Einordnung der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien

Der Bundesminister der Verteidigung wird bei der heute und morgen in Berlin stattfindenden Bundeswehrtagung eine Neuauflage der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vorstellen. Die Tagung mit dem Titel „Zeitenwende gestalten!“ ist ein sicherlich bestgeeigneter Rahmen, um die Aktualisierung der verteidigungspolitischen Grundlagendokumente vorzustellen und mit der obersten Bundeswehrführung zu diskutieren.
Es gibt mehrere Dokumente, die traditionell die künftige Ausrichtung der Bundeswehr bestimmen.
Foto: Bundeswehr/Mario Bähr

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) sind die Ableitung des Verteidigungsministeriums aus der Nationalen Sicherheitsstrategie und damit ein Dokument, das der Bundesminister der Verteidigung als verbindliche konzeptionelle Grundlage für die deutsche Verteidigungspolitik und die Arbeiten in seinem Geschäftsbereich erlässt. Sie legen Grundsätze für die Gestaltung der Verteidigungspolitik fest, bestimmen den Auftrag der Bundeswehr, gewichten deren Aufgaben und machen Vorgaben für die Fähigkeiten der Streitkräfte der Zukunft. Die aktuellen VPR stammen aus dem Jahr 2011 und damit aus einer Zeit, die lange vor den aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa und der Welt lag.

Die Grundlagendokumente für die Bundeswehr

VPR dienen als Rahmenvorgabe für weitere Planungsdokumente wie die Konzeption der Bundeswehr (KdB) oder das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr, beides Dokumente, die nicht veröffentlicht werden und inhaltlich die militärische Zukunftsplanung konkretisieren.

Neben den VPR existiert mit dem Weißbuch der Bundeswehr ein weiteres verteidigungspolitisches Grundsatzdokument, es wird jedoch, im Unterschied zu den VPR, mit den anderen Ministerien abgestimmt und von der Bundesregierung verabschiedet. Das aktuell noch gültige Weißbuch erschien zuletzt im Jahr 2016. Es könnte während der Bundeswehrtagung offiziell durch die Nationale Sicherheitsstrategie als Dachdokument abgelöst werden. Ob es danach dann noch ein Weißbuch geben wird, bleibt einer zukünftigen Entscheidung überlassen.

Die aktuellen Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 2011 tragen den Titel „Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“. Auf etwas mehr als 20 Seiten beschreiben sie den strategischen Rahmen für Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr und gründen auf der Grundlage der damaligen sicherheitspolitischen Lage Deutschlands in Europa und der Welt. Sie waren damals die Grundlage für die Neuausrichtung der Bundeswehr unter dem ehemaligen Minister Thomas de Maiziere.

Warum neue VPR?

Betrachtet man die Zeit zwischen 1990 und 2011 dann kann die unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands durch konventionelle Streitkräfte als gering beurteilt werden. Durch die Auflösung des Warschauer Paktes im Jahr 1991 war eine direkte Bedrohung durch einen massiven Angriff von Land- und Luftstreitkräften derart unwahrscheinlich geworden, dass in vielen Staaten nicht nur in Europa, sondern weit darüber hinaus Umfang und Strukturen der nationalen Streitkräfte drastisch reduziert worden waren. Risiken und Bedrohungen entstanden vielmehr aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, aus dem Wirken des internationalen Terrorismus, terroristischen und diktatorischen Regimen, Umbrüchen bei deren Zerfall, kriminellen Netzwerken, aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen wie der Informationstechnik. […] Deutsche Sicherheitsinteressen ergeben sich aus unserer Geschichte, der geographischen Lage in der Mitte Europas, den internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Landes und der Ressourcenabhängigkeit als Hochtechnologiestandort und Rohstoffen, so die Zusammenfassung des Kapitels „Das strategische Sicherheitsumfeld“ in den damaligen VPR.

Natürlich blieben Ziele wie die der Sicherheit und Schutz der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, die territoriale Integrität und Souveränität Deutschlands und seiner Verbündeten sowie die Wahrnehmung internationaler Verantwortung im Blickpunkt der VPR. Die Verhinderung von Krisen und Konflikten, vorbeugende Aktivitäten zu deren Eindämmung sowie die glaubhafte und nachhaltige Vertretung außen- und sicherheitspolitischer Positionen blieben auch weiterhin deutsche Position im internationalen Umfeld. Die Stärkung der transatlantischen und europäischen Sicherheit und Partnerschaft fand ihren sichtbaren Ausdruck durch die Würdigung der Partnerschaften in NATO und Europäischer Union.

Hieraus abgeleitet ergaben sich als Aufgaben der Bundeswehr mit Schwerpunkt die internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus und die Landesverteidigung als Bündnisverteidigung im Rahmen der Nordatlantischen Allianz. Die Beteiligung an militärischen Aufgaben im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, Beiträge zum Heimatschutz, d.h. Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet, sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand, die Rettung und Evakuierung sowie Geiselbefreiung im Ausland, Partnerschaft und Kooperation als Teil einer multinationalen Integration und globalen Sicherheitszusammenarbeit im Verständnis moderner Verteidigungsdiplomatie, sowie die humanitäre Hilfe im Ausland blieben ebenfalls Aufgaben, allerdings mit geringer Priorität.

Begleitende Ereignisse zu den Festlegungen der VPR waren das Aussetzen der Wehrpflicht und die mehrfache Reduzierung der Truppenstärke der Bundeswehr sowie die schrittweise Schließung von Standorten und der Rückzug der Bundeswehr aus der Fläche.

Veränderungen im sicherheitspolitischen Umfeld

Dies alles hat sich gravierend und grundlegend geändert. Mit der im Jahr 2014 erfolgten russischen Besetzung der Krim zeigte sich die Notwendigkeit der Wiederentstehung nationaler Verteidigungsfähigkeit als Bündnisverteidigung. Dabei waren bereits vorher erste Anzeichen von Veränderungen sichtbar geworden, das russische Engagement im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ in Syrien, der Konflikt in Georgien und die zunehmende „Entfremdung“ zwischen dem westlichen Verteidigungsbündnis und der russischen Förderation. Signale, die man aber aus politischen Gründen gerne verdrängt hatte.

Andererseits gab es dennoch Maßnahmen als Reaktion auf die Veränderungen des sicherheitspolitischen Umfelds. Die Beschlüsse des NATO-Gipfels von Wales, die schrittweise Erhöhung des Verteidigungstitels des Bundeshaushalts, die Agenden Personal und Material, die Erstellung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr 2018 zeigten auf, dass die Veränderung der Bedrohungslage auch Veränderungen in den grundsätzlichen Festlegungen nationaler sicherheitspolitischer Ziele und Positionen bedurfte.

Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24.02.2022 wurde auch in der Breite der Bevölkerung dann endgültig klar, dass es auch aktuell nicht nur vorstellbar, sondern möglich ist, dass eine kriegerische Auseinandersetzung auf europäischem Boden erfolgen kann.

Man darf gespannt darauf sein, mit welchem Inhalt die „neuen, erwarteten Verteidigungspolitischen Richtlinien“ hierauf reagieren werden. Folgt man dem Rational der VPR als Grundlagendokument für die Ausgestaltung nationaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dann ist zu erwarten, dass sie die Basis bilden werden für die zukünftige strukturelle Ausgestaltung der Bundeswehr und damit verbunden auch für die finanzielle Ausstattung eines Verteidigungshaushalts, der wieder mit Schwerpunkt die Landesverteidigung als Bündnisverteidigung im Blickpunkt hat.

Rainer Krug

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