Stabilisierung des Patienten. Aufgrund der hohen Anforderung an Mobilität sind hier Einrichtungen gefragt, die einen möglichst kleinen logistischen Fußabdruck hinterlassen.
Für diese Anforderungen wurden die Rettungsstation und die Luftlanderettungsstation konzipiert. Die Rettungsstation besteht aus einem Container, einem Container Versorgungspalette, einem aufblasbaren Zelt sowie der dafür erforderlichen Transportkomponente. Die Rettungsstation gibt es als geschützte und ungeschützte Variante. Diese ist innerhalb einer Stunde einsatzbereit. Sie kann selbstständig oder innerhalb des Gesamtsystems einer modularen Sanitätseinrichtung verwendet werden. Sämtliche zur Aufgabenerfüllung auf dieser Behandlungsebene notwendigen medizinischen Geräte werden in der Rettungsstation mitgeführt und benötigen keinen weiteren Transportraum. Diese Konfiguration ist auch als eine rein zeltgestützte luftbewegliche Variante (LLRS) möglich.
Behandlungsebene 2
Zur Behandlungsebene 2 gehören das Rettungszentrum und das Luftlanderettungszentrum. Sowohl die containergestützte als auch die zeltgestützte Konfiguration sind in einer leichten und einer verstärkten Variante möglich. Insbesondere das Rettungszentrum leicht (RZ le) wurde bei zahlreichen Auslands-, Katastrophen- oder anderen Hilfseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt. In ihm erfolgt durch ca. 48 Soldatinnen und Soldaten die chirurgische Akutversorgung, intensivmedizinische Überwachung sowie die Überwachung und Pflege der Patientinnen und Patienten nach Operationen.
Der medizinische Standard ist dabei vergleichbar mit einem Deutschen Kreiskrankenhaus. Bereits eine Stunde nach Eintreffen am Einsatzort können im RZ le erste Patienten aufgenommen werden, und innerhalb von nur sechs Stunden ist die volle Einsatzbereitschaft hergestellt. Das RZ le kann flexibel zu einem größeren Rettungszentrum erweitert werden. Das Namenskürzel „leicht, le“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zum Aufbau und Transport bei dieser Variante mehrere Lastkraftwagen sowie ein Kran mit mindestens 20 Tonnen Nutzlast benötigt werden. Bereits die zeltgestützte Konfiguration des Luftlanderettungszentrums leicht (LLRZ le) bringt stattliche 80 Tonnen auf die Waage.
Angesichts heutiger Einsatzszenarien werden zunehmend auch hochmobile Sanitätseinrichtungen mit DCS-Fähigkeiten benötigt. Eine aktuelle Neuentwicklung ist das Luftlanderettungszentrum für Spezialeinsätze (LLRZ SpezEins) mit seinem integralen Basismodul, das als noch kleinere und leichtere Komponente in den Einsatz gebracht werden kann. Mit maximal 1,5 Tonnen Gesamtgewicht zeigt dieses Teilsystem, wohin die Reise bei den Sanitätseinrichtungen geht – leicht, mobil, leistungsfähig.
Behandlungsebene 3
Das Einsatzlazarett ist quasi die Königsklasse der MSE und wird durch die Erweiterung eines Rettungszentrums (Behandlungsebene 2) um fachärztliche, pflegerische und OP-Kapazitäten erreicht. Ein Einsatzlazarett ist aufgrund seiner personellen und materiellen Ausstattung zur multidisziplinären Diagnostik und Therapie befähigt. Das Einsatzlazarett ist in zwei Konfigurationen möglich. Diese unterscheiden sich aber lediglich in ihrer Pflegekapazität von 72 bzw. 180 Betten.
Behandlungsebene 4
Ergänzt wird die Rettungskette noch durch die Behandlungseinrichtung 4. In erster Linie stehen mit der vierten Behandlungsstufe Bundeswehrkrankenhäuser zur Verfügung. Es werden auch zivile Krankenhäuser genutzt und Rehabilitationseinrichtungen beansprucht. Nach Rückführung des Patienten aus einem Einsatzgebiet erfolgen in diesen Einrichtungen alle notwendigen weiteren medizinischen Behandlungen und Therapien.
Grundsätzlich ist jede Versorgung eines verwundeten oder erkrankten Soldaten individuell. Verletzungsgrad und Krankheitsbild des Patienten sind bestimmende Größen für die handelnden Verantwortlichen.
Autor: Presse und Informationsdienst des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, für cpmFORUM 5/2022