In Den Haag beginnt heute der NATO-Gipfel, der für die Sicherheit Europas und das transatlantische Bündnis entscheidende Weichen stellen könnte. Im Zentrum stehen höhere Verteidigungsausgaben, die Ukraine-Politik und die Rolle Deutschlands im neuen Kurs der Allianz. Doch spannend ist vor allem, welche Punkte nicht auf der Tagesordnung stehen – und warum.
„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben.“ Mit diesen Worten beginnt die Präambel des NATO-Vertrags. Eine Selbstverständlichkeit – eigentlich. Doch in den vergangenen Monaten hat gerade das größte Mitglied der NATO diesen Kern des Bündnisses torpediert.
Mit Kanada und Dänemark gerieten gleich zwei NATO-Staaten ins US-amerikanische Fadenkreuz. Ein Unding, wenn man sich die Präambel und auch die ersten beiden Artikel des NATO-Vertrages anschaut. Dennoch sollen weder die territoriale Integrität Dänemarks noch die Unabhängigkeit Kanadas auf die Tagesordnung des heute beginnenden NATO-Gipfels im niederländischen Den Haag kommen. Um den US-Präsidenten nicht zu verärgern, wird vermutet.
Auch sonst scheint es sich beim Gipfel um eine Unterhaltungsshow für Donald Trump zu handeln, auf dem hoffentlich auch Verteidigungspolitik behandelt wird. Würde man Trump verärgern könne dies gefährlich für den Fortbestand des Bündnisses werden. Und das in einer zunehmend gefährlichen Lage: Erst vor wenigen Tagen hatte der BND gewarnt, Russland könne schon bald die Ernsthaftigkeit der NATO-Beistandsverpflichtung auf die Probe stellen.
Lang erwartet: NATO-Gipfel in Den Haag
Auch deswegen will das transatlantische Bündnis mit dem NATO-Gipfel in Den Haag ein neues Kapitel der eigenen Geschichte aufschlagen. „Wir treffen uns in einem wahrhaft historischen Moment, der mit erheblichen und wachsenden Herausforderungen für unsere Sicherheit verbunden ist“, erklärte NATO-Generalsekretär Mark Rutte im Vorfeld des Treffens.
Da die Welt immer gefährlicher wird, werden die Staats- und Regierungschefs der Alliierten mutige Entscheidungen treffen, um unsere kollektive Verteidigung zu stärken und die NATO zu einem stärkeren, gerechteren und tödlicheren Bündnis zu machen.
– NATO-Generalsekretär Mark Rutte
Selten war ein Treffen der mittlerweile 32 Mitgliedsstaaten von so großer Tragweite: Angesichts der Bedrohung durch Russland, des andauernden Kriegs in der Ukraine und eines zunehmend ungewissen transatlantischen Verhältnisses stehen tatsächlich weitreichende Entscheidungen an.
Bereits Monate vor dem Gipfel in Den Haag war klar, dass es nicht um bloße Absichtserklärungen gehen wird – sondern um die konkrete Neuausrichtung der NATO auf eine langfristige Konfrontation mit autoritären Mächten, insbesondere mit Blick auf Moskau und Peking.
NATO-Ziel – Aus Zwei wird Fünf
Ein zentrales Thema ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Es ist gar nicht so lange her, dass sich die NATO-Mitgliedsstaaten auf dem Gipfel in Vilnius auf das Zwei-Prozent-Ziel verständigt hatten, doch inzwischen gilt dieses als unzureichend. Die Allianz strebt heute eine deutlich ambitioniertere Marke an: Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen künftig für sicherheitsrelevante Bereiche aufgewendet werden – davon 3,5 Prozent für klassische Verteidigungsausgaben und 1,5 Prozent für militärisch relevante Infrastruktur wie Brücken, Häfen und das Schienennetz.
Diese Zielsetzung ist Teil des Abschreckungskonzepts, welches Russland als akute Bedrohung des Bündnisses von einem Angriff auf NATO-Territorium abhalten soll. Auch wenn die meisten Staaten das Ziel begrüßen – und einige, wie die Niederlande, es schon umsetzen – gibt es auch Kritik.
Spanien kritisiert das Fünf-Prozent-Ziel als „unvernünftig“ und verweist auf soziale Verpflichtungen, die mit steigenden Rüstungsausgaben schwer vereinbar seien. Daher bleibt offen, wie deutlich die geforderte Erhöhung der finanziellen Mittel in das Abschluss-Dokument des NATO-Gipfels in Den Haag Einzug erhalten wird.
Kanzler Merz will die fünf Prozent
Besonders Deutschland steht im Fokus. Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hatte gleich zu Beginn ihrer Amtszeit den Rahmen für eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben gesteckt. „Wir werden beschließen, künftig deutlich mehr in unsere Sicherheit zu investieren“, sagte Kanzler Merz auch heute Mittag im Deutschen Bundestag, ohne jedoch konkrete Zahlen für Den Haag zu nennen.
Wir tun das nicht – wie vereinzelt behauptet wird – um den USA und ihrem Präsidenten einen Gefallen zu tun. Wir tun das aus eigener Anschauung und Überzeugung, weil vor allem Russland die Sicherheit und Freiheit des gesamten euro-atlantischen Raums aktiv uns aggressiv bedroht. Weil wir befürchten müssen, dass Russland den Krieg über die Ukraine hinaus fortsetzen wird.
– Bundeskanzler Friedrich Merz
Die Erhöhung der (reinen) Verteidigungsausgaben in Deutschland bis 2029 auf 3,5 Prozent des BIP zu erhöhen ist ein historischer Anstieg, der jährliche Rüstungsausgaben von dann rund 162 Milliarden Euro bedeuten würde. Neben neuer Waffensysteme für die Bundeswehr sollen auch sicherheitsrelevante Ausgaben zu mindestens 1,5 Prozent vom BIP ausgegeben werden. Davon würden dann Infrastrukturprojekte wie panzertaugliche Brücken, digitale Kommandozentralen und Cybersicherheitsmaßnahmen finanziert werden.
Es geht nicht nur ums Geld in Den Haag
Die Finanzierung ist allerdings nur eine Baustelle. Das Bündnis spricht viel lieber von Fähigkeiten, die durch seine Mitgliedsstaaten bereitgestellt werden sollen. Auch hier wird eine erhebliche Zunahme erwartet, die morgen auf dem NATO-Gipfel in Den Haag verkündet werden soll.
Für Deutschland könnte dies einen Aufwuchs um fünf bis sechs Brigaden bedeuten. Schon vor drei Wochen verkündete Verteidigungsminister Boris Pistorius beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister, er strebe einen Aufwuchs um 60.000 zusätzliche (aktive) Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten an. Diese Zahl könnte morgen noch einmal vergrößert werden.
Ob bei Geld, Personal oder Rüstungsbeschaffungen – Das Gipfelprogramm spiegelt die Dringlichkeit der Entwicklungen wider. Vieles wurde in den letzten Tagen und Wochen schon vorbereitet, doch erst wenn heute Abend und morgen die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, werden die Beschlüsse getroffen.
Nur zweieinhalb Stunden sind für die wichtigste Sitzung morgen angesetzt – um den US-Präsidenten in Den Haag nicht zu überfordern, nicht zu langweilen, heißt es. Es wird sich zeigen, ob Trump wieder aus der Reihe tanzt, oder sich so handzahm verhält, wie zuletzt beim Besuch des deutschen Kanzlers im Oval Office.
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