Patria ARVE: Finnlands neue Radhaubitze für mobile Feuerkraft

Mit Patria ARVE will der finnische Rüstungskonzern Patria eine mobil einsetzbare Selbstfahrlafette auf Rädern auf den Markt bringen. Das System kombiniert bereits bestehende 155mm-Geschütztechnologie mit einem robusten 8×8-Fahrgestell. Patria ARVE zielt insbesondere auf die Anforderungen hochmobiler, schneller Einsatzkräfte. ARVE wurde im März 2025 offiziell vorgestellt. Jüngst konnte das Unternehmen erfolgreiche Testschüsse vermelden.

Die Selbstfahrlafette Patria ARVE absolviert Testschüsse.
Die Selbstfahrlafette Patria ARVE absolviert Testschüsse.
Foto. Patria

Patria ARVE (ARtillery on Vehicle) basiert auf einem pragmatischen Ansatz: Statt eine komplexe Neuentwicklung zu wagen, setzt Patria auf sein bewährtes Feldgeschütz 155 GH 52 APU, das bereits in großer Stückzahl bei den finnischen Streitkräften im Einsatz ist. Dieses Rohr wurde jetzt auf ein neues 8×8-Chassis des Typs SISU E13TP gesetzt. Mit dem speziell für extreme klimatische Bedingungen und hohe Geländegängigkeit entwickelten Fahrzeug ist ARVE ein komplett in Finnland entwickeltes Artilleriesystem.

Im Zentrum des ARVE-Konzepts steht die Fähigkeit zum sogenannten „Shoot-and-Scoot“. Das Artilleriesystem soll nach Ankunft innerhalb von 90 Sekunden feuerbereit sein und das Feuer eröffnen können – und ebenso schnell wieder verschwinden, bevor feindliches Gegenfeuer eintrifft. Diese Taktik ist insbesondere in Szenarien mit einem technologisch ebenbürtigen Gegner von Bedeutung. Auch andere Radhaubitzen, wie die RCH 155 aus Deutschland oder der Archer aus Schweden setzten auf diesen hochmobilen Einsatz.

Fahrzeugplattform und Mobilität

Das Fahrgestell stammt vom finnischen Fahrzeugbauer SISU. Der E13TP 8×8 ist für seine hohe Geländetauglichkeit bekannt. Der 2005 in Finnland vorgestellte Lkw bietet Platz für bis zu sechs Besatzungsmitglieder, ist leicht gepanzert (STANAG 4569) und verfügt über eine hohe Nutzlastreserve. Angetrieben wird das Fahrzeug durch einen 500-PS-starken Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei rund 100 km/h auf Straße, die Reichweite beträgt rund 600 Kilometern.

8x8-Chassis des Typs SISU E13TP
8x8-Chassis des Typs SISU E13TP.
Foto: SISU

Der modulare Aufbau erlaubt einfache Wartung, Nachrüstung und Integration von Komponenten – etwa Kommunikationssysteme, Feuerleitrechner oder Aufklärungssensorik. Trotz des stattlichen Kalibers bleibt das Gesamtgewicht unter 30 Tonnen, wodurch ARVE auch auf Fähren oder mit C-17-Transportflugzeugen verlegbar ist.

Bewaffnung und Feuerkraft

Das Herzstück des Systems ist die 155mm L/52-Kanone. Das von Patria (vormals Oy Tampella AB Industries) gebaute 155 GH 52 APU Rohr findet unter der Bezeichnung 155 K 98 bereits seit 1998 als Feldgeschütz Verwendung in den finnischen Streitkräften. Diese Waffe bietet eine Reichweite von bis zu 28 Kilometern mit Standard-HE-Munition und über 40 Kilometer mit Base-Bleed- oder präzisionsgelenkter Munition. Damit bleibt sie allerdings in ihrer Reichweite hinter vergleichbaren Systemen zurück.

Bei der Selbstfahrlafette Patria ARVE ist das Rohr auf einem drehbaren Lafettensystem montiert, das 360° Traverse und Elevation von −3° bis +60° erlaubt. Die Feuerrate liegt bei drei Schuss in rund 15 Sekunden. Maximal sind acht Schuss pro Minute möglich. Im Dauerbetrieb etwa zwei bis drei Schuss pro Minute – je nach Ausbildungsstand und Munitionsversorgung. Das System selbst transportiert bis zu 24 Schuss Bordmunition inklusive Ladungen, Zünder und Projektilen.

Die finnische Feldhaubitze 155 K98 von Patria.
Die finnische Feldhaubitze 155 K98 von Patria.
Foto: wikimedia / MKFI

Derzeit erfolgt das Richten und Laden manuell, weshalb Patria ARVE auf sechs Soldatinnen oder Soldaten angewiesen ist. Eine spätere Automatisierung des Ladevorgangs ist laut Hersteller angedacht – optional sogar in Kombination mit einem automatisierten Feuerleitrechner.

Technische Spezifikationen – Patria ARVE

  • Typ: 155 mm Rad-Selbstfahrlafette auf SISU E13TP 8×8
  • Gewicht: 28 t
  • Abmessungen: Länge 11,5 m, Breite 2,6 m, Höhe 3,5 m
  • Besatzung: 6 Personen
  • Kanone: 155 mm L/52
  • Munitionsvorrat: 24 Schuss an Bord
  • Feuerrate: 3 Schuss in den ersten 15 Sekunden, dann max. 8 Schuss/Minute (Kurzzeit), bzw. 2 Schuss/Minute (Langzeit)
  • Reichweite: Hoch-Explosiv (HE): bis zu 28 km, Base-Bleed-Munition: bis zu 42 km
  • Verschluss: Horizontal-semi-automatischer Blockverschluss
  • Höhenrichtbereich: –3° bis +60°
  • Seitenrichtbereich: –90° bis +50°
  • Fahrwerk/Antrieb: SISU E13TP 8×8 Allrad-Chassis, 370 kW (500 PS)
  • Geschwindigkeit: 100 km/h (auf Asphalt)
  • Reichweite: 600-900 km
  • Schutz: Ballistischer Schutz: STANAG 4569 Level 2, Minenschutz: STANAG 4569 Level 2a, ABC-Schutz: gekapselte, überdruckgesicherte Kabine
  • Treibstofftank: 400 Liter
  • Einsatzbereitschaft: Feuerbereit nach ca. 90 s, Rückzug innerhalb von ca. 45 s

Taktische Flexibilität

Patria ARVE ist für einen hohen taktischen Bewegungsspielraum konzipiert. Die kurze Reaktionszeit erlaubt präzises Gegenbatteriefeuer oder Unterstützung dynamischer Operationen. Im Vergleich zu klassischen Rohrartilleriesystemen auf Kettenplattformen wie dem K9 Thunder oder der Panzerhaubitze 2000 ist der ARVE leichter, schneller, günstiger und wartungsärmer. Dafür bietet sie ein geringeres Schutzniveau.

Ein besonderer Fokus der Patria ARVE liegt auf der Nutzbarkeit in arktischen und subarktischen Gebieten: Die komplette Systemarchitektur ist für den Betrieb bei −40 °C ausgelegt, was insbesondere für Skandinavien und baltische Staaten von Relevanz ist.

Nutzung und Exportperspektiven

Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine wurde auch in Finnland deutlich, wie wichtig eine mobile Artillerie sein kann. Dort beobachtete man insbesondere den Einsatz des französischen Systems Ceasar – ebenfalls eine Selbstfahrlafette auf Rädern. Doch erst 2017 hatten die Finnen mit der K9 Thunder aus Südkorea gepanzerte Artillerie auf Kette beschafft. Patria erhielt demnach den Auftrag, für eine kostengünstigere Ergänzung zur K9 Thunder zu entwickeln.

Mit ARVE plant das Unternehmen jetzt in Finnland diese selbstfahrende Haubitze zur Verfügung stellen zu können. Aber auch andere Länder könnten sich für Patria ARVE interessieren. Das System wird aufgrund seiner Ähnlichkeit bereits als Alternative zum schwedischen Archer genannt. Interessant könnte die ARVE für jene Staaten sein, die keine vollautomatisierten High-End-Systeme benötigen, aber dennoch NATO-kompatible, moderne Artillerie auf Radbasis suchen.

Die schwedische ARCHER-Artillerie bietet während einer Übung Feuerunterstützung. NATO SSgt Dan Bardsley GBRA
Die schwedische ARCHER-Artillerie bietet während einer Übung Feuerunterstützung.
Foto: NATO / SSgt Dan Bardsley

Vergleich zwischen ARVE und Archer

Im Vergleich zum schwedischen Archer von BAE Systems zeigt sich Patria ARVE tatsächlich günstiger, dafür jedoch weniger automatisiert.

Patria ARVE Archer (BAE Systems)
Kaliber 155mm L/52 155mm L/52
Plattform SISU E13TP 8×8 Volvo A30 6×6
Feuerrate 8 Schuss/min (max.) 9 Schuss/min (automatisch)
Automatisierung Manuelles Laden, teils assistiert Vollautomatischer Lader
Einsatzbereit Nach 90 s Nach 20 s
Schutz STANAG Level 2 STANAG Level 2
Munition 24 Schuss an Bord 21 Schuss an Bord
Crew 6 Personen 3–4 Personen
Preisstruktur Günstiger, wartungsarm Höherer Preis, komplexe Technik

 

Patria ARVE – Ein weiteres europäisches Artilleriesystem

Mit ARVE bietet Patria eine moderne, robuste und kosteneffiziente Lösung im Bereich der selbstfahrenden Radartillerie. Statt auf komplexe Automatisierung setzt man auf bewährte Technik in modernem Gewand. Für viele Länder mit begrenztem Verteidigungsbudget oder besonderen geografischen Anforderungen – wie Finnland selbst – dürfte das System ein attraktives Gesamtpaket darstellen.

Andererseits gibt es im Nachbarland Schweden bereits das sehr ähnliche System Archer, welches zudem einen höheren Grad der Automatisierung aufweist und zudem in der Ukraine kriegserprobt ist. Ob ARVE internationale Käufer findet, wird sich also noch zeigen müssen.

Patrias seit letzter Woche schießende ARVE ist allerdings noch nicht serienreif. Weitere Entwicklungsschritte sind laut Hersteller angedacht. Neben der erwähnten Automatisierung arbeitet Patria auch an einer Küstenartillerie-Version des ARVE – als Ersatz für stationäre Systeme zur Seezielbekämpfung.

Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!

Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:

Beitrag teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Verwendete Schlagwörter

ArcherArtillerieArtilleriesystemFinnlandHaubitzePanzerhaubitzePatriaRadhaubitze
Index