10 Jahre ist es her, dass TV-Journalisten die Arbeit an Deck des deutschen Segelschulschiffes Gorch Fock begleiteten. Seither ist viel passiert – Kostenexplosion bei der Instandsetzung, tödliche Unglücksfälle. Anfang Juni 2025 war erneut ein Kamerateam mit an Bord. Die Dokumentation „Drill auf hoher See – Als Marinesoldat auf der Gorch Fock“ des hr-Journalisten Lukas Wiehler vom Y-Kollektiv gewährt in der ARD Einblicke in das Leben und den Alltag der Kadetten an Bord. Neben einer Auseinandersetzung mit den Wertvorstellungen der Soldaten geht der Film auch der Frage nach, wie weit sich ein teures Segelschulschiff in der Marineausbildung rentiert.
„Wie krass ist die Gorch Fock wirklich?“, fragt sich Wiehler zu Beginn seiner Dokumentation. Gemeinsam mit Kameramann Julian Kiesche betritt er den Dreimaster in Ponta Delgada auf den Azoren. Von dort soll es in dreizehn Tagen nach Schottland gehen. Wiehler hat Fragen im Gepäck: Wer sind diese jungen Marinesoldaten und warum sind sie hier? Wie sieht ihr Alltag auf dem Schiff aus? Welche Rolle spielt das Segelschulschiff heute noch in der Ausbildung, wenn die Offiziere doch später auf „Grauen Einheiten“ zur See fahren?
Kameradschaft auf dem Segelschulschiff Gorch Fock
Die Gorch Fock (eigentlich Gorch Fock II) ist mehr als nur ein Segelschiff. Seit ihrer Indienststellung 1958 dient sie als schwimmende Ausbildungsstätte für die Marinekadetten der Bundeswehr. Das Schiff symbolisiert Tradition, Kameradschaft und den Geist der Seefahrt. Mit ihren hohen Masten, dem weißen Rumpf und dem Albatros als Galionsfigur ist sie ein Wahrzeichen der deutschen Marine.
Die Ausbildung auf der Gorch Fock ist hart und fordert von den Kadetten Disziplin, Teamgeist und Ausdauer – Tugenden, die in der Marine unabdingbar sind. Auch Wiehler macht schnell Erfahrungen damit. Bereits bei den ersten Wellen wird Kameramann Kiesche seekrank. „Zwischenzeitlich hatte ich wirklich Angst, dass die ganze Doku ins Wasser fällt“, verriet Wiehler gegenüber CPM Defence Network.
Das Drama um seinen Kameramann sei ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Dass es doch noch etwas mit der Doku „Drill auf hoher See“ geworden ist, verdanken die Zuschauer Gianluca Giusa. Der Soldat sollte an Bord eigentlich Fotos für die Bundeswehr schießen.
Durch diese erste Krise an Bord des ältesten Schiffs der Deutschen Marine habe der Dokumentarjournalist gelernt, wie wichtig Kameradschaft auf See ist. „Selbst als ‚externe‘ Person“, so Wiehler, „wurde ich von meinen Kameraden auf Zeit aufgenommen, unterstützt und durch so manche Situation getragen.“ Eine Kameradschaft, die seit Indienststellung im Dezember 1958 schon rund 16.000 Offizier- und Unteroffizieranwärter*innen erleben durften.
Im Verlauf der zahlreichen Ausbildungsreisen besuchte die Gorch Fock bisher rund 400 Häfen in knapp 60 Ländern auf fünf Kontinenten und legte dabei mehr als 780.000 Seemeilen zurück, was umgerechnet 35 Erdumrundungen entspricht. Zahlen, die für ein Segelschiff beindrucken. Doch Wiehler geht es in seiner Doku nicht um Zahlen – ihm geht es um den einzelnen Kadetten, die einzelne Kadettin.
Intensives Erlebnis – Journalisten an Bord
„In den vergangenen Jahren war der Blick auf die Bundeswehr oft stark von Skandalen, Problemen und Negativem geprägt“, benennt Wiehler seine vielleicht wichtigste Erkenntnis über die Truppe nach zwei Wochen auf See. „Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass es auch viele kluge, engagierte und hervorragend ausgebildete Soldatinnen und Soldaten gibt. Es lohnt sich, genauer hinzusehen – auf den einzelnen Menschen, seine Motivation, seine Haltung und das, was ihn antreibt.“
Wiehler erlebt hautnah, wie das Leben auf der Gorch Fock aussieht und lässt die Zuschauer daran teilhaben. Früh am Morgen beginnt der Dienst. Segelmanöver wechseln sich mit Lernphasen ab. Die Enge an Bord und die ständigen Herausforderungen fordern viel ab – dennoch spürt man eine tiefe Verbundenheit unter den Kadetten.
Es sind Momente von Erschöpfung, aber auch von Stolz und Zusammenhalt. Das Schaukeln in meterhohen Wellen, der Geruch von Salzwasser, das Knarren der Takelage, aber auch der Blick in die unendliche Weite des Meeres beim Aufentern in den Mast – all das macht den einzigartigen Charakter dieser Ausbildung aus.
Werte, die prägen: Kameradschaft, Disziplin, Verantwortung
„Ich wollte mir mein eigenes Bild machen“, erzählt ein Kadett von seiner Entscheidung, zur Marine zu gehen. Auch sein Bild der Bundeswehr war von gesellschaftlichen Vorurteilen geprägt. Das habe sich mit dem Eintritt in die Truppe geändert.
Wiehler horcht nach: Welche Motivation haben die Kadetten, zur Bundeswehr, zu gehen. „Irgendwie ist es ja schon so, „ergänzt eine Kadettin, „dass Deutschland uns viel gegeben hat, dass Deutschland eine Demokratie hat, die sehr schützenswert ist und auch einen Sozialstaat hat, der sehr schützenswert ist. Und das – finde ich – verlieren viele Leute oft aus den Augen.“ Da müsse man auch etwas zurückgeben, ist die Kadettin überzeugt.
Die jungen Marinesoldaten teilen eine klare Wertehaltung: Sie leben von gegenseitigem Vertrauen, der Bereitschaft, auch unter Druck Verantwortung zu übernehmen, und unbedingter Kameradschaft. Jeder ist auf den anderen angewiesen. Die Ausbildung auf der Gorch Fock vermittelt nicht nur nautisches Wissen, sondern auch soziale Kompetenzen und Charakterstärke, die weit über das Meer hinaus wirksam sind. Hiervon sollen die Kadetten profitieren, wenn sie später auf den modernen Kriegsschiffen der Bundeswehr dienen.
Braucht Deutschland die Gorch Fock?
Doch wie sinnvoll ist die Fahrt auf der Gorch Fock unter Fregattenkapitän Elmar Bornkessel für die Ausbildung wirklich? Auch das will Wiehler wissen. Immerhin beherrschten tödliche Unfälle und hohe Kosten lange Zeit die Schlagzahlen. 2008 und 2010 starb je eine Offiziersanwärterin an Bord des Schiffs.
Dazu explodierten die Kosten der in den Jahren 2016 bis 2021 durchgeführten Grundinstandsetzung von zehn auf 135 Millionen Euro. Weit vor dem militärischen Nutzen standen diese Themen lange Zeit im Vordergrund. Die ARD-Doku gibt auch hierauf eine Antwort – wenngleich keine abschließende.
Denn die Gorch Fock ist mehr als eine maritime Ausbildung – sie ist ein Lebensabschnitt. Das wird deutlich, wenn man den Kadetten bei ihrem Alltag an Deck zuschaut. Von den Wochen unter Segeln werden sie noch lange erzählen können. Doch auch sie stellen sich die Frage, wie relevant eine traditionelle Ausbildung in der modernen Marine noch ist. Moderne Technologien und Waffensysteme, die mit den Kanonen auf alten Segelschiffen längst nichts mehr gemein haben, erfordern eine vollkommen andere Ausbildung.
„Das finale Urteil überlasse ich am Ende den Zuschauerinnen und Zuschauern“, erklärt Wiehler. Die Argumente lägen auf der Hand, meint der Journalist nach seiner eigenen Erfahrung an Bord. „Auf der einen Seite Tradition und eine ‚Extremsituation‘, die das Mindset schult. Auf der anderen Seite aber auch die Kostenfrage und die Überlegung, ob man das nicht auf einem Kriegsschiff vielleicht noch gezielter umsetzen könnte.“
Die Reise geht weiter
In der Frage, ob Deutschland die Gorch Fock als Segelschulschiff weiterhin braucht, bietet die Dokumentation „Drill auf hoher See“ (Link zur ARD-Mediathek) von Lukas Wiehler anschauliches Futter für Argumente. Sie zeigt aber auch eindrucksvoll, mit welchem Wertegerüst und aus welcher Motivation heraus junge Menschen heute den Weg in die Truppe finden.
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