Neuer Ansatz für den Wehrdienst – Freiwillig oder verpflichtend?

Mit dem vereinbarten Koalitionsvertrag rückt die Reform des Wehrdienstes in greifbare Nähe. Das Ziel: eine einsatzbereite Bundeswehr durch optimale Rekrutierung, neue rechtliche Grundlagen und ein Wehrdienstmodell, das gesellschaftliche Teilhabe und militärische Notwendigkeit vereint. Wie viel „Schweden“ wird die neue Regierung wagen und gibt es Alternativen, um die steigenden NATO-Vorgaben zu erfüllen?

Der Wehrdienst soll ein Update erhalten. Reicht die Freiwilligkeit oder wird der Dienst an der Waffe wieder verpflichtend? Und wie gerecht ist ein allgemeiner Wehrdienst, wenn Frauen nicht verpflichtet werden können?
Der Wehrdienst soll von der neuen Regierung ein Update erhalten. Reicht die Freiwilligkeit oder wird der Dienst an der Waffe wieder verpflichtend? Und wie gerecht ist ein allgemeiner Wehrdienst, wenn Frauen nicht verpflichtet werden können?
Foto: Bundeswehr / Sebastian Wilke

Nach Planungen der NATO soll die Bundeswehr eine Stärke von 395.000 Soldatinnen und Soldaten haben, heißt es (CPM Defence Network berichtete). Sollten die USA sich tatsächlich aus Europa zurückziehen, könnte diese Zahl noch deutlich steigen. Nachdem die Weichen für deutlich mehr Beschaffungen durch die teilweise Aufhebung der Schuldengrenze gestellt wurden, gilt es daher, jetzt auch das zweite Problem einer schlagkräftigen Bundeswehr zu lösen: den Personalmangel.

Habemus Koalitionsvertrag

Darauf haben sich auch die Spitzen von Union und SPD geeinigt. Zwar steht weder die Regierung noch ist Friedrich Merz zum Kanzler gewählt, doch konnten sich die drei Parteien bereits vor Ostern auf einen Koalitionsvertrag einigen. Eines der heiß diskutierten Themen seither: eine mögliche (Wiedereinführung) der Wehrpflicht.

In der Präambel des Koalitionsvertrags heißt es: „Mit Entscheidungen zur künftigen Finanzierung und Architektur unserer Sicherheit haben wir die Grundlage dafür gelegt, uns jeder äußeren Bedrohung erfolgreich zu erwehren.“ Doch diese Architektur muss erst aufgebaut werden – mit Menschen.

Im fünften Kapitel „Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland“ wird es dann konkreter zum Thema Personal. Dort heißt es: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Damit wäre der „neue Wehrdienst“ mindestens 14 Jahre alt. An verschiedenen Stellschrauben solle jedoch die „Bereitschaft zum Wehrdienst“ in der Bevölkerung gesteigert werden. Die Anteile von Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte solle zudem erhöht werden.

Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.
– Koalitionsvertrag CDU, CSU & SPD

„In allen personalrechtlichen Fragen muss die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Vordergrund stehen“, heißt es weiter. Der entscheidende Hinweis, dass nach der Freiwilligkeit mehr kommen könnte. Denn auch wenn die Schweden ganz klar eine Pflicht vorsehen, ist dieser Schritt in Deutschland bisher nicht gesetzt. Der designierte Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil äußerte sich bereits mehrfach, eine Freiwilligkeit würde ausreichen.

Das „schwedische Modell“

Das schwedische Modell des Wehrdienstes zeichnet sich durch eine besondere Balance zwischen Pflicht und Freiwilligkeit aus. Nachdem Schweden die allgemeine Wehrpflicht im Jahr 2009 ausgesetzt hatte, reagierte das Land 2017 auf die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa – insbesondere durch das aggressivere Verhalten Russlands – mit einer Wiedereinführung. Grund für die Wiedereinführung war jedoch auch, dass von den jährlich benötigten 3.500 Rekrutinnen und Rekruten im Schnitt nur rund 2.200 Meldungen eingingen. Allerdings: Nur in einem Jahr konnten ausreichend Freiwillige rekrutiert werden.

Die seit 2017 praktizierte Einberufung erfolgt selektiv: Nur ein Teil jedes Jahrgangs wird auf Grundlage von Eignung, Motivation und dem militärischen Bedarf jenseits der Freiwilligen eingezogen. Das schwedische Modell ist demnach keine klassische Wehrpflicht, geht aber über die reine Freiwilligkeit hinaus.

Rekrutinnen und Rekruten überwinden die Hindernisbahn bei der Grundausbildung freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz des Wachbataillons in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin Bundeswehr:Tom Twardy
Rekrutinnen und Rekruten überwinden die Hindernisbahn bei der Grundausbildung freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz des Wachbataillons in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin.
Foto: Bundeswehr / Tom Twardy

Ein besonders prägendes Merkmal ist die geschlechtsunabhängige Wehrpflicht – Männer und Frauen können gleichermaßen eingezogen werden. Damit gehört Schweden zu den wenigen Ländern weltweit, die in dieser Hinsicht echte Gleichstellung bieten. Der Dienst in den Streitkräften ist Teil eines umfassenderen Konzepts der sogenannten „Totalen Verteidigung“ (Totalförsvaret), das zivile und militärische Akteure gleichermaßen einbindet. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit der gesamten Gesellschaft zu.

Wie verpflichtend ist die Wehrpflicht?

Schon länger gilt das schwedische Modell als Vorbild. Der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius bezog sich in der vergangenen Legislatur darauf, ein entsprechender Gesetzesentwurf hätte zur Abstimmung gebracht werden können – wäre die Koalition nicht geplatzt. Jetzt ein erneuter Anlauf im Koalitionsvertrag, in dem es wörtlich heißt: „Wir orientieren dabei am schwedischen Wehrdienstmodell.“

Doch die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht getrocknet, da stritten sich Union und SPD über die Auslegung. Während Unionspolitiker davon ausgehen, dass eine tatsächliche Pflicht für den Wehrdienst unausweichlich sei, wiegeln SPDler ab – die Freiwilligkeit würde ausreichen, wenn der Dienst an der Waffe nur attraktiv genug angeboten würde. In Schweden reichte das nicht, doch die jüngsten Zahlen könnten den Kritikern Recht geben.

Wie die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) unter Berufung auf das Personalamt der Bundeswehr berichtet, gingen 2024 rund 52.100 Bewerbungen bei der Truppe ein. 2023 hatten sich nur etwa 43.200 Menschen beworben – das entspricht einem Zuwachs von rund 18,5 Prozent.

Was für und gegen eine Wehrpflicht spricht

Mehr Bewerbungen allein werden jedoch nicht ausreichen, um eine schlagkräftige Truppe auf die Beine zu stellen. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen auch geeignet sein. Natürlich könnte man die Besten eines Jahrgangs finden, wenn man auf den gesamten Jahrgang zugreift. Momentan geht das allerdings nicht. Zum einen, da eine wiedereingeführte Wehrpflicht gemäß Artikel 12a Absatz 1 GG nur Männer umfassen würde – für eine gerechte Ausweitung auch auf die besten Frauen würde es eine Grundgesetzänderung und damit eine unwahrscheinliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag benötigen.

Die Besten eines Jahrgangs können zudem ebenso wenig gefunden werden, da mit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 auch die Strukturen der Wehrerfassung aufgegeben wurden. Diese müssen erst mühsam wieder aufgebaut werden. „Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Wohin aber mit den Rekrutinnen und Rekruten, sobald man sie gefunden hat. Ein häufiges Argument gegen die Wehrpflicht lautet, man habe weder ausreichend Ausbilderinnen und Ausbilder noch Kasernen. Aus diesem Grund will es Pistorius langsam angehen. Zunächst wurde von einem Bedarf von 5.000 Wehrpflichtigen im Jahr gesprochen. Diese Zahl soll dann für einen effektiven Wehrdienst angehoben werden.

Ein Zug der letzten Wehrpflichtigen der Bundeswehr im Jahr 2011. Diese Strukturen müssen für den Fall der Landesverteidigung wieder aufgebaut werden, dies soll der Neue Wehrdienst erreichen.
Ein Zug der letzten Wehrpflichtigen der Bundeswehr im Jahr 2011. Diese Strukturen müssen für den Fall der Landesverteidigung wieder aufgebaut werden, dies soll der Neue Wehrdienst erreichen.
Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

„Ich kann nicht sagen, ob die Bundeswehr das kann. Ich kann aber sagen, dass die Panzerbrigade natürlich Wehrpflicht könnte“, erklärte hingegen Brigadegeneral Lutz Kuhn gegenüber dem NDR. Der Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9 in Munster könne problemlos mehr junge Menschen aufnehmen, auch kurzfristig. Er sagt: „Man kann auch eine bestehende Infrastruktur […] verdichten.“

Ausblick – so könnte es mit dem Wehrdienst weitergehen

Ein mögliches Szenario könnte sein, dass die neue Regierung das erste Jahr ihrer Amtszeit nutzt, die Strukturen zu schaffen. Im zweiten Jahr würde das „schwedische Modell“ dann starten und im dritten Jahr könnte sich zeigen, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht. Doch ob dann wirklich verpflichtend eingezogen wird, bleibt offen.

Vielleicht würde auch nach anderen Möglichkeiten gesucht, die Reihen in den Streitkräften zu schließen. Einige Optionen geisterten bereits durch die Medien – mal mehr, mal weniger sinnvoll. Interessant könnte beispielsweise der Ansatz sein, die Bundeswehr auch für Menschen ohne deutschen Pass zu öffnen, sofern sie dauerhaft in Deutschland leben. Im Falle eines verpflichtenden Wehrdienstes könnten – durch einfache Änderung im Wehrgesetz – ausländische Männer sogar zum Wehrdienst herangezogen werden. Im Sinne der Integration vielleicht eine sehr gute Idee.

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