Die zukünftigen mechanisierten Divisionen des Heeres

Seit der Annexion der Krim durch die Russische Föderation im Jahr 2014 hat sich das Heer wieder intensiver mit den Potentialen eines nahezu gleichwertigen mechanisierten Gegners wie Russlands Landstreitkräfte beschäftigt. Damit begann bereits vor fast einer Dekade die Refokussierung der Divisionen des Heeres auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Landes- und Bündnisverteidigung noch einmal an Bedeutung gewonnen.
(Dieser Artikel erschien zuerst im cpmFORUM 5/23)
Divisionen des Heeres: PIRANHA in offenem Gelände mit Pioniergerät. 2. Tranche der Schweizer Armee: PI PZ 21 8X8 GL PIRANHA IV MFZ. Foto: VBS / DDPS
PIRANHA in offenem Gelände mit Pioniergerät. 2. Tranche der Schweizer Armee: PI PZ 21 8X8 GL PIRANHA IV MFZ.
Foto: VBS / DDPS

Erste Erkenntnisse des Ukrainekrieges bestätigen, dass dem Gefecht verbundener Waffen im Rahmen Operationen verbundener Kräfte weiterhin eine hohe Bedeutung zukommt. Durch eine Vielzahl an technischen Neuerungen, einen hohen Grad an Vernetzung und den massiven Einsatz moderner, insbesondere luftgestützter Sensoren, ist das heutige Gefechtsfeld annähernd gläsern, hochdynamisch sowie, relativ unabhängig von der Entfernung zur Front, hoch letal. Gleichzeitig zeigt sich, dass traditionelle Fähigkeiten weiterhin relevant bleiben und eingebunden werden.

Wie soll das Heer also zukünftig aussehen, um diesen Bedrohungspotentialen gerecht zu werden? Um der Politik einen wohlsortierten Kräfte- und Fähigkeitsmix zum Zwecke der Abschreckung an die Hand zu geben und um gleichzeitig über eine operationelle Flexibilität zu verfügen, hat das Heer 2017 begonnen, seine immanente Verantwortung für die Führung der Dimension Land und der Landstreitkräfte sichtbar zu vertreten. Die auf Afghanistan ausgerichtete Struktur HEER2011 ist Geschichte. Seit 2021 wird klar, dass die Einsatzkräfte des Heeres in ein neues Zielbild gebracht werden.

„Nur wer sich am anspruchsvollsten Auftrag ausrichtet, hat das Beste getan, auch Unvorhergesehenes zu bewältigen.“ Diesem Leitspruch aus den operativen Leitlinien des Heeres folgend, wird die heute absehbare Ausgestaltung der beiden mechanisierten Divisionen des Heeres mit Blick auf 2030+ genauer betrachtet.

In diesem erfahren vor allem die Unterstützungskräfte eine deutliche Stärkung. Als ein wesentliches Element werden die Divisionen des Heeres zukünftig wieder organisch über Divisionstruppen in Form von Aufklärungs-, Artillerie-, Pionier-, Versorgungs- und Fernmeldebataillonen verfügen. Dies ermöglicht dem Divisionskommandeur die Aufstellung seiner Division als funktionierender Großverband. Für den jeweiligen Auftrag werden die Divisionen des Heeres die erforderliche Truppeneinteilung wieder aus der Grundstruktur heraus flexibel einnehmen können.

Die Divisionen des Heeres werden sich, der NATO-Lehre folgend, in drei Kräftekategorien aufstellen. Bisher wollte Deutschland über weltweit schnell verlegbare leichte sowie durchsetzungsfähige, mechanisierte Kräfte verfügen. Wie wir in Übungen sehen, ist deren Verlegung mit immensen logistischen und zeitlichen Herausforderungen verknüpft. Mit Blick auf das von Russland gezeigte operative Verhalten seiner Landstreitkräfte scheint es sich zu bestätigen, dass es dem Heer an ausreichend durchsetzungsstarken und gleichzeitig schnell eigenverlegbaren Radkräften fehlt. Diese, durch die NATO als „Mittlere Kräfte“ bezeichnete Kräftekategorie, wird zukünftig fester Bestandteil der Heeresstruktur.

Die Divisionen im Zielbild Einsatzkräfte Heer. Grafik: Autor
Die Divisionen im Zielbild Einsatzkräfte Heer.
Grafik: Verfasser

Wie sieht das Ganze in den zukünftigen Divisionsstrukturen aus? Während in der Division Schnelle Kräfte die leichten Kräfte gebündelt sind, werden die beiden mechanisierten Divisionen des Heeres zukünftig jeweils Brigaden mit schweren, überwiegend kettenbasierten Kräften und Brigaden mit durchgängig radbasierten Kräften beinhalten.

Die Divisionen sollen wieder in der Lage sein, das Gefecht der verbundenen Waffen in allen Intensitäten zu führen und die notwendige Ertüchtigung zur Bewältigung der Herausforderungen zukünftiger Kriegsführung erhalten. Doch welche Anforderungen werden dazu an die Verbände und Großverbände der mechanisierten Divisionen des Heeres gestellt? Und wie haben diese Forderungen Einfluss auf die Ausgestaltung der Verbände und Einheiten?

Eine Division des Heeres führt und koordiniert dimensionsübergreifende Operationen sowie den Kampf in der Tiefe im gesamten Operationsraum Land. Insbesondere für die mechanisierten Divisionen gilt, dass deren Divisionstruppen so aufgestellt sind, dass sie die Brigaden mit fehlenden Fähigkeiten unterstützen. Zu diesen organischen Fähigkeiten gehören beispielsweise Flugabwehr, der Übergang über breite Gewässer, weitreichende Aufklärung, weitreichendes indirektes Feuer zum Zerschlagen von gegnerischer Artillerie und von Reservekräften.

Führung der Divisionen des Heeres

Die Führungsstruktur dieser Großverbände wird so ausgelegt sein, dass Fähigkeiten wie zum Beispiel Elektronischer Kampf, Wirken im Informationsumfeld mit weitreichenden Mitteln, Effektforderungen an andere Teilstreitkräfte oder ABC-Abwehr aus einer Hand koordiniert werden können. Die nahtlose Einbindung in die Kommandostrukturen der NATO erfolgt als Grundvoraussetzung der Einmeldung dieser Divisionen im Rahmen der NATO-Verteidigungsplanung.

Die Divisionen des Heeres werden damit auch ihrer Rolle als Hauptandockpunkt multinationaler Kräftebeiträge gerecht. Diese Multinationalität ist seit dem 30. März 2023, mit der vollständigen Integration aller drei niederländischen Heeresbrigaden in jeweils eine der deutschen Heeresdivisionen, gelebte Realität.

PANZERHAUBITZE 2000 im scharfen Schuss während der Übung White Eagle des Artillerielehrbataillons 325 auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow. Foto: Bundeswehr / Marco Dorow
PANZERHAUBITZE 2000 im scharfen Schuss während der Übung White Eagle des Artillerielehrbataillons 325 auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow.
Foto: Bundeswehr / Marco Dorow

Voraussetzung für das zielgerichtete Wirken gegen einen Gegner ist eine allumfassende und resiliente Führungsfähigkeit, welche Führungs- und Wirkungsüberlegenheit ermöglicht. Die durchgehende Digitalisierung aller Ebenen und Kräfte ist zwingend notwendig. Nur so wird eine voll umfassende Vernetzung von verteilt operierenden Sensoren und Effektoren erreicht. Die Zeit zwischen Zielidentifizierung und Bekämpfung muss bei den Divisionen des Heeres auf ein Minimum reduziert werden.

Auch die Entscheidungsfindung militärischer Führer und ihrer Stäbe kann mittels Künstlicher Intelligenz in unterstützenden Funktionen beschleunigt werden, weil sie Aufklärung, Entschlussfindung, Bekämpfung und erneute Wirkungskontrolle in einem durchgängigen, zumeist zeitgleich ablaufenden Prozess vereint. Bereits heute sehen wir das erfolgreiche Zusammenwirken von Sensoren und Effektoren. Die ukrainischen Streitkräfte setzen sehr erfolgreich Drohnen zur Zielidentifizierung und Wirkungskontrolle ein.

Auf russischer Seite hingegen hat ein unmittelbar an elektromagnetische Aufklärungsergebnisse gekoppeltes Feuerleitsystem der Artillerie Erfolge gezeigt. Zukünftig erlangt die „Sensor to Shooter Chain“ übergeordnete Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Brigaden der Mittleren Kräfte, welche mechanisierte, gepanzerte Feindkräfte abstandsfähig, unter Vermeidung von Duellsituationen, erfolgreich bekämpfen sollen. Bereits heute bedarf es einer hohen Mobilität und Flexibilität von Führungseinrichtungen.

Die zukünftige Ausstattung der Führungsunterstützungskräfte wird deshalb einen noch höheren Grad an Mobilität, Auflockerung und, wo erforderlich, Schutz durch Härtung aufweisen. Wo immer möglich, erfolgt eine Abstützung auf Reachback-Fähigkeiten und -Verfahren. Mit Blick auf die stetig zunehmenden Möglichkeiten und deren Anwendung in der Führung des Kampfes im elektromagnetischen Spektrum müssen die Führungsmittel redundant ausgelegt sein. Die Ukraine zeigt, dass trotz aller technischen Fortschritte Karte, Kompass und Kradmelder nicht an Bedeutung verlieren.

Die Aufklärungskräfte der mechanisierten Divisionen werden nach wie vor über einen Sensormix aus fahrzeuggebundener und abgesessener Spähaufklärung, Feldnachrichten, bodengebundener Radaraufklärung und luftgestützter, unbemannter Aufklärung verfügen. NATO-Vorgaben, abgeleitet aus den gegnerischen Landkriegspotentialen, und erweiterte Aufgaben, wie zum Beispiel das Überwachen von rückwärtigen und überdehnten Räumen, stellen jedoch höhere technische Anforderungen an die Aufklärungssysteme und deren Durchsetzungsfähigkeit.

Für die Aufklärungskräfte der Divisionen des Heeres wird eine Eindringtiefe von 160 km durchhaltefähig gefordert. Derzeit erreicht diese Eindringtiefe keiner der eingeführten Sensoren. Diese Fähigkeitslücke ist schnellstmöglich zu schließen. Für die Aufklärungskräfte auf Brigadeebene beträgt die geforderte Eindringtiefe 80 km. Dies ist bereits heute realisierbar. Dennoch werden die Sensoren und Plattformträger der Brigaden mittel- bis langfristig mit modernen Systemen erneuert.

Digitale Vernetzung mit Effektoren und Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Beschleunigung der Auswertung sind dazu selbstverständliche wie stetige Weiterentwicklungen. Insbesondere die Aufklärungskräfte der Mittleren Kräfte benötigen die Fähigkeiten zur robusten Überwachung von stark überdehnten und rückwärtigen Räumen, um sich und anderen das „Operieren unter Schutz“ zu ermöglichen.

Der Pionierpanzer 3 KODIAK kann sich dank seines 9 m langen Auslegers flexibel im Gelände bewegen. Foto: Rheinmetall Defence
Der Pionierpanzer 3 KODIAK kann sich dank seines 9 m langen Auslegers flexibel im Gelände bewegen.
Foto: Rheinmetall Defence

Um den Raum eines Gegners frühzeitig durch Wirkung zu beherrschen, den Gegner auf Distanz auszuschalten und den unteren Führungsebenen Zeit für Bewegungen und schnelle Reaktionen zu verschaffen, sind neben Feuergeschwindigkeit, Beweglichkeit und Schutz die Forderungen an die Wirktiefe indirekter Waffensysteme gestiegen. Verbündete und gegnerische Streitkräfte haben bereits heute einen deutlichen Reichweitenvorteil. Die Bedeutung indirekter Feuerunterstützung zeigt sich eindrucksstark im Ukraine-Krieg.

Abgeleitet aus diesen Erkenntnissen und den Auswertungen gegnerischer Potentiale besteht für die Rohrartillerie eine Reichweitenforderung von mindestens 75 km und für die Raketenartillerie von 300 km+. Das Heer trägt den gestiegenen Anforderungen mit einem quantitativen und qualitativen Aufwuchs der Artillerieverbände Rechnung. Die dargestellte Neuausrichtung der Divisionen des Heeres in den drei Kräftekategorien bedingt eine Mischausstattung der Artillerietruppe. Das Rückgrat der Artillerieverbände der schweren Brigaden wird bis auf Weiteres unverändert die PANZERHAUBITZE 2000 bilden.

Die Brigaden Mittlere Kräfte bei den Divisionen des Heeres werden hingegen mit einer radbeweglichen Haubitze zielausgestattet. Um aus der Tiefe des rückwärtigen Divisionsraumes effektive Feuerunterstützung für die Brigaden sicherzustellen, werden die Divisionstruppen eine Mischausstattung aus Rohr- und Raketenartillerie mit hoher Reichweite erhalten. Ob diese ausschließlich radbasiert aufgestellt werden, wird noch zu entscheiden sein.

Für die unmittelbare Feuerunterstützung der Kampftruppe im Nahbereich plant das Heer, zunächst vorrangig für die Mittleren Kräfte, die Einführung von Loitering Munition und eine radbewegliche Mörserplattform, welche es erlaubt, unmittelbar aus der Bewegung zu wirken. Diese Fähigkeiten werden direkt in die Kampftruppenverbände integriert.

Pionierkräfte in den mechanisierten Divisionen des Heeres

Für die Pionierkräfte der mechanisierten Divisionen des Heeres bleiben unverändert die klassischen Aufgaben Hemmen und Fördern von Bewegungen sowie Erhöhung der Überlebensfähigkeit bestehen. Auch hier bedingen die unterschiedlichen Kräftekategorien eine rad- und kettenbasierte Ausstattung der Pioniertruppe. Mittlere Kräfte werden ausnahmslos radbewegliche sowie Schwere Kräfte überwiegend kettenbasierte Pionierfähigkeiten erhalten. Das Pionierbataillon der Division hingegen wird eine Mischausstattung aufweisen, um sowohl die Divisionstruppen als auch die Brigaden unterstützen zu können.

Ausgerichtet auf den Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung und unter Berücksichtigung gegnerischer Potentiale muss die Pioniertruppe innerhalb der Divisionen des Heeres in den nächsten Jahren in jedem Falle einen Fähigkeitsaufwuchs erfahren. Insbesondere in die eigene Sperrfähigkeit, die Fähigkeit zum Räumen von Sperren und die Befähigung zum Überwinden von breiten Gewässern werden wir erheblich investieren müssen, um den geforderten quantitativen und qualitativen Aufwuchs zu erreichen.

Ein SKYRANGER aus dem Hause Rheinmetall. Foto: Rheinmetall Defence
Ein SKYRANGER aus dem Hause Rheinmetall.
Foto: Rheinmetall Defence

Was für Führungseinrichtungen gefordert wird, gilt für logistische Versorgungseinrichtungen gleichermaßen – hohe Beweglichkeit und flexible Versorgung, um sich einer gegnerischen Bedrohung entziehen und den eigenen Truppen in ihrer beweglichen Gefechtsführung folgen zu können. Mittel- bis langfristig wird autonomen Transportsystemen unterschiedlicher Größenordnungen eine tragende Rolle zukommen.

Zunächst bedeutet die bewegliche Bereithaltung der Versorgungsgüter für eine mechanisierte Division jedoch eine umfangreiche Lkw-Flotte mit Wechselladesystemen sowie die Ausstattung mit leistungsstarken Umschlagmitteln. Werden die logistischen Kräfte aktuell bereits modern ausgestattet, so besteht die Herausforderung der nächsten Jahre vor allem im quantitativen Aufwuchs des identifizierten Mehrbedarfs logistischer Kräfte von der Kompanie- bis zur Divisionsebene. Während die Versorgungsbataillone der Brigaden unverändert für die Versorgung eigener Truppe verantwortlich bleiben, sind die zukünftigen Versorgungsbataillone der Divisionen des Heeres ausschließlich für die Versorgung der Divisionstruppen zuständig.

Beispielhaft bedeutet allein die Versorgung der Artillerie für diesen Verband eine hochdynamische, komplexe Aufgabe.
Abschließend ist der Blick noch auf den Umgang der Landstreitkräfte in Bezug auf die Bedrohung aus der Luft notwendig. Das Potential Russlands ist hier ausgeprägt, während eigene Landstreitkräfte derzeit nicht über Fähigkeiten zur wirksamen Abwehr von Bedrohungen aus dem bodennahen Luftraum im Nah- und Nächstbereich verfügen.

Fazit: Die Divisionen des Heeres sind gut aufgestellt

Diese Ende 2010 „selbst gemachte“ und seitdem fortbestehende Fähigkeitslücke wird zeitnah geschlossen. Sowohl auf Brigade- als auch auf Divisionsebene werden wieder eigene Elemente zur Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich organisch ausgebracht. Die Umsetzung und die Abbildung der benötigten Fähigkeiten werden derzeit in enger Abstimmung mit der Luftwaffe forciert vorangetrieben.

Die zukünftige Ausgestaltung der mechanisierten Divisionen des Heeres bringt Vertrautes aber vor allem viel Neues mit sich. Im Gegensatz zu bisherigen Anpassungen ist es jedoch nicht nur einfach der Schritt in „die Folgestruktur“, sondern vielmehr der Beginn eines vom rasanten technologischen Fortschritt geprägten, höchstwahrscheinlich kontinuierlichen Anpassungsprozesses der Landstreitkräfte. Mittels Test- und Versuchsverbänden öffnen wir uns, um Innovationszyklen auch unmittelbar in der Truppe folgen zu können.

Mit dem Blick auf die heutigen und mittelfristig zu erwartenden gegnerischen Landkriegspotentiale ist das Heer vom Erkennen der Notwendigkeit her für die nächsten Jahre gut aufgestellt. Jetzt sollte auch alle Kraft und zusätzliche Finanzen in die zügige Vollausstattung der Einheiten und Verbände in den Divisionen des Heeres gesteckt werden.

Oberstleutnant Marko Pfitzner,
Abteilung Planung, Unterabteilung IPD/CPM, Referent Grundsatzangelegenheiten, Kommando Heer

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