Rüstungsindustrie in Europa auf Wachstumskurs

Der belgische Maschinen- und Waffensystembauer John Cockerill will den französischen Militärfahrzeughersteller Arquus von der Volvo Gruppe übernehmen. Dadurch würde in der Rüstungsindustrie ein neuer Großkonzern für landbasierte Militärfahrzeuge auf dem europäischen Markt entstehen. Gleichzeitig ein Beispiel für die teilweise transnationalen Konsolidierungen der Branche, die auch bei deutschen Firmen immer mehr zu Zusammenschlüssen sorgt. Worin lagen und liegen die Gründe für diese Entwicklung und womit rechnet die Branche in Zukunft?
Bei den großen Messen, wie der jährlichen RÜ.NET in Koblenz, sind die Konsolidierungsbewegungen in der Rüstungsindustrie seit Jahren sichtbar.
Bei den großen Messen, wie der jährlichen RÜ.NET in Koblenz, sind die Konsolidierungsbewegungen in der Rüstungsindustrie seit Jahren sichtbar.
Foto: Sascha Schürmann/cpm

Auf dem europäischen Rüstungsmarkt ist derzeit viel in Bewegung – nicht nur in den Auftragsbüchern der Konzerne. Erst Ende vergangenen Jahres übernahm die Hensoldt AG den Elektronik- und Logistikspezialisten ESG. Auch Diehl Defence übernahm zum 1. Januar dieses Jahres den Präzisionsteilehersteller Allweier. Und in dieser Woche wurde bekannt, dass Airbus Helicopters mit der Übernahme des US-Drohnenherstellers Aerovel seine Sparte der unbemannten Luftfahrt erweitert.

John Cockerill verhandelt mit Volvo über Arquus

In diese Aufzählung will auch der belgische Maschinen- und Waffensystembauer John Cockerill aufgenommen werden. Wie nun bekannt wurde, verhandelt das Unternehmen aktuell exklusiv mit der schwedischen Volvo-Gruppe über die Übernahme des französischen Militärfahrzeuglieferanten Arquus, welcher nach eigenen Angaben 90 Prozent der Fahrzeuge für das französische Militär und mehrere ausländische Staaten liefert.

Als Gründe für die angestrebte Übernahme gibt John Cockerill eine sinnvolle Ergänzung des eigenen Produktportfolios an, passende gepanzerte Fahrzeuge für die eigenen Waffentürme sowie ein höheres Maß an Qualität und Kostenwettbewerbsfähigkeit. Die dann konsolidierten Aktionen von John Cockerill Defense und Arquus zielen auf einen Jahresumsatz von einer Milliarde Euro und eine Personaldecke von 2.000 Fachleuten bis zum Jahr 2026 ab. Neben Standorten in Belgien und Frankreich sollen dann auch operative Stützpunkte in Italien, Indien und Saudi-Arabien vorhanden sein.

Der CEO der John Cockerill Group, François Michel, setzt die erwartete Übernahme von Arquus als einen „transformativen Schritt für den europäischen Verteidigungssektor im Bereich der leichten Panzer“ in einen größeren Rahmen. „Das kombinierte Angebot an leichten Panzertürmen und Fahrzeugen von John Cockerill Defense und Arquus wird wichtige Synergien erzeugen, die zu innovativeren und wettbewerbsfähigeren Fahrzeugen führen“, so Michel weiter.

Nach Angaben der Volvo-Gruppe sollen die jetzt anstehenden Konsultationen mit den Personalvertretungen der Firmen noch in diesem Quartal abgeschlossen werden, damit John Cockerill bald von seiner Kaufoption Gebrauch machen kann – vorbehaltlich behördlicher Zustimmung. Kommt die Übernahme zustande, entsteht ein weiterer Großkonzern auf dem europäischen Landverteidigungsmarkt und damit ein neues Beispiel für die Konsolidierung der Rüstungsindustrie.

Das Paradebeispiel der Rüstungsindustrie: Rheinmetall

Die Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie ist ein Prozess, der bereits mit dem Ende des Kalten Kriegs einsetzte. Kleine Unternehmen schlossen sich zusammen; größere schluckten die Konkurrenz. Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung ist Rheinmetall. Zwar wurde das Unternehmen 1889 bereits als Munitions- und Geschützhersteller gegründet und blieb dieser Sparte trotz nachkriegsbedingter Unterbrechungen und Diversifizierung in zivile Tätigkeitsfelder treu (MG42, Glattrohr des Leopard 2 etc.), doch setzte die Entwicklung zu einem der größten deutschen Rüstungskonzerne erst mit dem Mauerfall ein.

Eine erste Kompetenzerweiterung im Rüstungsbereich verschaffte sich Rheinmetall 1990 durch den Erwerb der MaK Systemgesellschaft (Hersteller gepanzerter Fahrzeuge), mit dessen Fähigkeiten das Unternehmen 1992 den Bergepanzer Büffel und 1995 die Panzerhaubitze 2000 auf den Markt brachte. In den 90er-Jahren baute Rheinmetall auch andere rüstungsspezifische Kompetenzen durch Einkäufe bzw. Anteilserwerb anderer Unternehmen aus. Dazu zählen unter anderem die STN Atlas Elektronik GmbH (1996), die Oerlikon Contraves AG (1999) und Defence-Landsystemen Henschel sowie KUKA (2000).

Rheinmetall hatte die erforderliche Neuordnung der europäischen Rüstungsindustrie nach der Wende erkannt und die richtigen Schlüsse gezogen. Ab 1999 wurde mit der Gründung von Rheinmetall DeTec AG (Defence Technologies) als Konzentration der Rüstungssparte die für die zukünftige Entwicklung notwendigen Konsolidierungen und Kooperationen durchgeführt.

Sinkende Verteidigungsetats als früherer Konsolidierungstreiber

Schaut man heute auf die Gründe für die Konsolidierung der Rüstungsindustrie in Europa und Deutschland nach dem Kalten Krieg, so findet man in den 90er und 2000er-Jahren sinkende Verteidigungsetats und schwindende Absatzmärkte als die entscheidenden Faktoren für veränderte Rahmenbedingungen. Unternehmen mussten Kompetenzen bündeln und sich neu aufstellen, um Kosten einzusparen und effektiver zu wirtschaften. Einen besonderen, wenngleich verzögerten Dämpfer erhielt die Industrie infolge der Staatsschuldenkrise 2008, der vielen Unternehmen enorme Umsatzeinbrüche, Sparprogramme und Stellenabbau einbrachte.

Heute ist für die gleichbleibende Entwicklung der Konsolidierung in der Rüstung eine diametrale Ausgangslage verantwortlich: Mit der russischen Annektierung der Krim 2014 und erst recht mit dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine 2022 stiegen europaweit die Verteidigungshaushalte oder wurden – wie im Falle Deutschlands – Sondervermögen für Neubeschaffung militärischen Geräts und Ausrüstung aufgesetzt.

Die Eile, die beispielsweise Deutschland beim (Nach-)Kauf von Waffen und Gerät an den Tag legt, führt mitunter auch dazu, dass beim Einkauf ins außereuropäische Ausland geschaut wird, was wiederum einheimische Unternehmen unter Zugzwang setzt.

Kompetenzbündelung als Grund für die heutige Konsolidierung

Bei der Betrachtung der letzten zehn Jahre fällt daher auf, dass Unternehmen aus anderen Gründen handeln, aber zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. Bei Rheinmetall war die Strategie „Wachsen durch Zukauf“ erfolgreich, sodass man an diesem Kurs festhält und gleichzeitig Kooperationen abbaut (Rückzug der Radpanzer aus dem Joint Venture mit MAN 2019; Kampfpanzer Panther ohne KMW).

Gleichzeitig ist eine transnationale Zusammenarbeit und Schaffung von Synergien auf dem Rüstungsmarkt in Europa politisch gewollt – wenn auch nicht immer mit ganzem Herzen. Beispiele hierfür sind die Gründung von KNDS 2015, Airbus Helicopters sowie Airbus Defence and Space oder das Projekt FCAS.

Bleiben die Kooperationen und Unternehmensverkäufe der Rüstungsindustrie in Europa – wie beim aktuellen Fall von Arquus – dann stärkten sie die gesamte europäische Industrie, indem sie den Exportdruck der europäischen Firmen mindern. Auch politisch würde Europa als außenpolitischer Akteur durch eine enger verzahnte Rüstungsindustrie gestärkt. Das allerdings bietet Risiken, denn Staaten können dabei einzelne Kompetenzen zugunsten einer europäischen Lösung verlieren. Zudem handeln die einzelnen europäischen Staaten immer noch nach nationalen Auslegungen der Exportregeln für Rüstungsgüter, was in der Vergangenheit bei transnationalen Unternehmen durchaus zu Problemen führte.

Die eingangs aufgeführten Beispiele Hensoldt, Diehl, Airbus und John Cockerill werden allerdings nicht die letzten Beispiele für die Konsolidierung der Rüstungsindustrie durch Zukäufe sein, da der Druck durch die sicherheitspolitische Lage bis auf weiteres bestehen bleibt. Spannend ist hierbei, inwiefern die Branchenriesen den Spagat zwischen mehr internationaler Zusammenarbeit und dem Wunsch, eigene Komplettlösungen auf dem Markt anbieten zu können, meistern werden. Und wie die Politik mit ihren Beschaffungen den Prozess steuern könnte, die USA gaben sich schließlich nicht umsonst jünst eine nationale Strategie zur Förderung der heimischen Rüstungsindustrie. Denn am Ende sind es die Käufer, die den Markt bestimmen – und der ist nicht überall wirklich offen.

Navid Linnemann

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