Zukünftige Fähigkeiten für die Deutsche Marine

Ca. 70 Prozent der Erdoberfläche sind aktuell mit Wasser bedeckt. Durch den fortlaufenden Klimawandel ergeben sich Einflüsse auf Seewege, Küstenstrukturen und damit auf Operationsgebiete maritimer Kräfte. Deutschland als globale Handelsnation ist auf die Nutzung sicherer und ununterbrochener Seewege angewiesen. Rohstoffe, Halbzeuge und Produkte müssen über maritime Handelsrouten verteilt und/oder importiert werden. Damit ergeben sich starke nationale Interessen an der Sicherheit und Verfügbarkeit freier und uneingeschränkter Seewege. Gleichzeitig bedeutet dies, dass es Aufgabe und Interesse nationaler Maritimer Kräfte ist, deren Schutz sicherzustellen. Dieser Beitrag aus dem cpmFORUM geht daher der Frage nach, über welche Fähigkeiten die Deutsche Marine zukünftig verfügen muss.

Zukünftige Fähigkeiten der Deutschen Marine: Die Fregatte F217 BAYERN fährt im Atlantik auf dem Weg zum Indo-Pacific Deployment (o. l.). Foto: Bundeswehr/Sascha Sentw
Die Fregatte F217 BAYERN fährt im Atlantik auf dem Weg zum Indo-Pacific Deployment.
Foto: Bundeswehr/Sascha Sentw

Dies galt in der Vergangenheit und stellte das Handlungsmaxim deutscher Marinekräfte dar. Daneben hat gerade die sicherheitspolitische Veränderung seit 2014 gezeigt, dass Abschreckung und Verteidigung durchsetzungsfähiger Marinekräfte bedürfen. Für die Deutsche Marine bedeutet dies, dass sie die freie und sichere Nutzung der verteidigungsrelevanten Gebiete ermöglichen und gegebenenfalls einem Gegner deren Nutzung verwehren können muss. Die Deutsche Marine mit ihren wesentlichen Operationsräumen Nordatlantik, Nord- und Ostsee konzentriert ihr Interesse dabei besonders auf die Nordflanke der NATO.

Aufgaben und Einsatzgebiete der Deutschen Marine

Mit dem Zielbild Marine 2035+ hat der Inspekteur der Marine die zukünftigen Aufgaben beschrieben und hieraus die Ableitungen für die dazu benötigten Fähigkeiten hergeleitet. Über allem steht das auch in den Verteidigungspolitischen Richtlinien dargestellte Aufgabenportfolio. Dabei werden sicherlich auch in Zukunft Aufträge globaler Natur dabei sein. Mit Blick auf die erwartbare Sicherheitspolitische Lage werden allerdings Fragen der Abschreckung und Verteidigung national und im Bündnisrahmen im Vordergrund der operationellen Planungen stehen. Diese sind im gesamten NATO-Bündnisgebiet zu leisten.

Wie oben erwähnt sind aber vor allem für die nationale Verteidigung Nord- und Ostsee sowie der Nordatlantik von besonderem Interesse. Insbesondere der Ostseeraum – hier ist Deutschland mit seiner Marine der größte NATO-Staat – verlangt es, mit eigenen Mitteln eine hinreichende militärisch maritime Kontrolle erlangen zu können und somit einen Beitrag zur Abschreckung zu leisten. Dies führt der Inspekteur Marine so in seinem Zielbild aus.

Grundvoraussetzung für glaubhafte Abschreckung ist eine hohe zeitliche und örtliche Präsenz in den relevanten Seegebieten. Einerseits wird hierdurch gegenüber den Partnern der eigene Beistandswille dargestellt, ein wichtiger Faktor der Solidarität im Bündnis. Sie drückt aber auch die eigene Verteidigungsbereitschaft aus, mit den eingesetzten Kräften trägt sie zur Erstellung eines maritimen Lagebildes bei und ist Garant für die eigene erhöhte Reaktionsfähigkeit. Um eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung darstellen zu können, ist maritime Schlagkraft erforderlich.

Ein Minentaucher findet beim Absuchen der Anlandungszone eine Anti-Invasionsmine und markiert diese im Rahmen der Übung Very-Shallow-Water-Diving in der Ostsee (o. r.). Foto: Bundeswehr /Andrea Bienert
Ein Minentaucher findet beim Absuchen der Anlandungszone eine Anti-Invasionsmine und markiert diese im Rahmen der Übung Very-Shallow-Water-Diving in der Ostsee.
Foto: Bundeswehr / Andrea Bienert

In dem Zielbild wird dies als die Fähigkeit zum „maritime strike“ beschrieben und umfasst die Wirkung von See an Land, insbesondere auf gegnerische Führungseinrichtungen, Sensoren, Waffenstellungen und Logistikzentren. Durch „maritime strike“ können die Handlungsmöglichkeiten eines Gegners erheblich reduziert werden. Abwehr und Kampf gegen Ziele über Wasser und in der Luft ist eine wesentliche Voraussetzung, um einem Gegner die Nutzung eines Seeraumes zu verwehren. Besondere Bedeutung hat dabei die Erkennung und Bekämpfung von Zielen in der Luft mit dem Ziel, eigene Kräfte und Räume zu schützen.

Gerade mit Blick auf den Schutz der Versorgungswege über den Atlantik wird dieser Aufgabe zukünftig eine besondere Bedeutung zukommen. Mit dem Ende des Kalten Krieges hatte die Unterwasserseekriegsführung weitgehend ihre Bedeutung verloren. Im Zusammenhang mit der veränderten Sicherheitslage gewinnt das Operationsgebiet Unterwasser allerdings rasant an Bedeutung. Mit modernen Ubooten und anderen Unterwasserfahrzeugen ist es einem Gegner möglich, Unterwasser unentdeckt zu operieren und durch eine Vielzahl von Sensoren, ggf. Waffen und anderen Mitteln die eigene Operationsfreiheit massiv zu beeinträchtigen.

Aufgrund der verdeckten Einsatzmöglichkeiten ist es zudem schwer, gegnerische Unterwasseraktivitäten einem spezifischen Gegner zuzuschreiben. Hier kann nur durch eine durchgehende Erfassung, Auswertung und Dokumentation von Unterwasseraktivitäten mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Abhilfe geschaffen werden. Darüber hinaus müssen eigene Marinekräfte fähig und in der Lage sein, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Küstenverteidigung und Kampf um Küsten gerät oft aus dem Blickwinkel, wenn man über Aufgaben der Marine nachdenkt.

Erprobungsfahrt der Fregatte F222 BADEN-WÜRTTEMBERG, Typschiff der Fregatten-Klasse F125, im Skagerrak. Foto: Bundeswehr / Carsten Vennemann
Erprobungsfahrt der Fregatte F222 BADEN-WÜRTTEMBERG, Typschiff der Fregatten-Klasse F125, im Skagerrak.
Foto: Bundeswehr / Carsten Vennemann

Gleichwohl erfordern die geographischen Bedingungen an der Ostsee, militärisch relevante Positionen abzusichern und zu verteidigen. Bedrohungen liegen dabei nicht nur aus der Luft, sondern vor allem auch im Einsatz von Spezialkräften oder amphibischen Kräften. Moderne Kriege finden im multidimensionalen Raum statt. Unerlässlich ist daher ein Lagebild, das nicht nur die maritime Gesamtlage, sondern das aller Dimensionen und des elektromagnetischen Spektrums umfasst. Dabei kommt es darauf an, nicht nur Informationen zu erfassen, sondern sie auszuwerten und zu bewerten und in einem vernetzten Ansatz (national und international, zivil und militärisch) zu teilen und zu nutzen.

Personal und Material

Eine Fülle von Aufgaben. Doch auch für die Marine gilt, dass die Bundeswehr durch die demographische Entwicklung erheblich beeinflusst ist. Für die oben dargestellten Aufgaben verlangt es zum einen gut ausgebildetes Personal auf einem hohen Kompetenzlevel, alternativ oder ergänzend werden auf Basis der technologischen Entwicklung für viele der dargestellten Aufgaben zukünftig autonome Plattformen als Fähigkeitsträger zur Verfügung stehen. Durch den technologischen Wandel und moderne Ausrüstung steigen auch gleichzeitig die Anforderungen an die fachliche Ausbildung und die Grundbefähigung des eingesetzten Personals. Die letzten Entscheidungen zum Einsatz von Marinekräften zeigen die Wichtigkeit modernen und leistungsfähigen Materials auf.

Die leidige Diskussion, ob die verfügbare Munition der Fregatte HESSEN ausreichend sei, um die angewiesene Operation ausführen zu können, darf nicht der limitierende Faktor des Einsatzes maritimer Kräfte sein. Art und Anzahl der seegehenden Einheiten müssen der erwarteten Bedrohung entsprechen und in der Lage sein, die jeweiligen Operationen auszuführen. Mit dem Zielbild Marine 2035+ hat der Inspekteur aufgezeigt, über welche Einheiten er verfügen muss, um seine Aufgaben erfolgreich durchführen zu können. Verfügbares Personal, aber auch die Frage nach „mass matters“ zeigt auf, dass ein wesentliches Element zukünftiger Seekriegsführung der Einsatz unbemannter Plattformen sein muss.

Der Coordinator kommuniziert aus der Kanzel der Fregatte F 220 Hamburg mit der Besatzung des Bordhubschraubers Sea Lynx während des Starts im Rahmen der Missile Firing Exercise 2019, am 15.05.2019.
 Der Coordinator kommuniziert aus der Kanzel der Fregatte F220 HAMBURG mit der Besatzung des Bordhubschraubers SEA LYNX während des Starts im Rahmen der Missile Firing Exercise.
Foto: Bundeswehr / Marcel Kroencke

Dabei geht es nicht nur um unbemannte Plattformen als sog. „Einzelfahrer“, sondern auch und vor allem um deren Einsatz in Schwärmen aus mehreren „Drohnen“. Bereits in der Vergangenheit wurden dazu Überlegungen insbesondere im Bereich Ujagd und der Minenjagd angestellt, Technologien identifiziert und vorangetrieben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem deutschen Ansatz zur Realisierung. Die hier zu beherrschende Technologie ist in hohem Maße komplex und bedarf einer intensiven technologischen Vorbereitung. Sind die hierfür erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsmittel eingeplant und verfügbar?

Ist eine Realisierung über im Ausland einzukaufende Technologie vorgesehen? In Staaten wie USA, UK, Norwegen oder Frankreich gibt es – allerdings nach der dortigen Einsatzphilophie entwickelte – Technologien. Ob diese mit deutschen Einsatzverfahren für den Betrieb und Einsatz unbemannter ferngelenkter und bewaffneter Drohnen vereinbar sind, ist aktuell noch nicht sicher. Vielleicht wäre es an der Zeit, in einem gemeinsamen Ansatz – Marine als Bedarfsträger/Nutzer, nationale Industrie und bedarfsdeckender Beschaffungsbehörde im Dialog einen technologischen Ansatz zu entwickeln, der quasi als „White Box“ nationale Forderungen z.B. nach Cybersicherheit oder „Human in the Loop“ abdeckt.

SEA LYNX Bordhubschrauber auf der Fregatte SACHSEN bei schwerer See. Foto: Bundeswehr / Jan Pahl
SEA LYNX Bordhubschrauber auf der Fregatte SACHSEN bei schwerer See.
Foto: Bundeswehr / Jan Pahl

Für die im Zielbild dargestellten Einheiten gelten in der Deutschen Marine übliche Betriebsmodi, die einem bestimmten Zyklus unterliegen, der Zeiten der Instandhaltung, der Ausbildung zur vollen Einsatzfähigkeit und der Einsatzphase berücksichtigt. Dabei ist es das übergeordnete Ziel, grundsätzlich zwei Drittel der Flotte technisch voll einsatzfähig zu haben. Hiervon befindet sich das eine Drittel in der Einsatzausbildung hin zur Zertifizierung, das andere Drittel ist „combat ready“. Das letzte Drittel befindet sich in der Einsatznachbereitung bzw. Instandsetzung/Instandhaltung. Dieses Zyklusmodell ist neben den NATO-Forderungen und nationalen Aufgaben das bestimmende Element für den Kräfteumfang und Kräfteansatz der Marine.

Unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes unbemannter Plattformen in den einzelnen Fähigkeitsbereichen (z. B. Ujagd, Minenkriegsführung, Aufklärung, Anti-Air-Warfare) stellt sich die Frage, wie die Systemansätze für die Zukunft aussehen werden. Hier geht es aus hiesiger Sicht um die Zusammenstellung von Plattformen und Fähigkeiten, das Zusammenspiel unterschiedlicher Einheiten im Fähigkeitsspektrum sowie dem Zusammenspiel von bemannten und unbemannten Einheiten im „manned-unmanned teaming“.

Zielbild Marine 2035+ – Die künftige Struktur der Flotte. Grafik: Bundeswehr
Zielbild Marine 2035+ – Die künftige Struktur der Flotte.
Grafik: Bundeswehr

Die hiermit verbundenen Herausforderungen aus dem Dokument Marine 2035+ können ernsthaft und erfolgreich nur in einer frühzeitigen konzeptionellen Zusammenarbeit zwischen Industrie und Nutzer bewältigt werden. Für Deutschland stellt dieses einen wesentlichen Umbruch im Vorgehen dar und bedeutet eine Abkehr von einer über Jahrzehnte gelebten Realität des Dialogs und der Zusammenarbeit mit der Industrie. Mit Blick auf die Plattformen der Zukunft erhebt sich damit die Frage, wie diese aussehen müssen.

Muss für die Fähigkeit der Minenjagd zwingend ein neuer Minenjäger realisiert werden, oder kann diese Fähigkeit im Sinne eines „generic mine hunting“-Ansatzes auch von Plattformen mit anderen Aufgaben wahrgenommen werden? Sind Ansätze, derartige Fähigkeiten quasi containerisiert auf Container-Stellplätzen an Bord mitzuführen, für die Zukunft zielführend und handlungsleitend?

Gleiches könnte z. B. auch für die unbemannte Ujagd oder drohnengestützte Seefernaufklärung gelten. Oder wie sehen Versorgungsplattformen der Zukunft aus? Welche Aufgaben haben sie zu erfüllen? Aus Sicht eines Ingenieurs darf sicherlich nicht nur in Richtung eines einfachen Plattformersatzes gedacht werden, sondern auch in Richtung standardisierter Einheitsplattformen mit containerisiert verfügbaren Fähigkeiten, die je nach Aufgabe und Operationsplanung zusammengestellt werden können.

Ziel muss dabei allerdings immer die Aufgabenerfüllung auf der Basis von maritimer Schlagkraft, Durchhaltefähigkeit, Standkraft und Eigenschutz sein. Wie sieht unter diesem Aspekt die „standardisierte Einheitsplattform“ aus? Welche Fähigkeiten muss diese mitbringen? Aus hiesiger Sicht ist ein wesentliches erfolgsbestimmendes Merkmal Führungsfähigkeit. Kommunikationsmittel, Aufklärungs- und Führungsmittel stellen die Basis für ein relevantes gemeinsames plattformübergreifendes operationelles Lagebild dar.

Auf Basis dieses Lagebildes können die jeweiligen Aufgaben geplant, geführt und ausgewertet werden (ODAA-Loop). Dies alles bedeutet aus hiesiger Sicht, dass gemeinsam zwischen Bedarfsträger, Beschaffer und Industrie fähigkeitsrelevante Technologien zu identifizieren sind und in einem gemeinsamen Ansatz zur Anwendungsreife gebracht werden müssen, um dann in zukünftigen Vorhaben zum Einsatz zu kommen.

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