Flugabwehr im maritimen Umfeld

In den Jahrzehnten nach Ende des Kalten Krieges hat sich die Flugabwehr für schwimmende Einheiten der Deutschen Marine aus ihrem ursprünglichen militärischen Umfeld in ein den aktuellen Bedrohungen entsprechendes Szenario mit vielfältigen symmetrischen und asymmetrischen Bedrohungen hin entwickelt. In diesem Beitrag aus dem cpmFORUM 2/24 geht unser Autor tiefer auf das Thema Flugabwehr im maritimen Umfeld ein.

Flugabwehr im maritimen Umfeld: EIne Fregatte der Sachsen-Klasse verschiesst eine Flugabwehrrakete.
Flugabwehr im maritimen Umfeld: EIne Fregatte der Sachsen-Klasse verschiesst eine Flugabwehrrakete.
Foto: Deutsche Marine

Auch die Art der Effektoren zur Abwehr hat sich verändert. Wurden in der Zeit nach 1955 noch hauptsächlich Rohrwaffen zur Bekämpfung von Luftzielen eingesetzt, machte die umfassende Einführung von Strahlflugzeugen und aufkommenden Seezielflugkörpern als Angreifer auch ein entsprechendes agiles Abwehrmittel notwendig. Dem folgend hat sich seit dieser Zeit sowohl die Ausrüstung zur Flugabwehr auf Marineschiffen als auch die taktischen und prozeduralen Verfahren sowie die Ausbildung kontinuierlich angepasst und verändert.

Das Fähigkeitsspektrum der Deutschen Marine beinhaltet neben den bisherigen typischen Fähigkeiten zum Unterwasser- und Überwasserseekrieg auch der Luftbedrohung angepasste Fähigkeiten (Seekrieg aus der Luft).

Betrachtet man das Aufgabenspektrum von Marineschiffen in den ihnen zugewiesenen Operationsräumen, so ist immer auch die Frage der Luftbedrohung und der Flugabwehr im maritimen Umfeld mit zu betrachten – und das auch über den Bereich des Seeraumes hinaus.

Die technologische Weiterentwicklung der Flugabwehr für schwimmende Einheiten ist somit die zwangsläufige Folge der zu betrachtenden Bedrohung. Denn nur eine Flugabwehr im maritimen Umfeld, die dem Aufgabenspektrum der Bundeswehr und dem aktuellen und künftigen Bedrohungsumfeld begegnen kann, ist zukunftsfähig.

Die Flugabwehr für schwimmende Einheiten ist als Teil des maritimen Beitrages zur Luftverteidigung (Air Defence) zu verstehen. Sie beinhaltet alle Maßnahmen zur Ausschaltung bzw. Reduzierung der Wirkung gegnerischer Luftoperationen. Hierzu gehört neben der Bekämpfung von Seezielflugkörpern, Flugzeugen und Drohnen auch die Bekämpfung von Marschflugkörpern und ballistischen Flugkörpern (Missile Defence).

Die Fregatte F 220 HAMBURG verlässt ihren Heimathafen Wilhelms- haven, um für knapp fünf Monate an der EU-Mission IRINI teilzunehmen. Foto: Bundeswehr / Leon Rodewald
Die Fregatte F 220 HAMBURG verlässt ihren Heimathafen Wilhelms- haven, um für knapp fünf Monate an der EU-Mission IRINI teilzunehmen.
Foto: Bundeswehr / Leon Rodewald

Sie beinhaltet in erster Linie solche Maßnahmen, die den Schutz und das Überleben der eingesetzten Kräfte und Mittel gegen jegliche Bedrohung aus der Luft sicherstellen. Auch wenn zu ihrer Durchsetzung aktive Wirkmittel (z. B. Rohrwaffen, Flugkörper und Täuschmittel) zum Einsatz gebracht werden, sind die Maßnahmen vornehmlich defensiv ausgerichtet. Passive Schutzmaßnahmen, wie die IR- und RCS-Signaturreduzierung, unterstützen die Flugabwehr im maritimen Umfeld.

Damit sie wirksam werden können, müssen sie in der Regel jedoch schon beim Design und Bau der Einheiten berücksichtigt werden. Beispielhaft ist es Aufgabe des CSSM (Centrum für Schiffssignatur Management) bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Schiffe und Marinewaffen, Maritime Technologie und Forschung (WTD 71), in technologischen Beiträgen für den passiven Schutz schwimmende Einheiten zu untersuchen und zu erarbeiten und für das Design neuer Plattformen zur Verfügung zu stellen.

Die in den zugewiesenen Operationsräumen vorherrschenden Bedrohungen geben in der Regel die für eine Operation notwendigen Schutz- und Abwehrmaßnahmen vor. Auch hier

hat sich durch die Entwicklung der Bedrohung insbesondere aus den IKM-Einsätzen am Horn von Afrika oder bei dem erwarteten Einsatz im Roten Meer dahingehend eine Veränderung ergeben, dass nicht länger nur Mittel regulärer Streitkräfte für die Bedrohung verantwortlich sind, sondern auch irreguläre Kräfte mit ihren verfügbaren Mitteln eine Bedrohung darstellen. In Küstennähe wird sie zunehmend um asymmetrische Potentiale erweitert werden.

Aktuelle regionale Konflikte haben gezeigt, dass die Sättigung eines Einzelsystems in der Flugabwehr im maritimen Umfeld ein besonderes Problem darstellen kann. Hier müssen daher insbesondere bei Einheiten ab Fregattengröße verschiedene, in der Tiefe gestaffelte Abwehrmaßnahmen vorgehalten werden. Weiterhin gilt auch, dass kein Abwehrsystem alle Variationen einer Bedrohung für sich allein abdecken kann.

Die vorhandenen Abwehrmittel (Effektoren) sind normalerweise technisch so ausgelegt, dass sie mit einem hohen Wirkungsgrad gegen eine bestimmte Bedrohung eingesetzt werden können. Anforderungen an die Sensorik für Zielsuche und Zielverfolgung sind hier fähigkeitsbestimmend. Insofern ist an Bord seegehender Einheiten immer ein Mix an Flugabwehrmitteln vorzusehen.

Die Korvette OLDENBURG verschießt einen Luftziel-Flugkörper RAM (Rolling Airframe Missile) aus dem vorderen Launcher während einer MISSILE FIRING EXERCISE in der Souda Bay vor Kreta in Griechenland. Foto: Bundeswehr / Nico Theska
Die Korvette OLDENBURG verschießt einen Luftziel-Flugkörper RAM (Rolling Airframe Missile) aus dem vorderen Launcher während einer MISSILE FIRING EXERCISE in der Souda Bay vor Kreta in Griechenland.
Foto: Bundeswehr / Nico Theska

Für solche maritimen Kräfte, die über keine ausreichenden Fähigkeiten zum Eigenschutz verfügen, müssen im Rahmen der Verbandsflugabwehr optimierte Flugabwehreinheiten eingesetzt werden. Eine solche für Verbandsflugabwehraufgaben optimierte Einheit sind z. B. die Fregatten der Klasse F124. Im Gegensatz zum Eigenschutz seegehender Einheiten gewährleistet die Verbandsflugabwehr damit den räumlichen Schutz von Objekten, Kräften und Mitteln im Einsatz und stellt den unmittelbar begleitenden Schutz eigner Kräfte im Mittleren, Nah- und Nächstbereich sicher.

Herausforderungen in der Flugabwehr schwimmender Einheiten

Aufgrund einer sich stetig verändernden Bedrohung müssen die eigenen Flugabwehrmaßnahmen und -mittel sowie die taktischen Verfahren kontinuierlich weiterentwickelt werden. Technologische Weiterentwicklungen bei Flugzeugen, das ständig anwachsende Potential von Drohnen aller Größen sowie die Weiterentwicklung taktischer Flugkörper stellen dabei die größte Herausforderung dar.

Technologisch gehen die Trends der Bedrohungsänderung hin zu Miniaturisierung der Ziele, radarabsorbierender Beschichtung der Oberflächen, signifikanter Reduzierung der IR-Signaturen angreifender Luftkriegsmittel, Einsatz autonomer Angriffsverfahren sowie dem Einsatz Künstlicher Intelligenz. Im Bereich der bodengestützten Flugabwehr hat der Konflikt in der Ukraine gezeigt, dass auch der Einsatz von Hyperschall-Flugkörpern eine zunehmende Bedrohung darstellt.

Im Bereich der asymmetrischen Bedrohung bekommen kommerziell angebotene Kleinstfluggeräte sowie Kleinstdrohnen eine besondere Bedeutung. Derartige Mittel sind zwar in ihrer Reichweite aktuell noch stark begrenzt, doch stellen sie hinsichtlich Größe und Agilität eine nicht zu vernachlässigende Herausforderung für die Entdeckung und Verfolgung mit bekannten Flugabwehrmitteln dar. Zudem zeigen die technischen Fortschritte bei der Erweiterung der Energiespeicherkapazitäten, dass in ihnen zukünftig ein besonderes Potential liegt.

Studien und Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass das Zusammenführen von mehreren Einzelsystemen (sog. swarm attack) zu einer Herausforderung von Systemen der Flugabwehr im maritimen Umfeld führen kann. Der Einsatz solcher Schwärme gegen seegehende Einheiten der Deutschen Marine führt schnell zu einer Sättigung der jeweiligen Abwehrsysteme, darüber hinaus können durch entsprechende Angriffsverfahren der Schwärme die Abwehralgorithmen der Flugabwehrsysteme ausgeschaltet werden.

Im August 2011 verließ die SACHSEN ihren Heimathafen, um im Schießgebiet Denel Oveberg Test Range vor Südafrika das Flugkörperschießen Missile Firing Exercise F124 - 2011 zu absolvieren. Dabei wurde unter anderem nachgewiesen, dass die Fregatte SACHSEN und damit die Luftverteidigungsfregatte der Klasse F124 in der Lage ist, nicht nur sich selbst gegen schnell anfliegende Flugkörper zu verteidigen, sondern auch andere Einheiten im Verband zu schützen. Foto: Bundeswehr / Marine
Im August 2011 verließ die SACHSEN ihren Heimathafen, um im Schießgebiet Denel Oveberg Test Range vor Südafrika das Flugkörperschießen Missile Firing Exercise F124 - 2011 zu absolvieren. Dabei wurde unter anderem nachgewiesen, dass die Fregatte SACHSEN und damit die Luftverteidigungsfregatte der Klasse F124 in der Lage ist, nicht nur sich selbst gegen schnell anfliegende Flugkörper zu verteidigen, sondern auch andere Einheiten im Verband zu schützen.
Foto: Bundeswehr / Marine

Die Größe eines angreifenden Objektes, seine Geschwindigkeit, Agilität und Fähigkeit zur Annäherung auf Seehöhe in hoher Geschwindigkeit machen die Entdeckung und Verfolgung zu einer besonders herausfordernden Aufgabe. Insbesondere Angriffe mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit zwingen zu einer möglichst frühzeitigen Vorwarnung, eine besondere Präzision in der Bekämpfung, aber auch eine einheitenübergreifende Vernetzung der Luftabwehrsysteme.

Ein erfolgreiches Abwehrgefecht gegen derartige Ziele kann vor allem durch Abstützen auf eine übergreifende Lagefeststellung zur Einsatzplanung und -überwachung sowie übergreifende Befehlsgebung erreicht werden. Beiträge auf der taktischen Ebene sind dabei vor allem die Vernetzung von Informationen und Systemen zur Erstellung/Bereitstellung eines identifizierten, streitkräftegemeinsam nutzbaren Luftlagebildes.

Dazu kommen die Koordinierung der Bekämpfungsentscheidungen und -durchführung mit dem Ziel des Ausschlusses einer ungewünschten Nichtbekämpfung oder unerwünschten Doppel-/ Mehrfachbekämpfung. Nur durch das zusammenfassende Nutzen aller Zielinformationen wird es möglich sein, auf das zukünftige Bedrohungsspektrum angemessen zu reagieren.

Die F127 als zukünftiger Fähigkeitsträger für die Flugabwehr der Marine

Nach dem absehbaren Nutzungsdauerende der derzeitigen Flugabwehrfregatten der Klasse 124 in der nächsten Dekade bekommt das geplante Projekt einer Next Generation Frigate – die voraussichtliche Klasse 127 – eine besondere Bedeutung. Sie wird maßgeblich dafür verantwortlich sein, den zeit- und bedrohungsgerechten Fähigkeitserhalt in der maritimen Luftverteidigung sicherzustellen.

Daneben wird sie – so zeigen zumindest die aktuellen Planungsschritte – einen Fähigkeitsaufwuchs hin zur Befähigung der seegestützten Ballistic Missile Defence und zur Abwehr hypersonischer Bedrohungen sicherstellen.

Zugleich soll und muss sie einen deutschen Beitrag zur internationalen Integration von Kräften und Mitteln in die Flugabwehr im maritimen Umfeld im Bündnisrahmen sicherstellen – das heißt die vollständige Einbindung in die Integrierte NATO-Luftverteidigung und Flugkörperabwehr. Damit wird die Fregatte einen wichtigen Beitrag zur ungehinderten Nutzung der seeseitigen Verbindungs- und Versorgungswege leisten.

Die HESSEN der SACHSEN-Klasse feuert eine Flugabwehrrakete vom Typ RIM-162 ESSM (Evolved Sea Sparrow Missile) aus ihrem Senkrecht- Startsystem VLS Mk41 ab. Foto: Bundeswehr / Alexander Gottschalk
Die HESSEN der SACHSEN-Klasse feuert eine Flugabwehrrakete vom Typ RIM-162 ESSM (Evolved Sea Sparrow Missile) aus ihrem Senkrecht- Startsystem VLS Mk41 ab.
Foto: Bundeswehr / Alexander Gottschalk

F127 soll auch die erste Schiffsklasse seit Beendigung des Kalten Krieges sein, die speziell entsprechend den neuen Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung konzipiert wird. Sie soll neben den Fähigkeiten zur Flugabwehr im maritimen Umfeld auch über Fähigkeiten in der Unter- und Überwasserseekriegführung sowie zum Wirken im Cyber- und Informationsraum verfügen. Insgesamt ist vorgesehen, die Fregatte als durchsetzungsfähiges Seekriegsmittel zu konzipieren.

Die künftigen Schiffe werden nicht nur Nachfolger der drei aktuellen Luftverteidigungsfregatten der Klasse 124 sein. Durch die Forderung einer dauerhaften Einsatzbereitschaft je eines dieser Schiffe in zwei Einsatzverbänden bedingt dies die Realisierung von insgesamt sechs Einheiten der Klasse 127 (ein Drittel im Einsatz, ein Drittel in der Einsatzvorbereitung, ein Drittel Einsatznachbereitung/Instandhaltung). Damit ist die Fregatte 127 auch Ausdruck eines geplanten stärkeren deutschen Engagements in der strategischen Sicherheitsarchitektur der NATO.

Zusammenfassung und Fazit Flugabwehr im maritimen Umfeld

Das sich stetig verändernde Bedrohungsumfeld sowie die künftigen Aufgaben der Deutschen Marine werden erhebliche Auswirkungen auch für den Bereich der Flugabwehr haben.

Die Flugabwehr im maritimen Umfeld muss sich künftig dem gesamten Bedrohungsspektrum sowohl der luftatmenden Systeme als auch der Mittel aus dem Bereich der umgelenkten Raketen, Artillerie und Mörser widmen. Besondere Herausforderungen werden auch die Klein- und Kleinstflugzeuge für den Schutz eigener Truppen und Verbände erfordern.

Zur Abwehr dieser Bedrohung werden sich zukünftig vor allem teilstreitkraftgemeinsame/-übergreifende Lösungsansätze durchsetzen, die auf der Basis vernetzter Informationen ein gemeinsames Lagebild für Planung und Durchführung von Operationen der Flugabwehr im maritimen Umfeld bereitstellen.

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