„Einen Arzt zu töten ist so, als würde man einhundert Soldaten töten”, stellte Colonel Paul Parker, Facharzt für Trauma- und orthopädische Chirurgie der British Army, an den Beginn seines Beitrags auf der diesjährigen DiMiMED in Düsseldorf, um die Bedeutung des Sanitätswesens für die Streitkräfte zu verdeutlichen. Auf der 12. internationalen Fachkonferenz für Katastrophen- und Militärmedizin diskutieren heute und morgen Vertreter aus 26 Nationen aktuelle Problemstellungen und Entwicklungen der militärmedizinischen Versorgung. Die von der cpm GmbH organisierte Tagung findet im Rahmen der medizinischen Fachmesse MEDICA statt.
Das Motto der DiMiMED 2024 – Changing Times, Times for a Change – trifft gleich auf mehreren Ebenen zu. Die gegenwärtigen Kriege und Konflikte sorgen bei Streitkräften weltweit für ein Umdenken. Hierzulande findet mit der ‚Zeitenwende‘ eine Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung statt. Im Feld der Militärmedizin zwingen die Erfahrungen aus Israel und Ukraine gleich zu einem Umdenken in verschiedenen Bereichen. Erfahrungen, die besonders die Redner aus der Ukraine mit aktuellen Beispielen eindrücklich auf der DiMiMED darstellen konnten
Rotes Kreuz als Zielscheibe
Bereits die Frage, ob das ‚red cross‘ nicht längst zum ‚dreaf cross‘, zum gefürchteten Kreuz geworden sei, da es zunehmend als Zielscheibe verwendet wird, ändert das Vorgehen des Sanitätswesens. Zahlreiche Beispiele aus der Ukraine zeigen, dass Russland das rote Kreuz auf Fahrzeugen, Armbinden und Gebäuden längst nicht mehr als Schutzzeichen akzeptiert. Seit der russischen Vollinvasion habe es bereits mehr als 2.000 dokumentierte Angriffe auf die medizinische Infrastruktur der Ukraine gegeben.
„Darüber hinaus werden medizinische Vorräte und medizinische Einrichtungen zerstört“, erklärte Prof. Dr. Mikhailo Badiuk von der ukrainischen Militärakademie in Kyjiw in seiner Eröffnungsrede auf der DiMiMED diese besondere Herausforderung eines scheinbar gezielten russischen Vorgehens. „All dies trägt dazu bei, dass die Ukraine das Verletzlichste verliert, was sie hat: Menschenleben.“
„Ich denke, wir müssen ganz pragmatisch akzeptieren, dass das Rote Kreuz kein Schutz mehr für uns sein wird“, bestätigte auch Colonel Parker und führte in seinem Vortrag auf er DiMiMED mögliche Alternativen an. Anstelle eines mit rotem Kreuz auf weißem Grund gekennzeichneten Sanitätszeltes, wie es bis vor wenigen Jahren Standard war, kommen für die erste Versorgung von Verwundeten mobile und unauffällige Lösungen infrage, z. B. als Supermarkt-Lkw getarnt.
Wenn kein ausreichender Schutz über starke Luftverteidigungssysteme gewährleistet werden könne, dann müsse mit dem Feldlazarett in einen Bunker oder gar Höhle ausgewichen werden – möglichst weit weg von der Front.
Gefährliche Evakuierung
„Alles, was sich länger als 20 bis 30 Sekunden im Freien befindet, wird zum Ziel und stirbt“, benannte Colonel Parker ein zusätzliches Problem bei der Erstversorgung. Helfende Kameraden werden zur Zielscheibe, wenn kabelgebundene Drohnen bereits darauf warten, dass ein verwundeter Soldat aus der Gefahrenzone gebracht werden soll.
Dr. Badiuk zeigte dazu eindrückliches Videomaterial, in der es den ukrainischen Soldaten nur mit Mühe gelingt, den Kameraden innerhalb weniger Sekunden auf die Ladefläche eines Pick-ups zu ziehen – in einem anderen Video sind eine Handvoll Soldaten und die Trage in ihrer Mitte zu langsam.
Ein Thema bei der DiMiMED-Fachtagung: Technische Innovationen sollen zunehmend Menschen aus der Schusslinie nehmen und genau diesen völkerrechtswidrigen Angriff auf Sanitäter verhindern.
Unbemannte Systeme können den ersten Transport von der Frontlinie übernehmen, bevor es dann in sicherer Entfernung auf herkömmlichen Wegen weitergeht. Wichtig sei allerdings, dass technologische Lösungen nah an den Nutzern entwickelt werden, wie Lieutenant Colonel (ret.) Prof. Dr. Pinchas Halpern, ehemaliger Vorsitzende der Abteilung für Notfallmedizin am Tel Aviv Medical Center, betonte.
„Die meisten Zivilisten, die neue Technologien entwickeln, wissen nichts über solche [militärischen] Rahmenbedingungen.“, erklärte Dr. Halpern den Fall eines neu entwickelten Ultraschallpflasters, welches anzeigen sollte, ob Verletzte innerlich bluten. „Diese Leute waren noch nie im Kampfeinsatz. Sie sind großartige Ingenieure, aber sie vergessen, dass diese Pflaster nicht auf blutigen, verschwitzten, sandigen Oberkörpern kleben – auch nicht auf behaarten Oberkörpern.“
Ein Beispiel, welches deutlich vor Augen führt, dass die auf der in den Messehallen der MEDICA vorgestellten Produkte nicht ohne Weiteres Verwendung im militärischen Kontext finden können. Eine eigene Betrachtung ist unerlässlich.
DiMiMED 2024 – Paneldiskussion mit offener Frage
Auf der DiMiMED in Düsseldorf wurden dementsprechend genau diese speziellen technologischen Möglichkeiten diskutiert und von den 22 Industrieaustellern teilweise auch präsentiert. Die rund 200 angereisten Fachteilnehmer aus 26 Nationen diskutierten neben neuen Produkten, aktuellen Herausforderungen in der Verwundetenversorgung auf dem Schlachtfeld und Fragen des humanitären Völkerrechts auch den Umgang mit seelischen Belastungen im Angesicht von Katastrophen und Kriegen.
Am zweiten Tag Veranstaltung steht daher ein ausführlicher Block Mental Health auf dem Programm in Düsseldorf. Auch ein Themenblock Force Fitness und die Verleihung eines Preises für das beste Poster der DiMiMED 2024 werden morgen vergeben.
Zum Ende des ersten Tages der DiMiMED wurde auf der abschließenden Paneldiskussion noch einmal die heikle Frage der Schutzwirkung des Roten Kreuzes diskutiert. Ein Podiumsteilnehmer konstatierte eine bereits seit zwanzig Jahren abnehmende Bindung an die grundlegende Regel des humanitären Völkerrechts, dass Personal und Einrichtungen zur Verwundetenversorgung keine legitimen Ziele sind.
Andere Teilnehmer erkannten das Problem an, konnten aber keine Lösung finden, wie mit der Tatsache umgegangen werden solle, dass sich militärische Akteure wie Russland oder terroristische Gruppen nicht an die Genfer Konventionen gebunden fühlen. Einigkeit bestand darin, diese ethische Diskussion auch unter den anwesenden medizinischen Fachleuten bei einer andere Gelegenheit zu vertiefen – zum Schutz der Genfer Konventionen.
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