Zukunft Bundeswehr: +60.000 Soldaten – Neue NATO-Ziele, alte Strukturen?

Vor dem gestrigen Treffen der NATO-Verteidigungsminister brachte Boris Pistorius eine Personalaufstockung um bis zu 60.000 Soldaten für die Bundeswehr ins Spiel. Doch wie sollen diese verteilt, wie aufgestellt werden – und wo untergebracht? Es mangelt an Kasernen. Noch bestehende Liegenschaften werden – wie in Düsseldorf – derweil in neue Nachbarschaften umgewandelt. Das Land und die Bundeswehr stehen vor enormen strukturellen Veränderungen, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden. Einzig sicher ist: das Geld ist da.

Wie wird die Bundeswehr in Zukunft aufgestellt sein? Armee in der Demokratie Paradeaufstellung.
Wie wird die Bundeswehr in Zukunft aufgestellt sein?
Foto: CPM / Navid Linnemann

Die NATO zieht die Zügel an – aber nur gemächlich. In Fachkreisen wird seit Monaten darüber spekuliert, wie genau die neuen Anforderungen der NATO aussehen werden. Entschieden wird aber erst auf dem NATO-Gipfel am 24. und 25. Juni in Den Haag. Einen ersten Aufschlag machten die Verteidigungsminister der NATO-Staaten gestern bei ihrem Treffen in Brüssel.

Dort wurde der mögliche Fähigkeitsaufwuchs debattiert und zunächst intern beschlossen. Angedacht ist, dass die neuen Zielvorgaben der NATO an einem realistischen Bedarf ausgerichtet werden. Für die Bundeswehr könnte dies ein oder zwei neue Divisionen bedeuten – mit allem, was dazugehört: Kampfpanzer, Artillerie, Aufklärung, Logistik und Luftverteidigung. Auch der Anspruch an Fähigkeiten der Luftverteidigung und Cyberabwehr wird steigen.

Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, beim Family Photo NATO Defence Ministerial Meeting, in Brüssel am 05.06.2025.
Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, beim Family Photo NATO Defence Ministerial Meeting, in Brüssel.
Foto: Bundeswehr / Tom Twardy

„Ich nenne natürlich keine Details“, sagte Verteidigungsminister Pistorius, „aus einem einfachen Grund: Ich würde mir ungern von potenziellen Aggressoren in meine Karten schauen lassen.“ Doch über Größenordnungen für die Bundeswehr konnte der Minister dann doch sprechen.

Pistorius: Bis zu 60.000 zusätzlichen Soldaten

Diskutiert wurde in Brüssel nach Angaben der dpa über einen Aufwuchs der gesamten NATO um rund 30 Prozent.  Das beträfe zunächst einmal das Personal. Für die Bundeswehr geht Pistorius als „Daumengröße“ von 50.000 bis 60.000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten für die stehenden Kräfte aus. Diese Zahl sei notwendig, um die Landes- und Bündnisverteidigung glaubhaft aufstellen zu können.

Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius ist derzeit ein gefragter Mann.
Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius ist derzeit ein gefragter Mann.
Foto: Bundeswehr / Tom Twardy

Hintergrund ist hier die Annahme, dass Russland trotz des noch laufenden Ukraine-Kriegs bereits 2029 in der Lage sein könnte, ein NATO-Mitglied anzugreifen. Die Erwartung des Bündnisses lautet daher, dass Deutschland (und jeder andere Mitgliedsstaat) im Ernstfall schnell, schlagkräftig und voll ausgestattet Truppen zur Verfügung stellen kann.

In ihrer aktuellen Struktur und Stärke verfügt die Bundeswehr über rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten. Das bereits länger angestrebte Ziel von 203.000 wurde bisher nicht erreicht; woher sollen die zusätzlichen Kräfte also kommen? Es stellt sich die Frage, ob der neue Wehrdienst ausreichen wird. „Ich kann es immer nur wiederholen“, bekräftigte Pistorius, „uns nützt eine Wehrpflicht jetzt gar nichts, weil wir die Kapazitäten weder in den Kasernen noch in der Ausbildung haben.“

Infrastruktur schaffen – Wehrdienst und Kasernen

Die Unterbringung scheint tatsächlich ein Problem zu sein – egal, ob Wehrpflichtige, freiwillig Wehrdienstleistende oder Zeit- und Berufssoldaten. Zwar ist seit Kurzem Geld vorhanden, doch sprießen Liegenschaften nicht einfach so aus dem Boden. Hier wird zeitnah gebaut werden müssen. Dass dies schneller geschieht als bisher üblich, solle auch durch ein entsprechendes Gesetz ermöglicht werden, erklärte der CDU-Bundestagsabgeordnete Bastian Ernst im Gespräch mit CPM Defence Network.

Der Bundestagsabgeordnete der CDU, Bastian Ernst, auf einer Veranstaltung in Berlin.
Der Bundestagsabgeordnete der CDU, Bastian Ernst, auf einer Veranstaltung in Berlin.
Foto: CPM / Navid Linnemann

Neben dem Neubau für die Bundeswehr, könnte jedoch eine erneute Nutzung stillgelegter Liegenschaften infrage kommen. „Es gibt eine Anweisung“, berichtete Ernst, „für bestehende Kaserne, die in Zukunft privatisiert oder veräußert werden sollten. Man wird jetzt in den Prüfprozess gehen, welche Kaserne und welche Liegenschaften man für die Zukunft wieder verwenden kann. Damit sich nicht ein Landrat oder Bürgermeister freut, dass er ein Kasernengelände hat und da Wohnungen bauen kann – das wird nicht passieren.“

Konträr dazu meldet die Stadt Düsseldorf heute den nächsten Schritt im Bürgerbeteiligungsverfahren bezüglich der Bergischen Kaserne. Seit vergangenem Jahr sind Düsseldorferinnen und Düsseldorfer aufgerufen, Ideen für eine zukünftige Nutzung einzureichen und zu diskutieren. Von einer möglichen Weiternutzung der Liegenschaft für die Truppe weiß man in Düsseldorf bisher nichts.

Kann die alte Struktur der Bundeswehr bleiben?

Personalaufstockung und Unterbringung sind jedoch nur zwei Bausteine. Neue Soldatinnen und Soldaten müssen auch strukturell eingebunden werden. „Wir werden neue Großverbände bilden und voll ausstatten“, erklärte Pistorius, ohne näher auf eine mögliche Struktur einzugehen.

Der Minister bezeichnete diese Absicht für die Bundeswehr bereits als „Kraftakt“; er sei aber froh, dass mit dem Wegfall der Schuldengrenze für die Verteidigung in Deutschland entsprechende Voraussetzungen geschaffen wurden. Er wolle nicht über die Anzahl neuer Divisionen reden, sondern über die Einheiten darunter. Wie diese zu organisieren wären, sei dann eine andere Frage.

Noch steht der Fels in Düsseldorf – Was passiert mit der Bergischen Kaserne?
Noch steht der Fels in Düsseldorf – Was passiert mit der Bergischen Kaserne?
Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf

Es gibt noch kein Organigramm, wie etwa ein Zielbild Marine oder eine Heerestruktur betonte auch Ernst: „Wir haben noch keine Reformansicht der Bundeswehr. Die ist uns so noch nicht mitgeteilt worden. Wahrscheinlich wird das mit dem Gesetzgebungsprozess kommen. Dabei wird man nicht nur ein Wehrpflichtgesetz, sondern auch ein Gesetz zur Beschaffungsbeschleunigung und zur Infrastruktur vorlegen.“ Der Parlamentarier erwartet, dass diese Gesetze noch im Sommer in den Bundestag kommen.

Strukturwandel Bundeswehr – Die Zeit drängt

Die kommenden Jahre entscheiden darüber, ob Deutschland seiner neuen Rolle in der NATO gerecht wird. Boris Pistorius hat erkannt, dass es mehr braucht als Symbolpolitik. Ob aus seinen Plänen Realität wird, hängt nun von seiner entschlossenen Umsetzung und dem politischen sowie gesellschaftlichen Willen ab, Verteidigung als nationale Aufgabe zu begreifen – von der Kaserne in Düsseldorf über die Ausgestaltung der Wehrpflicht bis zum Kauf von Material.

„Das ist das Ziel, wir werden das jetzt alles auf den Weg bringen“, fasste Pistorius die laufenden Diskussionen den Aufwuchs von Fähigkeiten zusammen. Es gelte die Fußball-Weisheit, „den Ball eng am Fuß halten und schauen, was passiert“. Dann würden er und die Regierung prüfen, wann man gegensteuern oder eine andere Richtung einschlagen müsse, so der Minister.

 

Hinweis in eigener Sache: Bei der diesjährigen Rü.Net wird es speziell um das Thema NATO Minimum Capability Requirements gehen. Wir diskutieren mit ausgewiesenen Experten über die Auswirkungen auf Rüstung und Nutzung in der Bundeswehr, die nach dem NATO-Gipfel Ende Juni zu erwarten sind. Wenn Sie dabei sein möchten, finden Sie weitere Infos unter: cpm-verlag.com/event/rue-net/

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