In allen Werkshallen von Urban Industries wird gearbeitet – konzentrierte Stille, unterbrochen vom Geräusch sich biegenden Stahls. Am Standort Hagen werden Panzerstahlplatten gebogen und gefräst. Auch die Protypenfertigung und das technische Büro sind hier beheimatet.
In allen Werkshallen von Urban Industries wird gearbeitet – aber nicht so viel, wie gearbeitet werden könnte. Die Auftragslage für den Rüstungszulieferer ist dünn, obwohl die Stimmung in der Branche eine andere ist. Woran liegt das?
Panzerstahl ist Millimeterarbeit
Dem Unternehmen stehen Maschinen unterschiedlichster Größe zur Verfügung. Die stärkste davon kommt aus der Türkei: 3.000 Tonnen Presskraft auf acht Metern Länge – ein Koloss aus Stahl, der gerade den Unterboden eines Radpanzers auf seiner kompletten Länge biegt.
„Die 3.000 Tonnen brauchen wir nur in Ausnahmefällen“, erklärt Felix Urban, während er durch die Hallen führt, „aber wir haben die Presse extra so groß gekauft, damit wir eben alles machen können.“
Mit „alles“ meint Urban zum Beispiel Platten, wie sie beim Turm einer Panzerhaubitze verbaut werden. Urban streicht mit der Hand über ein solches „Blech“ – 30 Millimeter Panzerstahl, ein Werkstoff mit Charakter. Kommt dann noch der Faktor Länge hinzu, ist man mit 3.000 Tonnen gut bedient.
Länge ist auch beim Material selbst eine Herausforderung, denn über acht Meter verteilt kann jede Unebenheit im Material zum Problem werden. „Das Blech darf in keiner Weise 29,8 oder 29,7 sein, sondern muss immer 30 plus 1 sein“, erklärt Urban. Wenige zehntel Millimeter mehr ist okay, weniger ein Sicherheitsrisiko bei Beschuss.
Dazu kommt: Das Umformen ist schwierig, wenn das Blech in sich keine durchgehende Dicke hat. „Wenn ich jetzt hier draufdrücke,“ erklärt Urban, „kommt das Blech da, wo es dicker ist, viel mehr nach als an der Stelle, wo es dünner ist.“ Die Arbeiter an der Maschine müssen Unebenheiten mit dünnen Metallschilden ausgleichen – Manufakturarbeit.
Katastrophe als Chance begreifen
Den Rest erledigt dann die Presse. 15 Lkw haben die 3.000-Tonnen-Presse des türkischen Maschinenbauers DURMA geliefert, das Hallendach musste beim Bau offenbleiben, da die Presse sonst nicht hätte montiert werden können. 300 Tonnen Gesamtgewicht. Eine Investition in Zukunft und Eigenständigkeit.
Möglich geworden, da Urban Industries gut versichert war, als im Juli 2021 die Flutwelle kam. Damals traten nicht nur im Ahrtal, sondern auch in Hagen und dem angrenzenden Hochsauerland die Flüsse durch Starkregen über die Ufer.
Urban zeigt die Stelle, bis zu der das Wasser in einer der alten Hallen stand. Verschiedene Umbaumaßnahmen sollen Urban Industries gegen zukünftige Naturkatastrophen besser wappnen. Wasser kann heute schneller wieder vom Gelände abfließen.
„Nach dem Hochwasser war es vielen Kunden ein Dorn im Auge“, berichtet Urban, „dass alles an einem Standort ist bei Urban Industries – Stichwort Standortrisiko.“ Eine neue Wirkstätte wurde in den Niederlanden gefunden. In „Lkw-Reichweite“, wie Urban es ausdrückt, sind dort dieselben Produktionsschritte machbar wie in Hagen.
Zusätzlich können am neuen Standort aber auch Verfahren wie Laserschneiden, Sandstrahlen und Schweißen durchgeführt werden. Ein wichtiger Schritt für Urban Industries auf dem Weg vom Tier-2- zum Tier-1-Zulieferer.
Keine Toleranz für Risse im Stahl
Für eine akkurate Rundung müssen Dutzende Pressvorgänge versetzt durchgeführt werden. Zwischen jedem Schritt: Messen, Anpassen, Kontrollieren. Panzerstahl in Form zu bringen, dauert seine Zeit.
Urban Industries hat die nötige Erfahrung gesammelt, die es braucht, damit auch nach zahlreichen Pressvorgängen das Material millimetergenau passt. Die Rohlinge benötigen dazu mehr Material, welches beim Pressen verformt wird. Überstehende Stücke können anschließend weggefräst werden.
Das Blech, das bei Urban Industries geformt und gefräst wird, ist kein gewöhnlicher Werkstoff. Höchste Ansprüche werden an Material und Ergebnis gestellt. Zum einen, damit jedes gefertigte Teil später beim OEM passgenau zum fertigen Panzer verschweißt werden kann. Zum anderen soll der Stahl das Leben der Soldaten schützen und Beschuss standhalten. Selbst feinste Risse, die durch den Prozess des Biegens entstehen können, dürfen nicht toleriert werden.
Bei Urban Industries kontrolliert ein Materialprüfer im abgedunkelten Raum jedes Stück. Eine fluoreszierende Flüssigkeit enthält Metallspäne, ein Elektromagnet bewegt sie. Treffen die Späne auf einen winzigen Riss, wird dieser dort unter Speziallicht für das menschliche Auge sichtbar. Mit etwas Glück lässt sich der Oberflächenriss schleifen. Wenn nicht, wird das Blech aussortiert.
Stahl aus Schweden, Vertrauen aus Erfahrung
Stahl ist nicht gleich Stahl. Der besonders harte Panzerstahl bezieht Urban Industries derzeit fast ausschließlich aus Schweden, genauer von SSAB. „Die machen das seit Jahrzehnten“, sagt Urban. Der deutsche Hersteller aus dem Ruhrgebiet habe „zum falschen Zeitpunkt damit aufgehört“, sonst wären die Lieferkette natürlich kürzer.
Zum Glück gibt es mittlerweile einen Lieferanten aus dem Saarland, damit gibt es endlich wieder zertifizierten ballistischen Stahl aus Deutschland.
Den Stahl zu biegen, ist die eine Sache. Den Stahl zu gestalten die andere. Auch dafür stehen Urban Industries mehrere Maschinen zur Verfügung – auch für Werkstücke bis acht Meter Länge. „Wir versuchen natürlich immer so wenig wie möglich Schritte an diesen Bauteilen durchzuführen“, erklärt Urban.
„Das heißt, wir können beispielsweise komplette Bodenwannen kannten, können diese Bodenwanne dann hier auf diese Maschine spannen und von allen Seiten bearbeiten. Das heißt, das Bauteil wird von seiner Qualität dann so perfekt, dass der Kunde eben ein supergenaues Bauteil bekommt.“
Stähle mit Bedeutung
Inmitten von gewaltigen Maschinen und tonnenschwerem Material steht immer wieder der Mensch im Mittelpunkt des Familienunternehmens. 70 Mitarbeiter arbeiten bei Urban Industries. Das Unternehmen leidet weniger am Fachkräftemangel als andere, erklärt Urban im Interview. Man schaue weniger auf schulische Bildung, dafür mehr auf den „Geist“, den Bewerber mitbringen. Die guten Leute formt Urban Industries dann selbst.
Kapazitäten aufgebaut hat Felix Urban – für Mensch und Stahl. Jetzt müssen die Aufträge folgen. Bislang kamen sie zu 90 Prozent aus der Rüstung – Kraftstofftankpanzerungen, Sprengschutzbodenplatten, Waffentürme. Der Anteil ziviler Produkte soll ausgebaut werden. Auch Gas- und Windturbinen sind auf besondere Stähle angewiesen.
Den Blechen in Hagen sieht man es noch nicht an, aber was dort getan wird, schützt später das Leben der Soldaten. Die großen OEMs der Branche wissen das und bestellen bei Urban Industries, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie sie es könnten und wie es die Sicherheitslage gebietet.
Woran das liegt, kann Felix Urban nur mutmaßen. Ein Grund könnte sein, dass die Panzerbauer ihre eigenen Kapazitäten selbst nicht so schnell ausbauen konnten, wie es der Rüstungszulieferer aus Hagen geschafft hat.
Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:
