„Uns fehlt die Zeit, um uns schleichend umzustellen“, betont Vizeadmiral Jan Christian Kaack, Inspekteur der Deutschen Marine, zum Abschluss der 63. Historisch-Taktischen Tagung (HiTaTa) der Marine. „Diese Zeitenwende ist in vielerlei Hinsicht disruptiv und erfordert sofortiges Handeln.“ Wie disruptiv und wie entscheidend die kommenden Monate sein werden, zeigten die Analysen und Voraussagen der Geheimdienste.
„Die Nachrichtendienste gehen übereinstimmend davon aus, dass die Taiwanfrage in dieser Dekade „einer Lösung“ zugeführt wird. Die möglichen Auswirkungen auf die Präsenz unseres wichtigsten Verbündeten sollten klar sein“, beschreibt der Inspekteur Marine eine der kommenden Herausforderungen und nennt weiter: „Die NATO geht davon aus, dass Russland einen Zeitraum von ungefähr sechs bis acht Jahren benötigt, bis deren Streitkräfte ihre Verluste im Zuge des Krieges gegen die Ukraine überwunden und ihre Kräfte konsolidiert haben. Die russische Marine wird nicht wesentlich geschwächt aus dem Konflikt hervorgehen, sondern im Gegenteil Innovationen etwa im Bereich Unterwassernavigation, -kommunikation und -wirkung weiter vorantreiben, die uns erhebliche Kopfschmerzen bereiten können – ja in Teilen bereits bereiten. Darüber hinaus erwarten wir in etwa dem gleichen Zeitraum die ersten Effekte einer Militarisierung von Künstlicher Intelligenz hin zu eigenständigen lernenden Systemen, die uns dazu zwingen, schneller und flexibler zu werden.“
Angesichts dieser Voraussetzungen warnt Vizeadmiral Kaack: „Letztendlich und als Summenschluss und so schrecklich es klingt: Niemand stellt mehr in Frage, dass Krieg auch für uns wieder unmittelbare Realität werden kann.“
Operational Experimentation zur Nutzung neuer Technologien
Gleichzeitig betont der Inspekteur Marine, dass seine Teilstreitkraft vorbereitet sei. Die Standortbestimmung und das Zielbild, die im „Kurs Marine 2035+“ dargelegt seien, müssten allerdings mit Leben bzw. Technologie gefüllt werden. Aber auch hier gebe es ein Umdenken. „Besondere Aufmerksamkeit erfährt unser Ansatz des Umsteuerns bei Künstlicher Intelligenz und unbemannten Systemen sowie dem dafür erforderlichen Nutzen der „Operational Experimentation“. Diese neuartige Kooperation zwischen dem BAAINBw, Forschungsinstitutionen, dem Planungsamt und der Marine haben wir erfolgreich etabliert“, berichtet Vizeadmiral Kaack. „Als ein Resultat hat die Marine ca. die Hälfte des Innovationsbudgets des Planungsamtes für sich sichern können. Erste Testkampagnen sind für 2024 mit mehreren Systemen fest eingeplant, so etwa mit dem Large Unmanned Underwater Vehicle Blue Whale.“
Aber auch in der Dimension Luft ergeben sich Möglichkeiten. So werde die Deutsche Marine als Einstieg in Manned-Unmanned-Teaming das Zusammenwirken der Drohne MQ-9 Sea Guardian mit dem neuen Seefernaufklärer P-8A Poseidon testen. „Am Anschluss wollen wir auch der Heron TP eine Chance geben“, berichtet der Inspekteur und führt als weiteres erfolgreiches Projekt an: „Darüber hinaus gelang es in Zusammenarbeit mit unseren „Sechsern“ und dem Cyber Innovation Hub der Bundeswehr in einem neuen Projektaufsatz, Prototypen für Low-Earth-Orbit gestützte Satellitenkommunikation zu testen, Freigaben zu erlangen und diese auf einigen Einheiten einzurüsten. Die Ergebnisse sind – ich sage mal zurückhaltend – sehr erfreulich. Die Langzeittestung erfolgt dann auf den IPD-Einheiten.“
Desaströse Personallage, besonders bei den Fregatten
Während sich die Nutzung und Beschaffung von Systemen sowie die Integration neuer Technologien also positiv entwickeln, sieht der Inspekteur Marine große Probleme im Bereich des Personals. „Die Personallage hat sich leider auch im vergangenen Jahr nicht verbessert und wird zunehmend kritisch“, sagt Vizeadmiral Kaack. „Auch in der schwierigen Frage, mehr Personal an Bord zu bringen, machen wir noch keine Fahrt über Grund. Die Verfügbarkeit voll ausgestatteter Besatzungen insbesondere bei den Fregatten ist – lassen Sie es mich so sagen – in Teilen desaströs.“
Zwar sei die Personalbindung durchaus positiv, doch die Personalgewinnung bleibe schwierig. Dabei gehe die Deutsche Marine auch im Bereich Personal neue Wege: „Mit der Abteilung Recht und Organisation des BMVg haben wir erreicht, für mögliche Änderungen an der SAZV eine sogenannte „Experimentierklausel“ nutzen zu können, die es uns ermöglicht, Abweichungen von bestehenden Regeln im Reallabor zu testen. Das Projekt geht jetzt an das 3. Minensuchgeschwader, das bereits die sogenannte 4-Tage-Woche erprobt.“
Die drei Prioritäten für 2024
Zum Ende seiner Rede nennt der Inspekteur Marine seine Prioritäten für das Jahr 2024. Erstens: Personal halten, gewinnen und neu strukturieren. Zweitens: Munition. „Da die Verantwortung dafür nicht in der Marine liegt, muss der Druck auf die Verantwortlichen ebenenübergreifend hochgehalten werden“, fordert Vizeadmiral Kaack. Drittens: Das Indo-Pacific Deployment (IPD). „IPD ist das Großvorhaben der Marine in 2024“, sagt Vizeadmiral Kaack. Es handele sich dabei nicht um eine „Ausbildung in außerheimischen Gewässern“, sondern um eine Operation. „Das zurückliegende Jahr hat gezeigt, wie schnell und flexibel die Marine im Notfall auf Lageänderungen reagieren kann und können muss. Das wird ein Kraftakt über alle Führungsgrundgebiete.“
Der Inspekteur Marine resümiert: „Wir werden auch in 2024 den erfolgreich eingeschlagenen Kurs zur konsequenten Ausrichtung unserer Marine auf die Erfordernisse der Landes- und Bündnisverteidigung verfolgen. Dies verlangt auch, das Kriegsbild von morgen mitzudenken, Trends für das maritime Umfeld abzuleiten und uns technologisch, organisatorisch, methodisch wie auch mental vorzubereiten und unsere Erkenntnisse modern öffentlich zu vermitteln. Der „Kurs Marine 2035+“ ist dabei für uns handlungsleitend und ist konsequent voranzutreiben und umzusetzen.“
Dorothee Frank
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