Aufgrund von Massenprotesten ist Georgien in letzter Zeit in die Schlagzeilen geraten. Die Demonstranten warfen der Regierung vor, ein umstrittenes, von Russland inspiriertes Gesetz erlassen zu wollen, mit dem die Aktivitäten der freien Presse und zivilgesellschaftlicher Organisationen eingeschränkt werden sollen, indem sie als „ausländische Agenten“ bezeichnet werden. Im folgenden Beitrag untersucht Alejandro Sánchez Díaz von der spanischen Youth Atlantic Treaty Association (YATA) die Beziehungen der NATO zu einem weiteren von Russland angegriffenen und teilweise besetzten Land.
Als kleines Land an der Grenze zu Russland, das sich der Bedrohung seitens Moskaus gegenüber der Souveränität der Nachbarstaaten bewusst ist, überrascht es nicht, dass die Georgier nach Alternativen für ihre außenpolitischen Beziehungen suchen. Sie ziehen es vor, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die Frieden, Sicherheit und Demokratie fördern, wie z. B. die NATO. Die gegenwärtig sehr komplexe Politik Georgiens und seine sich entwickelnden Beziehungen zur NATO verdienen eine eingehende Untersuchung.
Zunächst ist es wichtig, die jüngste Geschichte Georgiens und seiner Umgebung zu betrachten. Als ehemalige Sowjetrepublik innerhalb der Sowjetunion lebten Georgien und die anderen Kaukasusrepubliken bis zum Zusammenbruch des Sowjetregimes im Jahr 1991 in Frieden nebeneinander. Die neu gegründeten Staaten übernahmen im Allgemeinen die bestehenden Grenzen zwischen den Sowjetrepubliken – Grenzen, die von sowjetischen Generälen ohne Rücksicht auf historische Spannungen gezogen worden waren – als ihre internationalen Grenzen, um ihre Hoheitsgebiete zu definieren.
Infolgedessen kam es in den 1990er-Jahren im gesamten Kaukasus zu mehreren ethnischen Konflikten. Zwischen Armenien und Aserbaidschan brach ein Krieg um die Kontrolle von Berg-Karabach aus – einer ethnisch armenischen Region unter aserbaidschanischer Kontrolle. Zudem kam es in Georgien zu einer Reihe von inneren Konflikten mit den von Russland unterstützten separatistischen Regionen Abchasien und Südossetien. Diese Konflikte und ihre Folgen dauern bis heute an.
Georgien im Sog postsowjetischer Streitigkeiten
Angesichts des gewalttätigen Charakters der postsowjetischen Gebietsstreitigkeiten streben die Georgier nach Frieden und Sicherheit in den erfolgreichen westlichen Organisationen, die den Kalten Krieg überwunden haben, insbesondere in der NATO und den europäischen Institutionen.
Die erste Annäherung Georgiens an das NATO-Bündnis erfolgte 1992, als das Kaukasus-Land dem damaligen Nordatlantischen Kooperationsrat beitrat, einem NATO-Forum zur Förderung der Zusammenarbeit mit postkommunistischen Staaten. Später wurde der Rat in den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat umgewandelt, wobei der Schwerpunkt stärker auf Verteidigungsfragen und die Förderung der Demokratie gelegt wurde.
1994 vertiefte Georgien seine Zusammenarbeit mit der NATO, indem es de Partnerschaft für den Frieden (Partnership for Peace, PfP) beitrat und so die bilaterale Zusammenarbeit in einem breiten Spektrum von Fragen verstärkte. Die 1990er-Jahre verliefen in Georgien jedoch keineswegs friedlich, da ein innergeorgischer Krieg ausbrach, der Abchasienkrieg von 1992 bis 1993, in dem die von den Russen unterstützten abchasischen Separatisten ohne internationale Anerkennung die Souveränität für sich beanspruchten. Infolge des Konflikts waren rund 250.000 Georgier gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Während dieser Zeit versank die georgische Regierung unter der Führung des ehemaligen sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse in Korruption. Die gesamten 1990er-Jahre waren in Georgien von Krieg, mangelnder Demokratie und einer Wirtschaftskrise geprägt.
Russlands Einmarsch in Georgien
Die wachsende Unzufriedenheit mit der kleptokratischen Regierung von Schewardnadse und dem russischen Einfluss auf die Innenpolitik gipfelte 2003 in massiven Protesten und einer Bewegung, die als „Rosenrevolution“ bekannt wurde. Dies war die erste in einer Reihe von „Farbrevolutionen“, die in den folgenden Jahren in mehreren ehemaligen Sowjetstaaten stattfanden.
Die Revolution brachte Micheil Saakaschwili an die Macht, der das Land nach Westen hin neu ausrichtete und die Zusammenarbeit und Partnerschaften mit der NATO, den Vereinigten Staaten und der EU ausbaute. So begann Georgien, sich von Russland zu distanzieren.
Die Regierung Saakaschwili und ihre prowestliche Agenda sahen sich 2008 erheblichen Herausforderungen gegenüber. Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 wurde sowohl Georgien als auch der Ukraine eine künftige NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.
Russland reagierte jedoch auf diese Zusage mit einem Krieg gegen Georgien und marschierte unter dem Vorwand ein, die von Russland unterstützten separatistischen Regionen Abchasien und Südossetien schützen zu wollen. Im selben Jahr kündigte Georgien seine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), einer von Russland geführten Organisation, die den postsowjetischen Raum umfasst. Trotz dieser Rückschläge verfolgte Georgien in den folgenden Jahren weiterhin seine NATO-Agenda.
Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine haben in Georgien aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Seit dem Beginn der russischen Invasion im Jahr 2022 haben die Georgier der Ukraine große Unterstützung zuteilwerden lassen. Die georgische Regierung neigt jedoch dazu, sich auf die Seite Russlands zu stellen, was im Widerspruch zur öffentlichen Meinung steht. Immerhin 80 % der Georgier befürworten 2023 eine NATO-Mitgliedschaft. Unterdessen macht Russland weiterhin seinen Einfluss in der Region geltend und distanziert sich vom Westen.
Ein bemerkenswerter Versuch Russlands, Einfluss auf Georgien zu nehmen, war die Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes über die „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ vom 14. Mai 2024. Dieses Gesetz – das der bestehenden russischen Gesetzgebung ähnelt – bedroht die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Medien, indem es Organisationen mit westlichen Verbindungen als „ausländische Agenten“ deklariert.
Aktuelles Verhältnis zwischen Georgien und der NATO
Viele Georgier betrachten dieses Gesetz als einen Akt der russischen Einmischung in ihre Innenpolitik, was zu massiven Protesten führte. Sie befürchten, dass dieses Gesetz Georgiens Weg zur EU-Mitgliedschaft behindern und das Land vom Westen distanzieren könnte – einschließlich seiner Beziehungen zur NATO. Seit 2022 hat die Regierungspartei Georgischer Traum ihre Beziehungen zum Westen zunehmend verschlechtert und wird beschuldigt, schrittweise ein autoritäres Regime einzuführen.
Trotz dieser Herausforderungen haben die NATO und Georgien im Laufe der Jahre enge Kooperationsbeziehungen aufgebaut. Beispielsweise war Georgien der größte Nicht-NATO-Beitragszahler zur Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan und ist auch weiterhin ein wichtiger Teilnehmer an der Operation Sea Guardian.
Derzeit befindet sich das NATO-Verbindungsbüro für den Südkaukasus in der georgischen Hauptstadt Tiflis. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg reiste im vergangenen März im Rahmen eines diplomatischen Besuchs zur Stärkung der Beziehungen der Region nach Georgien, wobei er die territoriale Integrität Georgiens bekräftigte und zur weiteren Zusammenarbeit aufrief.
Wohin steuert Georgien?
Die georgische Gesellschaft scheint trotz der jüngsten legislativen Manöver der Regierung mehr denn je dem Westen zugeneigt zu sein. Nach der russischen Invasion in der Ukraine beantragte Georgien 2022 zusammen mit Moldawien die EU-Mitgliedschaft.
Es liegt nahe, dass die von der NATO und anderen Organisationen geförderten demokratischen Werte mit jenen Gesellschaften übereinstimmen, die vom russischen Autoritarismus bedroht sind. Gerade Georgien ist ein Beispiel für diese gesellschaftliche Gegenreaktion auf russische Desinformationskampagnen. Zwar ist das Land noch weit davon entfernt, Mitglied der NATO zu werden, doch es ist zweifelsfrei ein potenzieller Kandidat, sobald die innenpolitischen Probleme überwunden sind.
Alejandro Sánchez Díaz,
Youth Atlantic Treaty Association Spain
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