Das System ghm R2B ist eine geschützte, hochmobile (ghm) sanitätsdienstliche Behandlungs- einrichtung für die erste notfallchirurgische und intensivmedizinische Versorgung innerhalb der ersten zwei Stunden nach Verwundung. Hierdurch kann der Einsatz chirurgischer Teams auch im Rahmen hochintensiver Gefechte der mechanisierten Landstreitkräfte in relativer Nähe zum Ort der Verwundung sichergestellt werden.
Historie
Die in der sanitätsdienstlichen Unterstützung von Landstreitkräften bestehende Fähigkeitslücke in der notfallchirurgischen Erstversorgung wurde bereits vor annähernd zehn Jahren durch die Integrierte Arbeitsgruppe Fähigkeitsanalyse anerkannt und später im Rahmen der sogenannten Umklappstrategie in den aktuellen Planugs bzw. Rüstungsprozess überführt. 2023 soll nunmehr durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) die Ausschreibung und anschließende Vertragserstellung erfolgen. Das Ergebnis, die geschützte hochmobile Sanitätseinrichtung Role 2B (ghm R2B), wird die Fähigkeit des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZSanDstBw) im Bereich der notfallchirurgischen Erstversorgung mechanisierter Kräfte nachhaltig stärken. Des Weiteren werden zeitgemäße Anforderungen an Funktion, Mobilität und Schutz einer modernen militärischen Behandlungseinrichtung umgesetzt. Die Bundeswehr (Bw) verfügt mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr über ein durchhaltefähiges, an den aktuellen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen ausgerichtetes militärisches Gesundheitssystem. Leitlinie für die Qualität der sanitätsdienstlichen Versorgung in Auslandseinsätzen und Missionen der Bundeswehr ist die Gewährleistung eines Ergebnisses, das qualitativ dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht, insbesondere ist dabei das Einhalten der fachlich abgeleiteten und durch die NATO vorgegebenen Zeitlinien zu beachten.
Um diese Vorgaben und insbesondere diese Zeitlinien in einem hochmobilen Gefecht in einem Landes und Bündnisverteidigungs(LV/BV)Szenario zu gewährleisten, ist der abgestimmte Einsatz der erforderlichen sanitätsdienstlichen Fähigkeiten im Sinne einer Rettungskette für die Soldaten, den Einsatzbedingungen und gebieten entsprechend auszubringen. Mit dem modularen Aufbau von Sanitätseinrichtungen (SanEinr) wird das Konzept der Rettungskette nachhaltig unterstützt.
Sie umfasst neben der Selbst und Kameradenhilfe vor Ort vier Behandlungsebenen (sogenannte Roles bzw. NATO Roles) mit unterschiedlichem Leistungsspektrum:
- die allgemeinmedizinische und erste rettungsmedizinische Versorgung (Role 1),
- eine erste notfallchirurgische Versorgung (Role 2),
- die klinischfachärztliche Akutversorgung im Einsatz (Role 3) und
- die abschließende stationäre und ambulante Behandlung, inklusive der sich anschließenden Rehabilitation in Deutschland (Role 4).
Die Behandlungsebene 2 unterteilt sich in drei grundsätzliche Kategorien:
- Role 2 Forward (F) als begrenzt durchhaltefähiges Element,
- Role 2 Basic (B) mit ersten chirurgischen Fähigkeiten sowie einer begrenzten Fähigkeit zur „stationären“ Patientenversorgung und
- Role 2 Enhanced (E) mit erweiterten medizinischen Fähigkeiten.
Die Patientensteuerung erfolgt dabei grundsätzlich nicht starr im Sinne eines konsekutiven „Abarbeitens“ der Ebenen, sondern erfolgt idealtypisch lage bzw. verletzungsadaptiert. Die verwundeten Soldatinnen und Soldaten werden möglichst verzugslos in die für ihre Behandlung am besten geeignete SanEinr transportiert.
Die dazu notwendige Patiententransportorganisation stellt einen integralen Bestandteil der Rettungskette und damit der notfallmedizinischen Versorgung dar. Für die Rettungskette im Einsatz sind NATOeinheitliche Vorgaben hinsichtlich der Zeitlinien für die Behandlung von verwundeten Soldatinnen und Soldaten festgelegt. Als zeitliche Vorgabe für die Versorgung stellt die 10min12StundenRegel hierbei den medizinischen Standard dar. Die Einhaltung dieser Zeitlinien, also die Zeit zwischen Verwundung und Beginn der Behandlung, die auf den Erkenntnissen vieler Einsätze sowie internationaler Erfahrungen in der Traumaversorgung basieren, ist entschei dend für das Überleben und den Genesungsprozess eines verwundeten Soldaten.
Grundsätzlich wird angestrebt, eine erweiterte chirurgische Versorgung nach zwei Stunden sicherzustellen. Ist dies vor dem Hintergrund von Einsatz und Gefechtsbedingungen nicht möglich, ist eine entsprechende Versorgung nach spätestens vier Stunden zu gewährleisten. Medizinisch ist dies nur vertretbar, wenn spätestens nach zwei Stunden erste lebensrettende intensivmedizinische und chirurgische Maßnahmen (Damage Control Resuscitation [DCR]/Damage Control Surgery [DCS]/ Tactical abbreviated surgical care [TASC]) in einer dazu befähigten SanEinr durchgeführt werden (124 StundenRegel; sog. Extended timelines).
Die Verlässlichkeit der Rettungskette ist ein entscheidender Faktor für die Operationsplanung. Schwer verwundete Soldatinnen und Soldaten wurden daher in IKMEinsätzen vorzugsweise initial im Lufttransport verlegt (Forward Air MedEvac). Dieser hat grundsätzlich Vorrang, da damit weitergehende gesundheitliche Folgeschäden minimiert und die Überlebensfähigkeit des Patienten entscheidend verbessert werden können. In einem LV/BVSzenario ist der Einsatz dieser Art des Forward Air MedEvac im Regelfall nicht möglich. Dennoch muss sichergestellt werden, dass eine erste chirurgische Fähigkeit zur Unterstützung von Streitkräften in räumlicher Nähe zu den Orten des zu erwartenden bzw. tatsächlichen Aufkommens von Patienten eingesetzt werden kann. Diese Fähigkeit soll mit der geplanten ghm R2B, einer eigenbeweglichen und somit schnell verfügbaren, geschützten Behandlungseinrichtung mit ersten qualifizierten intensivmedizinischen und chirurgischen Fähigkeiten erbracht werden.
Fähigkeitslücke
Die künftige ghm R2B beruht auf den zu Beginn der Planungen seitens der NATO übergreifend geforderten Fähigkeiten einer geschützten, eigenbeweglichen SanEinr der Behandlungsebene 2. Diese Forderung gilt noch heute und entspricht der Definition der aktuellen Role 2B.
Planungsleitend für die bislang vorhandenen Behandlungseinrichtungen waren oftmals die Aufgaben der Bw im internationalen Krisenmanagement. Daher sind die in der Bundeswehr vorhandenen Systeme für die Behandlungsebene 2 zwar grundsätzlich verlegefähig, verfügen aber derzeit nicht über den Mobilitätsgrad, der zur Unterstützung moderner mechani sierter Truppe im hochmobilen Gefecht notwendig ist. Darüber hinaus sind Auf und Abbau der bestehenden Systeme zeitaufwändig und personalintensiv. Die vorhandenen Einrichtungen können aus eigener Kraft keine Ortsveränderung durchführen, es werden dafür zusätzliche Transport und Umschlagmittel benötigt bzw. gebunden. Diese Betrachtungsweise hat sich in den letzten Jahren, spätestens jedoch nach Annexion der Krim, geändert. Planungsleitend muss nunmehr die sanitätsdienstliche Unterstützung in einem modernen LV/BVSzenario sein. Mit der ghm R2B wird die sanitätsdienstliche Versorgung der Bundeswehr in der Behandlungsebene 2 um den Baustein einer geschützten und eigenbeweglichen SanEinr derartig ergänzt werden, dass eine durchgehende sanitätsdienstliche Unterstützung von Landstreitkräften im mobilen Gefecht sichergestellt werden kann.
Der Fähigkeitsgewinn der sanitätsdienstlichen Unterstützung liegt dabei neben dem passiven Schutz der Einrichtung v.a. in einer schnellen Herstellung der Aufnahmebereitschaft und der Fähigkeit zum raschen taktischen Verlegen.
Verwendungszweck und Funktionsbereiche
Die ghm R2B soll mit ihrer hochmobilen Fähigkeit für die unmittelbare DCR und DCS bei Patienten im Bereich der vorderen Einsatzräume von Landstreitkräften eingesetzt werden. Gerade im Hinblick auf ein Landes und Bündnisverteidigungs-Szenar ist die unmittelbare Nähe der SanEinr zur Kampftruppe zur schnellen Versorgung gemäß den vorgegebenen Zeitintervallen der Rettungskette unabdingbar. Um die fachlich vorgegebenen Zeitlinien für die erste notfallchirurgische, medizinische und intensivmedizinische Versorgung der Patienten einhalten zu können, ist es zwingend erforderlich, dass die ghm R2B den sanitätsdienstlich zu unterstützenden mechanisierten Verbänden des Heeres folgen kann. Dieses erfordert insbesondere hinreichend kurze Auf und Abbauzeiten und eine hohe Mobilität der Trägerfahrzeuge, selbst in schwierigem Gelände. Die ghm R2B ist explizit für die Erstbehandlung von kritisch verwundeten Patienten vorgesehen, die eine direkte Verbrin gung in eine im rückwärtigen Einsatzraum befindliche Behandlungseinrichtung absehbar nicht überleben würden.
Es ist planerisch beabsichtigt, das Gesamtsystem ghm R2B innovativ aufzustellen. Die Container sollen hochmobil ausgestaltet werden, um hierdurch erforderliche Ladevorgänge für den Wechsel von Marsch zu Betriebszustand zu reduzieren oder idealerweise sogar zu vermeiden. Die eigentliche SanEinr besteht aus verschiedenen Funktionsbereichen, die, miteinander verbunden, das Gesamtsystem ergeben. In den Multifunktionscontainern (MultiCon) werden sowohl die notfallmedizinische Erstversorgung, als auch notfallchirurgische Eingriffe zur Blutungsstillung und Stabilisierung der Patienten vorgenommen. Zur Realisierung dieses Grundprinzips sind grundsätzlich vielfältige konstruktive Ausgestaltungen denkbar, der künftige Auftragnehmer greift diesbezüglich im Zuge der Planung und Realisierung auf eine enge Begleitung durch die Projektleitung im BAAINBw und den Bedarfsträger zurück. Nach einer zeitlich begrenzten intensivmedizinischen Betreuung, die ebenfalls im MultiCon durchgeführt wird, wird der Patient transportfähig gemacht, um in einer der nächsthöheren Behandlungsebenen schnellstmöglich weiterbetreut zu werden. Das System soll in Summe eine Kapazität von sechs Behandlungsplätzen für die Bereiche notfallmedizini sche Erstversorgung, notfallchirurgischen Eingriff und intensivmedizinische PostOPBetreuung bieten (Redundanz der medizinischen Fähigkeiten). Planungsvorgabe ist eine sequentielle Versorgung von bis zu vier schwerstverletzten Patienten und vier weiteren Patienten, mit leichtem bis mittelschwerem Verletzungsmuster, innerhalb eines Tages.
Ausblick
Durch die Rüstung der ghm R2B wird im Rahmen der sanitätsdienstlichen Unterstützung von Landstreitkräften eine Fähigkeitslücke in der notfallchirurgischen Erstversorgung auf Basis eines eigenbeweglichen, schnell verfügbaren, geschützten hochmobilen Systems geschlossen. Das System, das die chirurgische Notfallversorgung „nach vorne“ bringt, reduziert die Abhängigkeit von der knappen und wetterabhängigen Ressource Air MedEvac und stellt eine durchgehende flexible sanitätsdienstliche Unterstützung von Landstreitkräften im mobilen Gefecht sicher.
Autorenteam Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr