Von der Digitalisierung auf dem Gefechtsfeld bis hin zu innovativen Prüfständen und unbemannten Systemen: Die WTD41 prägt mit Hightech-Lösungen die Zukunft der Wehrtechnik. Lesen Sie im Interview mit DirWTD Jürgen Simon, Dienststellenleiter Wehrtechnische Dienststelle für landgebundene Fahrzeugsysteme, Pionier- und Truppentechnik, wie modernste Technologien getestet, Fahrzeuge für extreme Bedingungen optimiert und neue Standards gesetzt werden. Dieses Interview erschien zuerst im cpmFORUM 4/24 und wurde geführt von Rainer Krug.
Herr Simon, als Direktor der WTD41 haben Sie eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe für die Bundeswehr. Die Sol- datinnen und Soldaten müssen sich in ihrem Tagesdienst immer wieder auf die Arbeit Ihrer Dienststelle verlassen können. Sie kennen die WTD41 sicherlich „wie Ihre Westen- tasche“. Zieht es Sie immer noch aus dem Büro in die Labore und Werkstätten?
Das Aufgabenspektrum der WTD41 ist sehr breit gefächert. Entsprechend groß sind deshalb die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Fahrzeuge, Geräte, Baugruppen und Komponenten zu testen und zu untersuchen. Unsere Hauptaufgabe ist die Nachweisführung im Rahmen amtlicher Bewertungen landgebundener Fahrzeugsysteme sowie von Systemen und Geräten der Pionier- und Truppentechnik. Daneben sind wir aber auch bei vier bedeutsamen Forschungs- und Technologieschwerpunkten aktiv. Dies sind die
- Antriebssysteme und Fahrwerkskonzepte der Zukunft,
- Energieversorgung einschließlich regenerativer Energien,
- intelligenten Bordnetze und
- unbemannten Landsysteme inklusive moderner Sichtsysteme.
Damit sich die Soldatinnen und Soldaten auch zukünftig auf die von uns untersuchten Produkte verlassen können, brauchen wir natürlich auch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese müssen gewonnen, geschult und kompetent gehalten werden. Um das zu erreichen, engagieren wir uns stark auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit und der Praktikantenbetreuung. In 2023 hatten wir fast 70 Besuchergruppen auf der Dienststelle und rund 160 Praktikanten vom Schüler bis zur Masterstudentin, im Schwerpunkt dual Studierende des gehobenen technischen Verwaltungsdienstes.
Im Ergebnis haben wir einen sehr guten Besetzungsstand (91 Prozent) der Dienstposten und ein hohes Interesse von den Absolventinnen und Absolventen der Laufbahnausbildung, die zu uns wollen. Das alles beleuchtet ein wenig die Vielschichtigkeit unserer Aktivitäten. Am interessantesten ist aber natürlich die Hardware, die die Mitarbeitenden des uns die Aufträge erteilenden Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in der Regel nur selten zu Gesicht bekommen. Deshalb zieht es mich nach wie vor noch gerne in die Werkstätten, Prüfstände und Labore der Dienststelle.
Sie haben in Ihrer Laufbahn viele unterschiedliche Verwendungen im Bundesministerium der Verteidigung, im BWB und jetzt als Dienststellenleiter der WTD41 innegehabt. Was war für Sie bisher das spannendste Projekt?
In Ihrer Aufzählung haben Sie zwei Verwendungen vergessen, einmal meine Zeit bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition (WTD91) in Meppen, und zum anderen war ich von 2012 bis 2014 Geschäftsführer bei der Heeresinstandsetzungslogistik (HIL) GmbH. Das spannendste Projekt durfte ich gleich zu Beginn meiner ersten Verwendung nach der Laufbahnausbildung betreuen:
Ich war von 1990 bis 1993 Waffensystemingenieur für die Suchzündermunition Artillerie (SMArt) 155mm, die damals entwickelt wurde. Meine Aufgabe war es, die zahlreichen Aktivitäten aller wehrtechnischen und wehrwissenschaftlichen Dienststellen des Rüstungsbereichs im Projekt zu koordinieren. Beteiligt waren fast alle. Das reichte von der Datengewinnung für den Algorithmus der Sensoren des Geschosses über Fragen des Sprengstoffs bis hin zu Festigkeitsnachweisen beim Schuss. Ich habe damals viel über die unterschiedlichsten Fähigkeiten der Dienststellen gelernt, was mir all die Jahre immer wieder geholfen hat. So eine Erstverwendung kann ich dem Nachwuchs nur wünschen.
Ihre Dienststelle hat mit den verschiedensten Prüfständen und Erprobungsbahnen eine umfangreiche Ausstattung zum Prüfen und Testen von Wehrmaterial. Können Sie uns die unterschiedlichen Einrichtungen vorstellen und vielleicht auch verraten, was bei Ihnen momentan so auf dem Hof steht?
Die WTD41 nutzt mehrere Liegenschaften. Der Schwerpunkt der fahrtechnischen Erprobung findet in Trier statt. Hier verfügen wir über synthetische Erprobungsbahnen sowie natürliche Erprobungsstrecken. Synthetische Erprobungsbahnen wie Schrägbahn (20 Prozent und 30 Prozent Neigung), Belgisch Block, Sinuswelle mit 4 m und 7 m Wellenlänge, Waschbrett, variables Waschbrett, Verwindungsbahn, Knüppeldamm und Schweizer Bahn ermöglichen die Einleitung von niedrig-, mittel- und hochfrequenten Schwingungsanregungen in das Fahrwerk.
Dabei belasten die niederfrequenten Anteile, z. B. auf der Sinuswelle, hauptsächlich die Fahrwerkskomponenten wie Federung/Dämpfung, Fahrwerksaufhängung und Lenkverbindungsteile. Die hochfrequenten Schwingungsanteile belasten hauptsächlich die Fahrzeugauf- und einbauten mit ihren integrierten Rüstsätzen. Diese synthetischen Erprobungsbahnen erlauben reproduzierbare Untersuchungen, da sie in ihrer Auslegung eine gleichbleibende, definierte Belastung darstellen.
Im Spätherbst 2023 wurde so z. B. die modifizierte Pioniergeräteausstattung für die Pionierkräfte von Heer, Luftwaffe und Streitkräftebasis, bestehend aus zwei 20-Fuß-Containern auf jeweils einem ungeschützten Transportfahrzeug einem Belastungskollektiv unterzogen. Die natürlichen Erprobungsstrecken wie Feld- und Waldweg, Schotterkurs, Geländekurs und Rundkurs bilden reale Fahrbahnbedingungen für den militärischen Einsatz mit zusätzlicher Stein-, Staub- und Schmutzbelastung ab.
Auf den natürlichen und synthetischen Strecken und Bahnen wird eine gezielte Baugruppenbelastung mittels Raffung erreicht. Dadurch entsteht eine bis zu vierfach höhere Belastung bei gleicher Kilometerleistung. Zusätzlich stehen zur Fahrzeuguntersuchung Einzelhindernisse wie Graben- und Stufenüberschreitung sowie Steilhänge mit Steigungen von bis zu 60 Prozent zur Verfügung. Das Gelände der WTD41 in Trier wird für fahrtechnische Erprobungen ergänzt durch mehrere Außenstellen mit weiteren natürlichen Erprobungsbahnen.
Es stehen dort ein Geländekurs mit Lehmboden und felsigem Untergrund auf dem Truppenübungsplatz Baumholder, ein Geländekurs mit verschleißförderndem Sand bei Fraulautern und eine Betonbahn auf dem Flugplatz für Fahrsicherheitsuntersuchungen in Föhren zur Verfügung. Darüber hinaus werden diese klassischen Erprobungsverfahren durch virtuelle Erprobungen ergänzt. Sie basieren auf verschiedenen Simulationstools, die stetig weiterentwickelt werden.
Eine hochgenaue, digitale Geländedatenbasis der WTD41 bildet die Grundlage für die virtuelle Erprobung. In Verbindung mit entsprechenden Fahrzeugmodellen können im Vorhinein Abschätzungen zu grundlegenden Fahrzeugeigenschaften wie deren Mobilität getroffen werden. Im Bereich der Radfahrzeuge befindet sich das mittlere geschützte Sanitätskraftfahrzeug in der technischen Untersuchung. Bei den Kettenfahrzeugen liegt beim Schützenpanzer (SPz) PUMA der Untersuchungsschwerpunkt in der Nachweisführung der turmunabhängigen Sekundärwaffenanlage.
Ferner bei der Verbesserung der Führungsfähigkeit und der Sichtmittel des PUMA. Beim Projekt Minenräumpanzer KEILER werden neue Laufwerkskomponenten Gegenstand unserer Untersuchungen sein. Hierbei wird es sich um die Schwingarme, Stoß- und Endanschlagdämpfer handeln. Zudem wird die Aufwertung der Nachtsichtfähigkeit erprobt werden. Des Weiteren rechnen wir beim Kampfpanzer LEOPARD 2 mit Erprobungen zur Qualifizierung im Bereich Laufrollen und Ringkühler.
Bei der PANZERHAUBITZE 2000 steht die Eignungsfeststellung einer neuen Getriebesteuerung auf dem Programm. Im Bereich der Pionierfahrzeuge läuft 2024 die Erprobung der Amphibie M3 Evolution an. Zudem wird eine Laufwerksqualifizierung des Bergepanzers (BPz) 3 BÜFFEL für dessen zukünftige Aufgaben durchgeführt. Dies erfolgt auch im Vorgriff auf den Pionierpanzer 3 KODIAK. Im Rahmen der Nachbeschaffung von BPz 3A2 BÜFFEL stehen weitere Baugruppenqualifizierungen an. Damit stehen der Pionier- und Instandsetzungstruppe hochwertige Unterstützungsfahrzeuge zur Verfügung, um ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen zu können.
Wenn wir Ihr neuestes „Produkt“ – den „multiaxialen Prüfstand“ – ansehen, können Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie er bei Prüfungen und Erprobungen eingesetzt werden wird?
Der multiaxiale Prüfstand dient dazu, Fahrzeuge mit bis zu vier Achsen und einer Masse von bis zu 45 t kraftfahrzeugtechnisch zu prüfen und real gemessene Fahrprofile zu simulieren. Ebenso können synthetische Daten erzeugt und genutzt werden, um zusätzliche Fahrprofile darzustellen. So können die Erprobungen reproduzierbar und unabhängig von Umwelteinflüssen in einem theoretisch möglichen 24/7-Betrieb durchgeführt werden. Vorhandene Prüfstände erlauben nur Untersuchungen an Fahrzeugen mit maximal 32 t Masse und zwei Achsen bzw. einer Achse und einer Doppelachse.
In der Vergangenheit wurden Fahrzeuge ausschließlich fahrtechnisch erprobt. Die zurückgelegten Fahrleistungen erreichten bis zu 40.000 km. Gegenwärtig wird ein Mix aus Fahrerprobung von bis zu 4.000 km und Prüfstanduntersuchungen empfohlen. Mit dem multiaxialen Prüfstand lässt sich neben der Erweiterung des Fahrzeug- und Belastungsspektrums auch die Testdauer bis zum Erreichen belastbarer Aussagen weiter verkürzen. Zurzeit machen wir uns auch Gedanken, wie wir einen geschützten ISO-Container mit einem Gewicht von bis zu 14,5 t auf den Prüfstand adaptieren können.
Waffensysteme werden immer komplexer, die Anforderungen an Systeme immer anspruchsvoller und die verbauten Komponenten stehen unter einem ständigen Wandel. Auch im Bereich der Fahrzeugsysteme zieht die Digitalisierung ein. Welche Auswirkung hat das auf die Arbeit Ihrer Dienststelle und besonders auch auf Ihre Mitarbeiter? Können Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie sich Erprobung im Laufe der Jahre verändert hat?
Digitalisierung ist in aller Munde. Auf dem Gefechtsfeld der Zukunft ist die Digitalisierung ein Schlüssel zur Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit und verhilft auch zur Steigerung der Durchsetzungs- und Reaktionsfähigkeit. Digitalisierung geht aber auch einher mit einer deutlich aufwendigeren und komplexeren Fahrzeugsoftware. Militärische Fahrzeugsysteme werden immer komplexer und erfordern bei den Mitarbeitenden die dafür notwendigen Kenntnisse.
Auf dem Gefechtsfeld der Zukunft ist die Digitalisierung ein Schlüssel zur Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit …
Zum Beispiel ist für die Inbetriebnahme eines modernen Fahrzeugsystems die Prüfung vorgegebener Parameter am Fahrerinformationssystem anhand einer Startroutine zwingend erforderlich. Auch die Ausrüstung und Ausbildung der entsprechenden Mitarbeitenden zur Betriebsdatenermittlung und Fehlererkennung müssen diesen Anforderungen genügen. Darüber hinaus erfolgt die administrative Betreuung des Fahrzeugsystems in der Erprobung zunehmend digital. Zum Beispiel sind technische Dokumentationen nicht mehr als Handbuch oder technische Dienstvorschrift (TDv) in Papierform, sondern als interaktive elektronische technische Dokumentationen (IETD) zentral abrufbar.
Die stetige Digitalisierung und die dadurch immer komplexer werdenden Systeme und Komponenten erfordern somit eine zunehmend fachrichtungsübergreifende Erprobung. So erfolgt auch bei modernen militärischen Fahrzeugsystemen die Steuerung und Überwachung des Verbrennungsmotors inklusive des Abgasreinigungssystems nur noch in digitaler Form über ein komplexes elektronisches Steuergerät. Gleiches trifft für den Betrieb eines automatischen Wechselgetriebes und die Kommunikation der Baugruppen untereinander zu.
Die Erprobung von digitalisierten Systemen erfordert also zusätzlich ein tiefgehendes Verständnis der Informatik/Informationstechnik, um das Zusammenspiel von Sensorik, Algorithmik und Aktorik verstehen und bewerten zu können. Bei den in Nutzung befindlichen Fahrzeugen GTK BOXER und SPz PUMA haben derart technische Innovationen bereits Einzug gehalten. Die Fahrzeuge verfügen neben den oben genannten elektronischen Komponenten über ein auf CAN-Bus (Controller Area Network-Bus) basiertes elektrisches Weitere Beispiele:
Unbemanntes Fahren
Die WTD41 beschäftigt zunehmend Mitarbeitende der Fachrichtung Informationstechnik und Elektronik. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die Untersuchungen zum unbemannten Fahren, die die WTD41 in der Funktion als Leitdienststelle wahrnimmt. In den zuletzt durchgeführten Fahrversuchen mit dem automatisierten Lkw-Konvoi „InterRoC“ (Interoperable Robotic Convoy) stand die elektronische Kopplung zweier Fahrzeuge im Vordergrund.
Mit den hergebrachten Erprobungsverfahren konnte der Nachweis der prinzipiellen Funktionsfähigkeit dieser experimentellen Systeme seitens der WTD41 erbracht werden. Für die Zulassung solcher Systeme im allgemeinen Straßenverkehr werden jedoch erheblich komplexere Nachweisverfahren benötigt, die auch auf Seiten der Industrie erst noch entwickelt werden müssen.
Lösungsansätze hierfür werden aktuell in der Verwendung eines digitalen Zwillings gesucht, da dieser in einer synthetischen Umgebung (Simulation) allen denkbaren Fahrsituationen ausgesetzt werden kann. Somit werden zukünftige Fahrerprobungen auch von IT-Spezialisten am Computer durchgeführt. Hierauf muss sich die WTD41 beispielsweise durch Erarbeitung neuer Standard-Untersuchungsverfahren sowie durch die Beschäftigung von qualifiziertem (IT-)Personal entsprechend einstellen.
Digitale Bordnetze und Bussysteme
Die WTD41 besitzt für Landsysteme der Bundeswehr hinsichtlich Elektrik, Energiemanagement, digitale Bordnetze und Diagnose ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Zuständigkeit erstreckt sich auf die gesamte Kfz-Diagnosetechnik interner (fahrzeugintegrierter) als auch externer (über Zusatzausstattung realisierter) Prüfsysteme.
Die CAN-Bus-Technologie wird in Radfahrzeugen und Kettenfahrzeugen verstärkt eingesetzt. Für die umfassende Diagnose in Kfz-Bussystemen stehen leistungsfähige Software-Tools und professionelle Werkzeuge für unterschiedlichste Protokolle (CAN, SAEJ1939, SAEJ1587, ISO11783, LIN oder AUTOSAR) zur Verfügung. Die Beherrschung der Werkzeuge und zugehöriger Softwarekomponenten ist grundlegend, um die physikalischen Eigenschaften der Bussysteme sowie die zeitlichen Besonderheiten der Übertragungsprotokolle messen und beurteilen zu können.
Weiterhin nimmt die Zahl der Energieverbraucher aufgrund vermehrter Verwendung von Zusatzgeräten rasant zu. Die Bordstromversorgung für die beiden Hauptkomponenten Antriebssystem und stromabhängige Bord- und Zusatzgeräte in zukünftigen Landsystemen steht somit unter einem besonderen Weiterentwicklungs- und Optimierungsdruck.
Mit dem PUMA-Projekt wurde diesbezüglich echte Pionierarbeit für zukünftige Landsysteme geleistet.
Hier versprechen die hybriden Antriebskonzepte unter Integration stromerzeugender Hilfsaggregate – wie beispielsweise Brennstoffzellen – sowohl taktische als auch rein technische Vorteile. Zu nennen sind hier der Silent-Watch-Betrieb als auch die gleichmäßigere und kontinuierliche Deckung des Gerätestrom- und Batterieladebedarfs. Bereits kommerziell verfügbar und auch in Serie im SPz PUMA ist ein Fahrzeughochvoltnetz mit einer Schnittstelle zum 28V Teilbordnetz. Das Hochvoltbordnetz dient dabei der Versorgung der integrierten Startergeneratoreinheit, einer leistungselektronischen Generatorkontrolleinheit, verschiedenen Stromrichtern und weiteren Bauteilen mit hohem elektrischen Leistungsbedarf. Mit dem PUMA-Projekt wurde diesbezüglich echte Pionierarbeit für zukünftige Landsysteme geleistet.
Bereichserprobung
Des Weiteren bietet die Digitalisierung weitreichende Vorteile im Bereich der Erprobung und Nachweisführung. Beispielsweise wurde bei Verzurr- und Abschleppeinrichtungen der Festigkeitsnachweis bisher ausnahmslos mit praktischen Erprobungen, z. B. Zugversuch mit Zerreißtest, erbracht. Mit Zunahme der rechnerischen Kapazitäten für die Simulation bzw. FEM-Berechnungen (Finite-Elemente-Methode) bei den wehrtechnischen Dienststellen und der Industrie lassen sich heute diese einst personal- und materialintensiven Nachweise ressourcenschonender und schneller erbringen.
Kompetenzerhalt
Zum Erhalt der Urteilsfähigkeit bei der Projektierung sind die Durchführung von Forschung und Technologie (F&T)-Aktivitäten und eine kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeitenden unabdingbar. So dient die Bearbeitung von F&T-Aufgaben nicht nur dem Erkenntnisgewinn in der Sache selbst, sondern auch dem Kompetenzerhalt der Mitarbeitenden.
Wenn nicht hier, wo dann können Sie einen besseren Einblick in die technologischen Entwicklungen bekommen. Wagen Sie doch für uns einmal einen kleinen Ausblick in die Zukunft. Welche Entwicklungen in der Fahrzeugtechnik erwarten Sie technologisch in den kommenden Jahren und wo wird sich ein technologischer Schwerpunkt bilden?
Hier möchte ich vier Bereiche nennen:
Kamera-Monitor-Systeme
Aus meiner Sicht werden Kamera-Monitor-Systeme, die im Besonderen die Fahraufgabe und die Führung taktischer Fahrzeuge unterstützen, einen solchen technologischen Schwerpunkt bilden. Gerade bei der Realisierung zukünftiger Systeme bieten sie die Möglichkeit, über völlig neuartige Innenraumkonzepte nachzudenken, die mit einem Bruchteil des gepanzerten Volumens ihrer Vorgängergeneration auskommen werden.
Diese Entwicklung wird aktiv zu der aus Sicht der Mobilität dringend notwendigen Abkehr vom Trend zu immer schwereren Fahrzeugen beitragen. Auch wenn diese Vision derzeit noch Gegenstand von Forschungs- und Technologieprojekten ist, werden ganz aktuell Systeme in der Nutzung mit Kamera-Monitor-Systemen zur Sichtverbesserung ausgerüstet. Als Beispiele sind hier der SPz PUMA in der Variante VJTF sowie beide Lose des GTK BOXER zu nennen.
Die Kamera-Monitor-Technologie zeigt aber auch deutlich auf, dass die wehrtechnische Erprobung einen unverzichtbaren Schritt bei der Erlangung der Einsatzreife darstellt. Die indirekte Migration einer in der zivilen Fahrzeugtechnik etablierten Technologie hin zu einsatzreifen militärischen Produkten erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen allen im Rüstungsprozess beteiligten Akteuren. Aus wehrtechnischer Perspektive gilt es dabei, eine Reihe von höchst anspruchsvollen Herausforderungen zu meistern.
Bedenkt man, dass sich der zivile Anwendungsfall von Kamera-Monitor-Systemen in der Nutzfahrzeugtechnik auf Rückfahr- und Umfeldkameras sowie Einrichtungen der indirekten Sicht als Rückspiegelersatz beschränkt und die militärischen Anwender über den vollständigen Wegfall der glasoptischen Sichtmöglichkeiten diskutieren, wird klar, dass handelsüblich beschaffbare Produkte von Anfang an
lediglich als Ausgangspunkt dienen können. Zu den konkreten Herausforderungen, an denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der WTD41 arbeiten, zählen technische und technologische Hürden, wie das Auflösungs- und Abbildungsverhalten oder die militärische Härtung und Integration. Weiterhin werden ergonomische Auswirkungen wie die Latenzzeiten zwischen der Kameralinse und dem resultierenden Bildschirm oder die grundlegende Eignung des Systems für den beabsichtigten Zweck, den Militärkraftfahrern die Bewältigung ihrer Aufträge zu ermöglichen, betrachtet.
Das reicht bis hin zu technisch-logistischen Betrachtungen wie etwa der Reinigungsmöglichkeiten im Geländeeinsatz und der Verfügbarkeit aller verwendeten Komponenten. Alleine anhand dieser ersten Übersicht sehen Sie, wie viel Arbeit unter der Oberfläche tatsächlich zu erledigen ist, um ein System als einsatzreif zu qualifizieren.
Intelligente Assistenzsysteme
Die Trends in der Automobilindustrie werden auch bei Einsatzfahrzeugen der Bundeswehr Einzug halten. Der Wunsch nach intelligenten Assistenzfunktionen wie Spurerkennung und -haltung oder Abstandstempomat ist der erste Schritt in Richtung unbemanntes Fahren. Anhand aktueller von der Truppe durchgeführter Untersuchungen der Zukunftsentwicklung sowie anstehenden Initiativen ist deutlich der Trend zur Automatisierung von kleinen und größeren Landsystemen zu erkennen.
Die Anpassung der marktverfügbaren Technologien an militärische Anforderungen bedarf jedoch noch erheblicher Forschungsarbeit und wird daher noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die WTD41 bereitet sich dennoch auf diese Zukunftstechnologie vor. 2024 richtet sie beispielsweise die internationale Robotik-Leistungsschau ELROB (www.elrob.org) aus, bei der die Leistungsfähigkeit von robotischen Systemen mit speziellem Fokus auf militärische Anwendung im Vordergrund steht. Das Testgelände der WTD41 bietet hierzu eine ideale Umgebung.
Einbindung der Landsysteme in die vernetzte Operationsführung
Über die Einbindung in die vernetzte Operationsführung sollen die zur Verfügung stehenden Funktionalitäten der Landsysteme, abhängig von den jeweiligen Fähigkeiten bzw. deren Einschränkungen, kommuniziert werden. Dies könnte folgende Punkte umfassen: Mobilität (Fahrzeugzustand), Silent-Watch-Betrieb (Batteriezustand), Reichweite (Tankinhalt), Tiefwatfähigkeit (Funktion Lenzpumpe), Hindernisüberwindung (Differentialsperrfunktion), Geländegängigkeit (RDRA-Funktion) sowie Rüstsatzfunktion (Waffenstation, Munitionsvorrat). Hierbei gilt es, einen Mehrwert durch optimierte Führung und verbesserte Logistik zu erreichen.
Energiebedarf zukünftiger Fahrzeuge
Für die Zukunftsentwicklung im Bereich Landsysteme sind diejenigen Felder zu untersuchen, in denen ein hohes technologisches Entwicklungspotenzial und weitreichende Fähigkeitsgewinne zu erwarten sind. Als vorrangiger Ansatzpunkt wird hier insbesondere das Entwicklungsfeld Energie (Antriebssysteme, Energieversorgungssysteme) gesehen.
Interessant wäre es sicherlich, einmal Fahrzeuge und landgebundene Waffensysteme anderer Staaten unter die Lupe zu nehmen.
Der Energiebedarf militärischer Fahrzeuge nimmt, bedingt durch eine ständig steigende Zahl an energieverbrauchenden Zusatzgeräten, kontinuierlich zu. Einen kleinen Beitrag könnte auch die Rückgewinnung und Speicherung von Bremsenergie liefern.
Abschließend noch einmal eine ganz persönliche Frage: Unbenommen aller Entscheidungen zu Waffensystemvorhaben, die aktuell und in naher Zukunft anstehen: In welches System würden Sie gerne einmal reinschauen?
Interessant wäre es sicherlich, einmal Fahrzeuge und landgebundene Waffensysteme anderer Staaten unter die Lupe zu nehmen. In den einschlägigen Zeitschriften findet man ja immer wieder interessante Beispiele. Das reicht von leichten geländegängigen Fahrzeugen auf modifizierter handelsüblicher Basis – hier wäre ein Test auf der 30 Prozent Schrägbahn interessant, wenn das Fahrzeug z. B. keine Trockensumpfschmierung hat – bis hin zu neu entwickelten Kampffahrzeugen.
Herr Simon, wir bedanken uns für das Gespräch.