Die Weiterentwicklung der Bodengebundenen Luftverteidigung der Luftwaffe

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukra­ine und das damit einhergehende Leid der Zivilbevölkerung durch Angriffe aus der dritten Dimension haben unseren Fokus wieder auf die Bedeutung einer intakten bodengebundenen Luftverteidigung gerichtet. Die Befähigung zum Wirken gegen Ziele in der Luft ist zum Erhalt der eigenen Operationsfreiheit und dem Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastruktur elementar.
Ein Startgerät vom Flugabwehrraketensystem PATRIOT steht im Gelände der Airbase bei der NATO-Mission enhanced Vigilance Activities (eVA) in Sliač/Slowakei.
Foto: Bundeswehr

Mit der durch Sparzwänge ausgelösten Neuausrichtung der Bundeswehr in der letzten Dekade erfolgte auch in der Luftwaffe eine Schwerpunktverlagerung im Fähigkeitsprofil vom Kampf gegen das gegnerische Luftkriegspotenzial hin zu unterstützenden Luftoperationen sowie Überwachung und Aufklärung.

Die Aufgaben im Bereich der Luftverteidigung und Flugabwehr wurden – mit Ausnahme der Anteile des Verbandsschutzes seegehender Einheiten der Marine – ausschließlich der Luftwaffe zugeordnet. Diese übernahm u.a. aufgrund der zu erwartenden Einsatzrelevanz die Aufgaben zum Nächstbereichsschutz gegen Raketen, Artillerie und Mörser sowie den Schutz beweglich geführter Operationen zu Land, einhergehend mit den Waffensystemen MANTIS und das leichte Flugabwehrsystem. Der Verzicht auf organischen, begleitenden Flugabwehrschutz im Heer wurde aufgrund der damaligen und seinerzeit absehbaren Einsatzrealitäten als hinnehmbar bewertet und die Heeresflugabwehrkräfte in Gänze aufgelöst.

Die Refokussierung der Bundeswehr auf die Aufgabe Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) unter gleichzeitiger Beibehaltung der Aufgabe des Internationalen Krisenmana­gements zieht auch einen Ausgleich der vorgenommenen Schwerpunktverlagerung im Fähigkeitsprofil mit der im Jahr 2012 erfolgten Neuausrichtung der Luftwaffe nach sich. Der Schutz beweglich geführter Operationen der Landstreitkräfte sowie von Kräften und Einrichtungen am Boden ist zum Erlangen der eigenen Operationsfreiheit in einem LV/BV-Szenar von besonderer Bedeutung und hat in der bodengebundenen Luftverteidigung wieder eine Aufwertung erfahren. Darüber hinaus wurde im Jahr 2018 mit der Konzeption der Bundeswehr die Territoriale Flugkörperabwehr zur Dauereinsatzaufgabe erklärt. Die Kräfte der bodengebundenen Luftverteidigung müssen daher in der Lage sein, in allen Abfangschichten gegen das gesamte Bedrohungspotenzial wirken zu können. Dieses hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und reicht bei Kräften und Mitteln von „sehr hoch und sehr schnell“, wie bspw. manövrierbare ballistische Flugkörper, bis „sehr klein, sehr langsam und sehr viele“, wie bspw. Schwärme von Klein- und Kleinstdrohnen (small Unmanned Aircraft Systems/sUAS).

Die o.a. Rahmenbedingungen stellt die bodengebundene Luftverteidigung vor große Herausforderungen, da hierfür sowohl qualitative als auch quantitative Anpassungen vorgenommen werden müssen. Die bereits im Jahr 2021 eingeleitete Modernisierung der PATRIOT-Einheiten, die Beschaffungsvorhaben aus dem Sondervermögen im Rahmen der Zeitenwende, der enge Schulterschluss zwischen der Luftwaffe und dem Heer beim Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) sowie die European Sky Shield Initiative (oder kurz ESSI) bilden hierfür die Grundlage.

Flugabwehrsystem MANTIS der Flugabwehrraketengruppe 61 steht während der Großübung EURAD15 in der Raab-Kaserne in Mautern an der Donau/Österreich.
Foto: Bundeswehr

Mit dem Einstieg in die Territoriale Flugkörperabwehr erlangt die Luftwaffe erstmals die Fähigkeit zur Frühwarnung vor und der Bekämpfung von anfliegenden Raketen außerhalb der Erdatmosphäre und damit die Möglichkeit zum Schutz des gesamten Territoriums Deutschlands und unserer Bevölkerung auch gegen ballistische Raketen. Darüber hinaus werden auch die operativen und taktischen Führungseinrichtungen der NATO, Aufmarschräume und somit die logistische Drehscheibe für Verbündete in Deutschland geschützt, welches maßgeblich zum Erhalt der eigenen Operationsführung in einem möglichen Konflikt beiträgt.

Das mittlerweile in die Jahre gekommene, in Quantität nicht ausreichende und Qualität nicht mehr zeitgemäße leichte Flugabwehrsystem wird dem LVS NNbS weichen. Damit erfolgt der dringend benötigte Fähigkeitsaufwuchs im Bereich kurzer und mittlerer Reichweite zum Schutz vor Angriffen durch Flugzeuge, Helikopter, Marschflugkörper und Drohnen. Ohne ein solches System sind wirksame Landoperationen und der Schutz wichtiger Infrastruktur kaum möglich. Mit der Verortung der hochmobilen Systeme zum Schutz im Nächstbereich beim Heer und der Systeme zum Schutz im Nahbereich bei der Luftwaffe ergänzen sich die Expertisen des Heeres bei der Durchführung von beweglichen Landoperationen und die der Luftwaffe im Einsatz im Rahmen der Integrierten NATO-Luftverteidigung auf der taktischen Ebene.

Die Bundeswehr wird auch weiterhin umfangreich in das Rückgrat unserer Luftverteidigung – das Waffensystem PATRIOT – investieren. Mit den laufenden Modernisierungen bleibt das System bis weit in die 40er Jahre mit das modernste System zur Luftverteidigung in Europa. Damit einhergehend werden auch die Voraussetzungen für den Erhalt der multinationalen Interoperabilität und damit dem Einsatz im multinationalen Verbund geschaffen.

Grundsätzlich wird jedoch keine Nation allein über ausreichende Fähigkeiten im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung verfügen. Daher gilt es, mittels der durch Deutschland eingebrachten European Sky Shield Initiative über die Möglichkeiten der Rüstungskooperationen hinaus, auch die operationellen Potenziale zu erschließen. Diese reichen von der Verbesserung der Interoperabilität auf der taktischen Ebene, dem multinationalen Einsatz mit der Möglichkeit zur Bildung von ad hoc europäischen SURFACE BASED AIR AND MISSILE DEFENSE MODULAR TASK FORCES bis hin zu gemeinsamer Ausbildung im Bereich der Luftverteidigung unter dem Dach einer EUROPEAN AIR DEFENCE ACADEMY.

Durch eine Realisierung der genannten Systeme sind die Kräfte der bodengebundenen Luftverteidigung zukünftig in der Lage, gegen (nahezu) alle Bedrohungen aus der Luft wirken zu können. Die Fähigkeiten werden sowohl quantitativ als auch qualitativ deutlich verbessert, wobei das Wirkpotential bzw. die Fähigkeiten vom Nächstbereich bis in den erdnahen Weltraum reichen und der Einsatz im Rahmen beweglich geführter Landoperationen und die Möglichkeiten des Wirkens gemeinsam mit multinationalen Partnern im Verbund erheblich gestärkt werden.

 

Oberst i.G. Dennis Krüger, Beauftragter des Inspekteurs der Luftwaffe für die Projekte der Bodengebundenen Luftverteidigung, Kommando Luftwaffe

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