Rüstung

Mobilität und Schutz von Landplattformen

Bedarf die Wirk- und Durchhaltefähigkeit von Landplattformen des Heeres einer Schwerpunktsetzung im Bereich hoher Mobilität oder sollte eher dem passiven Schutz der Vorzug gegeben werden? Vor dem Hintergrund des geplanten Fähigkeitszuwachses durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“ und ergänzenden Unterstützungssystemen wie unbemannten Unterstützungsplattformen sowie den Erkenntnissen aus der Landkriegsführung Russlands in der Ukraine erörtert das Autorenteam Sachgebiet Unterstützung I 1 (1) aus dem Amt für Heeresentwicklung in diesem Fachbeitrag die Frage, welche Fähigkeiten das Heer insbesondere für die Landes- und Bündnisverteidigung benötigt.
Fähigkeitszuwachs durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“ – hier: Produktbeispiel für ein Steilfeuersystem auf Basis GTK BOXER – RCH 155
Fähigkeitszuwachs durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“ – hier: Produktbeispiel für ein Steilfeuersystem auf Basis GTK BOXER.
Foto: KMW

In diesen Artikel sind maßgeblich veröffentlichte Erkenntnisse über die Landkriegsführung Russlands in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 eingeflossen. Mögliche Folgerungen für die Bundeswehr werden geprüft; sie sind zurzeit weder im Heer noch ministeriell abschließend gebilligt. Gleichwohl sind ausgewählte Aspekte geeignet, insbesondere solche mit Blick auf den Verlust von Landplattformen, um bereits an dieser Stelle als Impulsgeber für die Fähigkeitsentwicklung des Heeres erörtert zu werden. Damit verbunden sollen erste Ideen für die Ausgestaltung der Landmobilität des Heeres auf einem möglichen Gefechtsfeld in der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) vorgestellt werden.

Die Thematik wird hier auf zwei Aspekte fokussiert, die regelmäßig gegensätzlich sind: Bedarf die Wirk- und Durchhaltefähigkeit von Landplattformen des Heeres einer Schwerpunktsetzung im Bereich hoher Mobilität oder sollte eher dem passiven Schutz der Vorzug gegeben werden?

Mobilität und passiver Schutz durch Panzerung stehen aufgrund des Gewichts von Panzerung regelmäßig in einem Zielkonflikt. Als Grundsatz gilt: je höher die Forderung nach Mobilität ist, desto leichter und agiler muss eine Plattform sein und damit umso geringer ihre Panzerung. Gleiches gilt umgekehrt. Keiner der beiden Grundsätze ist für alle Kräfte des Heeres allgemeingültig. Vielmehr sind sie differenziert, d.h. auftrags- und bedrohungsgerecht in den Fähigkeitsdomänen umzusetzen.

Konzeptionelle Ausgangslage

Das Konzept „Landmobilität der Bundeswehr“ bildete in 2019 die konzeptionelle Grundlage für eine systematische Ableitung und Ausplanung eines skalierbaren Bedarfs an Plattformen mit bzw. ohne Schutzbedarf. Dem Heer wurde ein differenzierter Schutzbedarf für seine Plattformen zuerkannt: Für ca. 50% in den Ausprägungen „höchster“, „hoher“ und „niedriger“ Schutzbedarf sowie „ohne“ Schutzbedarf für die übrigen ca. 50% der Flotte. Dieser konzeptionelle Mix an Landplattformen wurde seinerzeit als angemessen bewertet, um das gesamte Aufgabenspektrum des Heeres, einschließlich LV/BV, abzudecken. Ob diese Bewertung heute und in absehbarer Zukunft noch Bestand hat, ist auch angesichts der Erkenntnisse aus den Kriegshandlungen in der Ukraine zu überdenken.

Erste Erkenntnisse

Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine ließ erwarten, dass die russischen Angriffsziele am Boden, vorrangig die Hauptstadt Kiew, rasch hätten genommen werden können. Es kam anders.

In der ersten Phase des Angriffs erwies sich die Fähigkeit zur Mobilität der russischen Landstreitkräfte am Boden als eingeschränkt. Ihre Geländegängigkeit wurde witterungsbedingt gehemmt. Zu ihrer Führungsfähigkeit stützten sie sich auch auf offene, aufklärbare Kommunikationsmittel ab. Eine mangelhafte Logistik verzögerte ihre Operationsführung erheblich. Sie wurden maßgeblich vom hohen Einsatzwert der ukrainischen Bodentruppen überrascht, kontinuierlich aufgeklärt und taktisch geschickt, hochbeweglich agierend, abgenutzt. Das hatte zwar noch keine Auswirkungen auf die Durchhaltefähigkeit der russischen Landstreitkräfte, allerdings wurde ihr Einsatzwert am Boden deutlich vermindert.

Bereits aus diesem knappen Lagebild lassen sich erste Erkenntnisse ableiten: Geschützte Führungs- und Kommunikationsfähigkeit auch auf Plattformen sind wesentliche Voraussetzungen für ein reaktionsschnelles, risikoarmes Agieren. Präzise Aufklärungs- und Wirkmittel können Plattformen in Echtzeit fast immer und überall aufklären und bekämpfen. Gepanzerte und geschützte Plattformen gewähren nur alleine durch ihre Panzerung keinen herausgehobenen Schutz vor hochmoderner Waffenwirkung. Ausgeprägte Gelände- und Ortskenntnisse ermöglichen es mitunter auch leichten, abgesessenen und gut ausgebildeten Kräften, um zeitlich und örtlich begrenzt erfolgreich gegen Plattformen jeder Art zu wirken. Unzureichende Logistik gefährdet die eigene Truppe durch erzwungenes statisches Verhalten.

Was bedeutet das für die Mobilität und den Schutz von Landplattformen des Heeres auf dem Gefechtsfeld generell und spezifisch in den Fähigkeitsdomänen?

Fähigkeitszuwachs durch Unterstützungssysteme – hier: Produktbeispiel für eine unbemannte Unterstützungsplattform.
Foto: FKIE

Generelle Folgerungen

Das Heer hatte sich in seiner aktuellen Ausplanung deutlich am Schutz durch Panzerung orientiert, um das Risiko von Verlusten an Personal in allen Einsatzszenarien zu minimieren. Dieser Ansatz ist für ein Szenario „Internationales Krisenmanagement“ (IKM), mit einem asymmetrisch agierenden Gegner, unverändert gültig und zu fordern. Die Bedrohung der eigenen Landplattformen durch einen Gegner in LV/BV hingegen ist im Schwerpunkt eine symmetrische. Sie wird anteilig durch asymmetrisch operierende Kräfte begleitet, die auf eigene Hochwertziele angesetzt werden.

Es kommt deshalb vorrangig darauf an, sich der gegnerischen Aufklärung und nachfolgend dem massiven, weitreichenden, präzisen und konzentrierten Steilfeuer, dem Feuer gegnerischer Luftstreitkräfte als auch zunehmend der Bekämpfung durch bewaffnete Unmanned Aircraft Systems (UAS) zu entziehen und zugleich dagegen wirken zu können. Eine Bedrohung durch direktes gegnerisches Feuer wirkt sich erst danach aus. Gegen dieses können sich moderne eigene gepanzerte und geschützte Plattformen grundsätzlich behaupten. Einer Bedrohung eigener Hochwertziele (z.B. Führungseinrichtungen oder exponierte Aufklärungsmittel) durch asymmetrisch operierende gegnerische Kräfte wird durch angemessene Sicherung, frühzeitige Aufklärung sowie maßgeblich durch ein taktisch unauffälliges, hoch bewegliches Verhalten zu begegnen sein.

Für die eigene plattformbezogene Operationsführung verlangt das generell:

  • Auflockerung sowie häufigen Standort- und Stellungswechsel,
  • Minimierung der Größe und Verweildauer von Führungs- und Versorgungseinrichtungen,
  • Umdenken vom „Schutz durch Panzerung“ hin zu verstärktem „Schutz durch Mobilität“,
  • verschlüsselte Kommunikationsmittel hoher Reichweite,
  • multispektrale Signaturreduzierung sowie moderne Tarn- und Täuschmittel,
  • vermehrte Abstützung auf eher leichte, kostengünstigere und daher in größerer Anzahl verfügbare Plattformen mit einer hohen Mobilität anstelle von eingeschränkt verfügbaren, kostenintensiven, geschützten, schweren Plattformen,
  • breit verfügbare Aufklärungs- und Wirkplattformen gegen UAS im bodennahen Luftraum,
  • Abstützen auf möglichst mobile Elemente in der Logistik sowie zusätzlich, innovativ und
  • Herbeiführen eines Fähigkeitszuwachses in Kräftekategorien durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“.

Spezifische Folgerungen in den Fähigkeitsdomänen

Führung: Führungseinrichtungen müssen kleiner und schneller verlegbar werden. Sie müssen dazu ausschließlich auf Landplattformen gestützt sein, um einen mobilen Einsatz oder zumindest eine schnelle Verlegefähigkeit zu ermöglichen, d.h. als „Geschützte Bewegliche Führungseinrichtungen“ (GBF) sowie als Transportplattformen mit geschützten Führungs- und Arbeitsplatzcontainern, durchgehend verlastet. Die Energieversorgung von Gefechtsstandelementen ist mobil, plattformgestützt vorzusehen. Systeme zur Informationsverarbeitung und Informationsübertragung müssen rasch verlegbar und plattformgestützt sein.

Aufklärung: Landplattformen zur Aufklärung müssen Duellsituationen vermeiden. Das ist vorrangig durch hohe Mobilität, logistische Autarkie, angemessene Reichweiten und mitgeführte Aufklärungssysteme zu gewährleisten. Sie müssen durch höhere Zuladungsmöglichkeiten durchhaltefähiger für eine geplante Einsatzdauer werden. Unter Inkaufnahme von geringerer Panzerung sind daher verstärkt leichtere Plattformen vorzusehen. Letzteres gilt analog für Landplattformen zur Gefechtsaufklärung sowie für Plattformen, die für das Verbindunghalten eingesetzt werden.

Wirkung: Die Wirkfähigkeit des Heeres am Boden ist mit einem Mix aus gepanzerten und geschützten sowie anteilig ungeschützten Landplattformen grundsätzlich gegeben. Mit der Aufstellung von „Mittleren Kräften“, die sich maßgeblich auf gepanzerte Radplattformen abstützen, betont das Heer den Faktor Mobilität. Der Schutz eigener Kräfte sowie deren erhöhte Wirk- und Durchhaltefähigkeit können durch unbemannte Plattformen erhöht werden, die bruchfrei mit bemannten Plattformen am Boden agieren. Landplattformen von Spezial- und Spezialisierten Kräften müssen vorrangig deren uneingeschränkte taktische Beweglichkeit, hohe Agilität sowie leichte und schnelle Luftverladbarkeit gewährleisten, unter Inkaufnahme einer geringeren Panzerung.

Unterstützung: Logistik muss hoch mobil und wo immer möglich containerisiert auf Transportplattformen verlastet bereitgehalten werden. Deren Panzerung ist insbesondere in rückwärtigen Gebieten zu reduzieren. Ausdrücklich kann hier durch kostengünstige, in größerer Anzahl verfügbare ungeschützte Landplattformen mit einer hohen Mobilität zur Leistungssteigerung beigetragen werden. Eine möglichst mobile Lagerhaltung ist zu entwickeln. Hierbei ist für sensible, kriegswichtige Versorgungsgüter, wie Munition und Betriebsstoffe, eine Mindestanforderung an schnell verlegbaren (baulichen) Schutz geboten, insbesondere gegen Steilfeuer. Mit dem Einsatz von unbemannten Unterstützungssystemen lässt sich ein Fähigkeitszuwachs für alle Nutzer erzielen. Die Fähigkeit zum Wirken gegen Bedrohungen aus dem bodennahen Luftraum ist grundsätzlich für alle Heereskräfte zu fordern, der Ausstattungsbedarf von Landplattformen hiermit ist zu definieren. Für die militärischen Brandschutzkräfte des Heeres haben Plattformen mit hoher Mobilität eine höhere Bedeutung als deren Panzerung. Der Sanitätsdienst des Heeres (SanDstH) muss den zu unterstützenden Spezial- und Spezialisierten Kräften uneingeschränkt folgen können. Daher müssen dessen Landplattformen über eine vergleichbare Mobilität verfügen, einschließlich ihrer Luftverladbarkeit. Unabhängig von der Bedrohung im Raum sind diese Plattformen grundsätzlich ungeschützt. Das „Rote Kreuz“ an sich gewährleistet keinen Schutz. Deshalb gilt auch für den SanDstH: vermehrter Schutz durch hohe Mobilität und lageangepasstes, die Signatur reduzierendes, taktisches Verhalten. Ausbildungs- und Übungseinrichtungen des Heeres sind durchweg mit ungeschützten Landplattformen auszustatten, außer einem definierten, unverzichtbaren Anteil an gepanzerten und geschützten Plattformen.

Ausblick

Konzeptionelle Grundlagen verlangen eine regelmäßige Überprüfung ihrer Gültigkeit. Für das Konzept „Landmobilität der Bundeswehr“ ist diese auf Mai 2024 festgelegt. Spätestens bis dahin liegen valide Erkenntnisse u.a. aus dem Landkrieg in der Ukraine vor, die zu einer Pointierung bereits gültiger Aussagen des Konzeptes in den Kategorien Mobilität und Schutz führen können. Ableitungen daraus werden eine Nachjustierung der Landplattformflotte des Heeres für LV/BV ermöglichen, mit einem Mix aus gepanzerten und geschützten sowie ungeschützten, aus bemannten und unbemannten Plattformen.

Womöglich liefern bereits die hier aufgezeigten Gedanken einzelne Anregungen, die im aktuellen Planungs-, Rüstungs- und Beschaffungsprozess von Landplattformen des Heeres berücksichtigt werden können. Diese sind zugleich mit allen Organisationsbereichen abzustimmen, die in der Dimension Land eingesetzt sind. Gemeinsames Ziel muss es sein, alle Akteure mit ihren Landplattformen zukunftssicher aufzustellen; das bedeutet, sie mit Blick auf Mobilität und Schutz für LV/BV wirk- und durchhaltefähig auszustatten.

Autorenteam Sachgebiet Unterstützung I 1 (1), Amt für Heeresentwicklung für cpmFORUM 5/2022

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Verwendete Schlagwörter

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