RCH 155 – Unbemannte Artillerie ist greifbar

Die RCH 155 (Remote Controlled Howitzer 155) ist ein modernes Artilleriesystem, welches entwickelt wurde, um den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Die Radhaubitze RCH 155 von KNDS (ehemals KMW) kombiniert fortschrittliche Technologie mit bewährter Feuerkraft und bietet eine flexible, hochmobile Lösung für moderne Streitkräfte.

Fähigkeitszuwachs durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“ – hier: Produktbeispiel für ein Steilfeuersystem auf Basis GTK BOXER – RCH 155
Fähigkeitszuwachs durch Aufstellung von hochbeweglichen „Mittleren Kräften“ – hier: Produktbeispiel für ein Steilfeuersystem auf Basis GTK BOXER.
Foto: KMW

Die Haubitze RCH 155 besteht aus dem Artillerie-Geschütz-Modul (AGM) von KNDS auf Basis des Radpanzers Boxer von Artec (Zusammenschluss von KMW und Rheinmetall). Bereits jetzt wird die Radhaubitze für ihre hohe Präzision, Reichweite und Mobilität geschätzt. Die RCH 155 ist das erste Artilleriegeschütz, welches aus der Bewegung treffsicher schießen kann. Das macht sie zu einem wichtigen Bestandteil moderner Artillerieeinheiten, insbesondere in der Größenordnung Mittlere Kräfte.

Entwicklungsgeschichte der RCH 155

Die Entwicklung der RCH 155 begann mit einer ersten Konzeptphase bereits in den frühen 2000er-Jahren, als die Notwendigkeit für ein hochmobiles und präzises Artilleriesystem offensichtlich wurde. Das Projekt startete als industrielle Eigeninitiative, denn es erging kein Auftrag an den damaligen Entwickler Krauss-Maffei Wegmann (KMW, heute KNDS).

Grundlage für KMW waren die Erfahrungen mit der Panzerhaubitze 2000 und dem Artilleriegeschützes Donar, auf denen das AGM aufbaut. Das erste Mal als RCH 155 wurde das Artilleriesystem im Juni 2016 auf der Eurosatory in Paris vorgestellt. In den folgenden Jahren wurde das System weiterentwickelt und bei Schusstests das heutige Niveau unter Beweis gestellt.

Die RCH 155 von KNDS.
Die RCH 155 von KNDS.
Foto: KNDS

Ein Meilenstein stellt dabei der August 2021 dar, als KNDS mit der RCH 155 erstmalig ein mobiles Artilleriesystem aus der Bewegung wirken konnte. Bei Geschwindigkeiten bis zu 30 km/h soll die RCH 155 nach Herstellerangaben einsetzbar sein.

Technische Spezifikationen

Die RCH 155 baut wie auch der neue Radschützenpanzer RCT30 der Bundeswehr auf dem Fahrgestell des GTK Boxer auf. Das unbemannte Artillerie-Geschütz-Modul (AGM) ist als eigenes Modul auf dem Boxer montiert.

Der GTK Boxer

Als hochmobiler, gepanzerter Radfahrzeugtransporter wurde der Boxer für verschiedene militärische Einsatzzwecke entwickelt. Durch seine modulare Bauweise können verschiedene Missionsmodule wie Truppentransport, Sanitätsfahrzeug, Führungsfahrzeug – oder eben Artillerie – auf demselben Fahrgestell montiert werden. Das setzt insbesondere in der Instandhaltung Synergien frei.

Das Fahrzeug bietet hohen Schutz gegen Minen, IEDs und ballistische Bedrohungen, kombiniert mit guter Geländegängigkeit und hoher Mobilität auf Straßen und im Gelände, wie sie für die Mittleren Kräfte benötigt wird.

Das Artillerie-Geschütz-Modul (AGM)

Das AGM verfügt über die gleiche 155 mm/L52-Rohrwaffe wie die Panzerhaubitze 2000 und kann somit eine Vielzahl von Munitionstypen – einschließlich präzisionsgelenkter Munition – verwenden. Durch die vollständige Automatisierung des AGMs ist die RCH 155 nur noch auf zwei Soldaten Besatzung angewiesen – Kommandant und Fahrer. Eine moderne Feuerleittechnik sorgt für präzise Zielgenauigkeit.

Mit der Wirkungskraft einer Panzerhaubitze 2000 wäre die RCH 155 auf BOXER-Basis eine mögliche Konfiguration für die Mittleren Kräfte.
Mit der Wirkungskraft einer Panzerhaubitze 2000 wäre die RCH 155 auf BOXER-Basis eine mögliche Konfiguration für die Mittleren Kräfte.
Foto: KMW

Zudem ist das AGM netzwerkfähig und kann in moderne Gefechtsfeldmanagementsysteme integriert werden, was die Kommunikation und Koordination mit anderen Einheiten verbessert.

Die wichtigsten Merkmale der RCH 155 im Überblick:

  • Gewicht: ca. 39 Tonnen
  • Maße (LxBxH): 10,50 x 2,99 x 3,60 m
  • Motorisierung: bis zu 600 kW / 815 PS
  • Geschwindigkeit: 100 km/h (Straße)
  • Reichweite: 700 km (Straße)
  • Kaliber: 155 mm
  • Lauflänge: 52 Kaliber
  • Munitionsvorrat: 30
  • Flachschießen: möglich
  • Maximale Reichweite: (je nach Munitionstyp) bis zu 54 km
  • Feuerrate: bis zu 8 Schuss pro Minute
  • Munitionstypen: HE (Hochexplosiv), Rauch, Beleuchtung, präzisionsgelenkte Munition
  • Besatzung: 2 (Kommandant und Fahrer)

Die mitgeführte Munition wird vollautomatisch geladen, sodass im Turm selbst kein Soldat gebraucht wird. Zwar ist der Munitionsvorrat der RCH 155 mit nur 30 Geschossen nur halb so groß wie jener der Panzerhaubitze 2000, doch ist das Nachladen in vergleichsweise kurzer Zeit durch ein Begleitfahrzeug möglich.

Erwähnenswert ist an dieser Stelle das Rundumsicht-System SETAS (See Through Armour System) von Hensoldt, welches dem RCH 155 einen Sicht- und Wirkbereich von 360°Azimut ermöglicht.

Nach Angaben des Herstellers soll es nicht nur bei einer Automatisierung des Geschützes bleiben: Es wird daran gearbeitet, in Zukunft die Radhaubitze vollständig unbemannt auf dem Gefechtsfeld einsetzen zu können.

RCH 155 ohne Boxer

Das Geschütz des RCH 155 kann dank seiner Modulbauweise auch auf anderen Fahrzeugen montiert werden. Denkbar sind beispielsweise Lkws wie der Trakker 8×8 von Iveco. Um jedoch eine mit dem RCH 155 vergleichbare Schutzklasse zu erfüllen, wäre als Alternative ebenfalls ein Radpanzer notwendig. GDELS hat in dieser Woche beispielsweise die Kombination aus AGM und 10×10 Piranha HMC bei einem Demonstrationsschießen vorgestellt.

Aktuelle und mögliche Nutzerstaaten

Der RCH 155 hat aufgrund ihrer fortschrittlichen Technologie und ihrer beeindruckenden Leistungsfähigkeit das Interesse vieler Staaten geweckt. Als Entwicklernation des Systems wird die Radhaubitze auch bei der Bundeswehr eingeführt.

Aus der geplanten Struktur des deutschen Heeres gehen drei radgestützte Artilleriebataillone der mittleren Kräfte hervor, was einen Bedarf von 168 Radhaubitzen RCH 155 entspricht. Ob diese 168 Systeme auch so kommen, ist bisher nicht klar. Doch sie werden kommen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 24. April 2024 versichert. Die RCH 155 soll gemeinsam mit Großbritannien beschafft werden.

In der Schweiz wird derzeit ein Nachfolger für die 50 Jahre alte Panzerhaubitze M109 gesucht. Hier ist die RCH 155 ein aussichtsreicher Kandidat. Möglich ist für die Schweizer aber auch eine Beschaffung des Archer aus Schweden.

RCH 155 in der Ukraine

Definitiv geliefert wird die Radpanzerhaubitze allerdings in die Ukraine. Hier sind in drei Paketen mittlerweile 54 Systeme finanziert und bestellt worden – unter anderem aus Deutschland. Die Haubitzen befinden sich derzeit in Produktion und sollen zwischen 2025 und 2027 an die Ukraine ausgeliefert werden.

Erster Nutzerstaat der RCH 155 von KNDS wird die Ukraine sein. 54 Systeme sind bestellt.
Erster Nutzerstaat der RCH 155 von KNDS wird die Ukraine sein. 54 Systeme sind bestellt.
Foto: KNDS

Kritik am System RCH 155

Als Hauptkritikpunkt wird häufig der Preis genannt. Dieser sei deutlich teurer als bei anderen Systemen. Geschätzt werden für eine RCH 155 rund 20 Millionen Euro, während das System Archer rund sieben Millionen und eine auf einem geschützten Lkw verbaute CAESAR NG gerade einmal rund fünf Millionen Euro kosten sollen.

Allerdings sind Preisvergleiche immer mit Vorsicht zu genießen, da tatsächliche Preise je Kunde stark variieren können, je nachdem, wie viel an Ersatzteilen, Ausbildung und Zusatzkomponenten bestellt wird. Die oben erwähnten 20 Millionen Euro beziehen sich auf die wahrscheinliche Bestellung durch die Bundeswehr, also ein „Komplettpaket“. Die ersten RCH 155 für die Ukraine haben wohl nur rund 13,5 Millionen Euro gekostet.

Unterstütztes nachladen des AGM.
Technisch unterstütztes Nachladen des AGM.
Foto: cpm / Tobias Ehlke

Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich auf die geringe Munitionskapazität von nur 30 Geschossen. Häufiges Nachladen macht ein Artilleriesystem, dessen Stärke in der Bewegung liegt, verwundbar. Das zeige sich aktuell auch in der Ukraine, wo russische Artillerie in Frontnähe oft während des Nachladens aufgeklärt und bekämpft würde.

Die RCH 155 im Vergleich zu anderen Artilleriesystemen

Die RCH 155 bietet aufgrund des Radfahrzeugs eine höhere strategische Mobilität im Vergleich zu Artilleriesystemen auf Kette wie der PzH 2000 oder der K9 Thunder. Andererseits gibt es Einbußen beim Grad der Geländegängigkeit und der mitgeführten Munition.

Im Vergleich mit anderen radbeweglichen Systemen wie Caesar aus Frankreich oder dem System Archer kann die RCH 155 nicht mit einem A400M transportiert werden.

Im Vergleich mit anderen Systemen sticht sie insbesondere durch ihre weitentwickelte Automatisierung hervor. Die PzH 2000, Caesar und k9 Thunder benötigen fünf Soldaten für den Betrieb und auch die Radhaubitze Archer aus Schweden verfügt über drei bis vier Mann Besatzung. Die RCH 155 kommt hingegen mit 2 Soldaten aus. In Zeiten von Nachwuchsproblemen moderner Streitkräfte zweifelsfrei ein nicht zu unterschlagender Vorteil.

Keine Zukunftsmusik mehr: unbemannte Artillerie

Die RCH 155 repräsentiert einen bedeutenden Fortschritt in der modernen Artillerietechnologie. Ihre technischen Spezifikationen machen sie zu einem geeigneten Baustein der zukünftig an Bedeutung noch zunehmenden Mittleren Kräfte. Das hohe Maß an Automatisierung, welches sich bei dieser Haubitze noch zu einem vollständig unbemannten Artilleriesystem entwickeln könnte, ist zudem ein Beleg, dass auch Bodenfahrzeuge zukünftig immer öfter ohne Besatzung auskommen werden.

Mit Präzision – auch in der Bewegung–, Reichweite und Mobilität bietet die RCH 155 eine flexible und leistungsfähige Lösung für die Artillerieanforderungen des 21. Jahrhunderts.

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