Nach dem Trump-Selenskyj-Treffen: Europa braucht 300.000 Soldaten mehr

Nachdem das Treffen zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, scheiterte, versicherten im Grunde alle europäischen Staatschefs, inklusive Olaf Scholz und Friedrich Merz, dem ukrainischen Volk ihre anhaltende Unterstützung für dessen Freiheitskampf. Doch diese Unterstützung wird teuer.  300.000 Soldaten fehlen in Europa, jährliche Verteidigungsausgaben von 250 Milliarden Euro wären in der EU notwendig, sollten die USA sich tatsächlich zurückziehen.

Besonders nach dem Scheitern der Gespräche zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, muss Europa noch mehr zur Unterstützung des Freiheitskampfes der Ukraine leisten, denn die erfahrenen ukrainischen Soldaten sind aktuell die wirksamste Abschreckung gegen einen russischen Angriff auf die EU.
Besonders nach dem Scheitern der Gespräche zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, muss Europa noch mehr zur Unterstützung des Freiheitskampfes der Ukraine leisten, denn die erfahrenen ukrainischen Soldaten sind aktuell die wirksamste Abschreckung gegen einen russischen Angriff auf die EU.
Bild: Leonardo.ai

Europa müsste 50 zusätzliche Brigaden aufstellen und hierfür weitere 300.000 Soldaten mobilisieren, um sich ohne die USA gegen Russland zu verteidigen, so das Ergebnis einer Analyse des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel und des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, das die beiden wissenschaftlichen Institute vor wenigen Tagen vorlegten.

Doch Soldaten allein reichen nicht. Die Autoren gehen davon aus, dass diese größeren Streitkräfte zudem mindestens rund 1.400 neue Kampfpanzer und 2.000 Schützenpanzer benötigen. Dies wäre mehr, als die deutschen, französischen, italienischen und britischen Landstreitkräfte aktuell gemeinsam besitzen.

Dass ein solches Hochfahren der Produktion möglich ist, beweist Russland. Im Jahr 2024 hat das Land „1.550 Panzer, 5.700 gepanzerte Fahrzeuge und 450 Artilleriegeschütze verschiedener Bauarten hergestellt oder modernisiert“, so die Analyse. „Im Vergleich zum Jahr 2022 bedeutet dies eine Steigerung der Panzerproduktion um 220 Prozent, der gepanzerten Fahrzeuge und Artillerie um 150 Prozent und der Langstrecken-Lancet-Munition Drohnen um 435 Prozent.“

„Russland könnte in den nächsten drei bis zehn Jahren die militärische Stärke haben, um die EU-Staaten anzugreifen. Wir müssen dies als reale Gefahr einstufen. Auch deshalb ist es im größten europäischen Interesse, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern, der die Aggression Russlands nochmals beflügeln dürfte“, sagt Prof. Guntram Wolff, Mitautor der Analyse und Senior-Fellow am Kiel Institut für Weltwirtschaft. „Wenn jedes Land sich alleine verteidigen möchte, dann verursacht das höhere Kosten. Selbstversicherung ist teurer als kollektive Sicherheit. Eine engere Koordination und gemeinsame Beschaffung sind daher essenziell.“

Ohne die USA geht es (noch) nicht

Eines machen die Autoren allerdings ebenfalls deutlich, ganz ohne die USA kann Europa sich nicht verteidigen. „Die Ukraine und die EU sind auf einige wichtige strategische Hilfsmittel der USA angewiesen, darunter Geheimdienstinformationen und Satellitenkommunikation. Diese sind kurzfristig nur schwer zu ersetzen“, ist in der Analyse zu lesen. Und selbst wenn hierfür Ersatz aufgebaut würde, auch die Kampfkraft der amerikanischen Soldaten lässt sich nicht ohne weiteres abbilden.

So ist die „Kampfkraft von 300.000 US-Truppen wesentlich größer als die gleiche Zahl europäischer Truppen, die sich auf 29 nationale Armeen verteilen“, betonen die Autoren der Analyse. „Die US-Truppen würden in großen, zusammenhängenden Verbänden von der Größe eines Korps antreten, deren einheitliche Befehls- und Kontrollstruktur sogar noch enger ist als die des gemeinsamen NATO-Kommandos. Darüber hinaus werden die US-Truppen durch die amerikanischen strategischen Kräfte, einschließlich der strategischen Luft- und Raumfahrt, unterstützt, die den europäischen Streitkräften fehlen.“

Mehr Soldaten für die notwendige europäische Kampfkraft

Zur Ermittlung der tatsächlich notwendigen europäischen Kampfkraft haben die Autoren der Analyse sich an den US-Streitkräften und deren Fähigkeiten orientiert. „Nimmt man das III. Korps der US-Armee als Bezugspunkt, so würde eine glaubwürdige europäische

Abschreckung – beispielsweise zur Verhinderung eines schnellen russischen Durchbruchs im Baltikum – mindestens 1.400 Panzer, 2.000 Infanteriekampffahrzeuge und 700 Artilleriegeschütze (155mm-Haubitzen und Mehrfachraketenwerfer) erfordern. Dies ist mehr Kampfkraft, als die französischen, deutschen, italienischen und britischen Landstreitkräfte derzeit zusammen haben.“

Neben den reinen Waffensystemen ist zudem ein ausreichender Munitionsvorrat von entscheidender Bedeutung. Die Analysten der beiden Forschungsinstitute fordern einen Vorrat für 90 Tage „Gefechte mit hoher Intensität“, ein Ziel, das auch Deutschland aktuell nicht erfüllt.

Des weiteren steht in der Analyse: „Europa müsste auch Luftverkehrs- und Transportkapazitäten sowie Raketen- und Drohnenkriegskapazitäten und Kapazitäten für Kommunikation und Aufklärung schaffen. Dazu gehört auch die Aufstockung der Drohnenproduktion, um mit Russland gleichzuziehen.“

Hierfür ist eine Erhöhung der Produktion in ganz Europa notwendig. Die Autoren betonten: „Die Ausgaben für militärische Ausrüstung belaufen sich derzeit auf etwa 0,7 Prozent des BIP (G.B. Wolff u.a.: 2024), und müssten erheblich steigen. Unseren Berechnungen zufolge hat die polnische Regierung bei der jüngsten Erhöhung der Militärausgaben 70 Prozent der zusätzlichen Mittel für die Anschaffung von Ausrüstung verwendet. In ähnlicher Weise wurde das deutsche Sondervermögen ausschließlich für die Anschaffung von Ausrüstung verwendet.“

Ökonomisch machbar – aber mit Folgen

„Aus makroökonomischer Sicht kann Europa die USA vollständig ersetzen“, betonen die Autoren der Analyse in Bezug auf die Ukraine-Hilfen. „Seit Februar 2022 belief sich die militärische Unterstützung der Ukraine durch die USA auf rund 64 Milliarden Euro, während Europa einschließlich des Vereinigten Königreichs 62 Milliarden Euro bereitstellte. Im Jahr 2024 belief sich die militärische Unterstützung der USA auf 20 Milliarden Euro von insgesamt 42 Milliarden Euro. Um die USA im gleichen Umfang zu ersetzen, müsste die EU also nur rund 20 Milliarden Euro oder 0,12 Prozent ihres BIP aufwenden. Das ist aus makroökonomischer und finanzieller Perspektive zweifellos ein machbarer Betrag. Eine wichtigere Frage ist, ob Europa ohne die USA die realen Produktionskapazitäten besitzt, um die amerikanische Produktion zu ersetzen.“

Wesentlich schwieriger dürfte es zudem für die Länder werden, die Finanzierung des notwendigen eigenen militärischen Aufwuchses zu gewährleisten. Schließlich haben alle Gründerstaaten der EU nach dem Ende der Sowjetunion das Geld aus dem Bereich Verteidigung abgezogen, um damit soziale Themen zu finanzieren.

Die Konsequenzen der Trump-Dividende

Es wurde in den europäischen Nationen nach dem Ende des Kalten Krieges nicht gespart, sondern weiterhin ausgegeben, nur in anderen Bereichen – während die USA die Verteidigung finanzierte, ganz ohne Friedensdividende. Doch nun kommt die Trump-Dividende und die größeren europäischen Nationen werden wieder ihre eigene Verteidigungsfähigkeit finanzieren müssen. „Eine erste grobe Schätzung legt nahe, dass kurzfristig eine Erhöhung um etwa 250 Milliarden Euro jährlich (auf etwa 3,5 Prozent des BIP) notwendig ist“, so die Autoren der Analyse.

Deutschland ist aufgrund seiner geographischen Lage und seiner Wirtschaftskraft zur Übernahme einer führenden Rolle verpflichtet, um die Fähigkeiten der USA in und durch Europa nachzubilden. Doch dies wird kosten und eine entsprechende Anzahl an Soldaten und Material erfordern, wie die Autoren der Analyse ermitteln: „Deutsche Führung und deutsches Engagement werden entscheidend sein. Deutschland müsste allein mindestens die Hälfte der 125 Milliarden Euro aufbringen, um die deutschen Verteidigungsausgaben von 80 Milliarden Euro auf 140 Milliarden Euro zu erhöhen, was etwa 3,5 Prozent des BIP entspricht und durch gemeinsame EU-Mittel aufgestockt werden müsste.“

60 Milliarden mehr für die Bundeswehr entspräche den zusammengefassten Gesamtetats der Ministerien für Forschung, Gesundheit, Familie, Inneres und Wirtschaft. Dies zeigt, eine Finanzierung hin zu einer Bundeswehr, die in einem Konflikt NATO gegen Russland bestehen kann, wird zu starken Änderungen im Bundeshaushalt führen müssen. Ohne Kürzungen in anderen Bereichen geht es kaum, denn die Bundesschuld – also jener Anteil am Bundeshaushalt, der die Bezahlung der Kredite und vor allem Kreditzinsen beziffert – liegt mit 59,57 Milliarden Euro bereits heute an vierter Stelle. Mehr haben nur das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (175,68 Milliarden Euro), das Verteidigungsministerium (51,95 Milliarden Euro) sowie das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (44,15 Milliarden Euro).

Und doch sind Deutschland und dessen Soldaten für die Verteidigungsfähigkeit Europas entscheidend, wie die Autoren der Analyse hervorheben: „Derzeit bleiben die deutschen militärischen Fähigkeiten weit hinter den benötigten und den Verbündeten zugesagten Fähigkeiten zurück. Die Zusage Deutschlands aus dem Jahr 2022, der NATO bis 2025 und 2027 zwei Divisionen – in der Regel rund 40.000 Soldaten – zur Verfügung zu stellen, musste erhebliche Rückschläge hinnehmen. Dies wird sich ändern müssen, da der deutsche Beitrag angesichts seiner Größe sicherlich nahe an 100.000 zusätzliche Soldaten heranreichen müsste.“

Die Analyse der beiden Forschungsinstitute ist hier abrufbar.

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