Öl, Gas und russische Waffen für die Sahelzone

„Wenn man sich die Länder anschaut, in denen Russland aktiv ist – Zentralafrikanische Republik, Mali, Niger, Burkina Faso – dann sind das alles gescheiterte Staaten“, erklärt Ulf Laessing von der Konrad Adenauer Stiftung (KAS). „Hier bietet Russland ein sogenanntes Regime-Survival-Paket an, ein Service für Regierungen, die unter politischem Druck stehen.“ Laessing ist Leiter des Sahelprogramms der KAS und damit zuständig für die fast 6.000 km breite Region der Sahelzone, von Mauretanien bis Eritrea. Ziel des Programms ist die Stärkung der demokratischen Kräfte und der Zivilgesellschaft sowie die Förderung des regionalen Austauschs zwischen den Sahel-Ländern. Das Interview über den westlichen Rückzug aus einer zunehmend wichtigeren Region führte Navid Linnemann.

Ulf Laessing von der Konrad Andenauer Stiftung (KAS) ist Experte für die Sahelzone; Mehrzweckhubschrauber NH-90 landet zum Absetzen eigener Teile in der Wüste von Nordmali im Rahmen des Einsatzes MINUSMA in Mali.
Ulf Laessing von der Konrad Andenauer Stiftung (KAS) ist Experte für die Sahelzone; Mehrzweckhubschrauber NH-90 landet zum Absetzen eigener Teile in der Wüste von Nordmali im Rahmen des Einsatzes MINUSMA in Mali.
Fotos: KAS; Bundeswehr / Marc Tessensohn
Es ist vor allem Frankreich, das momentan in der Sahelzone, – genauer: in seinen ehemaligen Kolonien Mali, Niger, Tschad und Mauretanien – massiv an Einfluss verliert. Wie erklären Sie sich das?

Frankreich ist hier generell unbeliebt. Das hängt mit der Kolonialgeschichte zusammen und auch mit der Zeit danach, da sich Frankreich nie völlig von seinen ehemaligen Kolonien gelöst hat. In allen Ländern blieben lange Zeit noch französische Truppen stationiert und da Frankreich aktiv in die Innenpolitik eingreift, hat man ein riesiges Imageproblem. Die Menschen wollen hier nicht mehr mit Frankreich zusammenarbeiten, ebenso wenig mit den alten Eliten, die zum Beispiel in Mali, Niger oder Burkina Faso an der Macht waren und enge Kontakte zu Frankreich hatten.

Dass jetzt in vielen der Staaten in der Sahelzone Militärregierungen an die Macht gekommen sind, ist auch Antwort auf Forderungen der Straße, weniger mit Frankreich zu kooperieren.

Handelt es sich bei den Militärregierungen also um Nationalisten?

Ja, sie sehen sich als sogenannte Souveränisten, die für ein souveränes Land; für ein souveränes Afrika kämpfen. Das ist auch nicht ganz neu, das war schon nach der Unabhängigkeit in den jeweiligen Ländern so. Mali hatte beispielsweise mal eine nationalistische Phase, in der das Land stark mit der Sowjetunion zusammengearbeitet hat. Dieser Trend kommt jetzt wieder.

Die Sahelzone in Afrika erstreckt sich über die gesamte Breite des Kontinents.
Die Sahelzone in Afrika erstreckt sich über die gesamte Breite des Kontinents.
Karte: cpm / Isabel Potor, Grundlage wikivoyage / Peter Fitzgerald

Natürlich stehen die Länder der Sahelzone alle vor riesigen Problemen. Dabei lenken die Regierungen gerne vom eigenen Versagen ab, indem sie viel mehr auf Frankreich schieben, als angemessen wäre.

Gibt es Parallelen von anderen westlichen Staaten zu Frankreich in der Wahrnehmung der Bevölkerung?

Wenn wir die Briten als Beispiel nehmen, haben sie in den meisten Ländern der Sahelzone keine Truppenkontingente zurückgelassen und sie haben nicht diesen Anspruch, ihre Kultur zu verbreiten, wie die Franzosen mit ihren Kulturinstituten. Der britische Blick auf den Sahel verläuft auf einer nüchternen, kommerziellen Ebene. Man unterhält zwar Handelsbeziehung, mischt sich allerdings nicht so stark in die Politik ein.

Die Franzosen haben sich emotional nie so richtig von ihren Kolonien gelöst.

 

Demgegenüber sind viele Franzosen auch persönlich sehr stark mit den Staaten der Sahel-Zone verbunden. Ich treffe immer wieder Leute, deren Großvater war in Timbuktu oder in den Kolonialkräften als Beamter tätig. Die Franzosen haben sich emotional nie so richtig von ihren Kolonien gelöst und das wird ihnen jetzt zum Verhängnis.

Deutschland war auch Kolonialmacht, aber in anderen Teilen Afrikas. Dennoch ist die Bundeswehr in der Sahelzone aktiv. Aus Mali sind die deutschen Truppen bereits abgezogen, Niger folgt jetzt. Wie sieht es mit dem Deutschland-Bild in den beiden Ländern aus?

In Mali hatte Deutschland immer ein gutes Image, weil die Bundesrepublik das erste Land war, dass Mali nach der Unabhängigkeit 1960 anerkannt hatte. Auch die Bundeswehrmission in Nordmali wurde von den Menschen positiv gesehen; es wurden Arbeitsplätze geschaffen. Immer mal wieder höre ich, dass sich Deutschland weiterhin engagieren soll.

Ein Rettungsteam evakuiert mit einem Mehrzweckhubschrauber NH-90 MedEvac einen Verwundeten in der Nähe von Gao:Mali bei einer Übung zur taktischen Verwundetenversorgung
Ein Rettungsteam evakuiert mit einem Mehrzweckhubschrauber NH-90 MedEvac einen Verwundeten in der Nähe von Gao, Mali bei einer Übung zur taktischen Verwundetenversorgung.
Foto: Bundeswehr / Johannes Müller

Im Niger ist es ähnlich, trotz der zu Ende gehenden Bundeswehrmission geht die bilaterale Zusammenarbeit weiter und das Verhältnis auf militärischer Ebene ist weiterhin gut.

Das klingt nach einem Aber …

Auf der politischen Ebene ist es leider anders. Hier bremst das Auswärtige Amt stark und setzt dem Bundesverteidigungsministerium gewisse Grenzen. Dazu kommt, dass wir seit einem Jahr einen deutschen Botschafter in Niamey haben, der noch nicht akkreditiert ist. Botschafter Dr. Oliver Schnakenberg kam wenige Tage vor dem Putsch in die Sahelzone.

Deutschland hatte sich auf Druck Frankreichs dem Boykott der EU angeschlossen, die neue Militärregierung nicht anzuerkennen. Erst im Februar gab es ein erstes Gespräch, da kam der Leiter der Afrikaabteilung vom Auswärtigen Amt nach Niamey. In diesem Zug wurde wohl vereinbart, langsam wieder die Beziehungen zueinander aufzunehmen.

Das Auswärtige Amt ist sehr stark auf Linie Frankreichs.

 

Gleichzeitig wurde die Bundeswehrmission am Flughafen von Niamey auch auf Druck des Auswärtigen Amts beendet. Im Verteidigungsministerium gab es hingegen Leute, die das Engagement im Sahel weiter fortführen wollten. Das Auswärtige Amt ist jedoch sehr stark auf Linie Frankreichs. Auch die Entwicklungszusammenarbeit wird bis auf humanitäre Hilfe und schon bestehende Projekte sind derzeit auf Eis gelegt.

Deutsche Pioniere bilden malische Soldaten im Rahmen der European Union Training Mission to Mali (EUTM) im Koulikoro Trainingscenter aus.
Deutsche Pioniere bilden malische Soldaten im Rahmen der European Union Training Mission to Mali (EUTM) im Koulikoro Trainingscenter aus.
Foto: Bundeswehr / Andrea Bienert

Man kann es verstehen, dass es man von deutscher Seite skeptisch ist, weil der gestürzte Präsident noch gefangen gehalten wird, aber die Russen haben nicht lange gefackelt und sind schnell mit der Militärregierung in Niger ins Geschäft gekommen.

Die Abkehr von ausländischen Partnern in der Sahelzone betrifft demnach nicht alle Staaten gleichermaßen?

Nein, Russland wird wie gesagt als Ersatz akzeptiert und positiv wahrgenommen. Das liegt womöglich auch daran, dass die Russen bis vor Kurzem nur wenig in Afrika aktiv waren. Sie sind aber bekannt als ein Entwicklungspartner aus Zeiten der Sowjetregierung. Damals haben auch sehr viel Malier und Menschen aus anderen Sahel-Ländern in der Sowjetunion studiert.

Russland inszeniert sich bewusst als nicht-koloniale Kraft.

Man verbindet Russland in der Sahelzone nicht mit Kolonialgeschichte in Afrika und dieser Umstand wird natürlich von russischer Seite stark ausgenutzt, im Zuge von Desinformation und dem Einsatz von Soft Power. Russland inszeniert sich bewusst als nicht-koloniale Kraft und als vermeintlich verlässlicher Partner.

Und das funktioniert?

Ja, die Russen sagen beispielsweise in Niger oder Mali, sie würden die Menschen in der Sahelzone auf Augenhöhe behandeln. Vielleicht haben sie auch einen anderen Umgangston als manche europäische bzw. französische Vertreter. Man spricht gegenüber den Afrikanern davon, ganz anders zu sein und eine echte Partnerschaft zu wollen. Das ist auch nur viel heiße Luft, aber es kommt erst mal ganz gut an, in einem Kontext, in dem sich die Regierung mehr von Frankreich lösen will.

Assimi Goïta, Präsident von Mali, trifft den russischen Präsidenten Wladimir Putin Ende Juli 2023
Assimi Goïta, Präsident von Mali, trifft den russischen Präsidenten Wladimir Putin Ende Juli 2023
Foto: Präsidialamt Russland

Russland kommt vor allem bei jenen Ländern der Sahelzone an, wo es Instabilität gibt, wo Regierungen um ihr Überleben kämpfen; mit Rebellen, Dschihadisten kämpfen und die von Europa, dem Westen nicht das bekommen, was sie haben wollen.

Mali und Burkina Faso wollten stets Waffen haben – Flugzeuge, Hubschrauber – mit denen sie sich gegen Terroristen zur Wehr setzen können. Diesen Wünschen sind wir aus verständlichen Gründen nicht nachgekommen. Es gibt nun einmal zu viele Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern.

Neben Öl und Gas-Exporten war das Geschäft mit der Rüstung immer eine der wichtigsten Exportsparten für Russland.

 

Allerdings ist das wiederum eine Marktlücke für Russland. Neben Öl und Gas-Exporten war das Geschäft mit der Rüstung immer eine der wichtigsten Exportsparten für Russland. Das bietet sich insbesondere bei jenen Sahel-Ländern an, in denen die Regierungen Ausrüstung und Söldner brauchen, um Dschihadisten zu bekämpfen.

Aus genau diesem Grund ist Russland auch weit weniger erfolgreich in den entwickelteren Ländern Afrikas und der Sahelzone wie Senegal oder Kenia. Dort gibt es zwar auch eine Grundstimmung gegen Frankreich, aber längst nicht so stark wie in Mali.

Zwei nigrische Mil Mi-24:35 Kampfhubschrauber Foto wikimedia : Nicolas Pinault
Zwei nigrische Mil Mi-24:35 Kampfhubschrauber aus Russland.
Foto: wikimedia / Nicolas Pinault

Zum passenden russischen Waffenangebot und der Nachfrage der Militärregierungen des Sahels kommt noch ein weiteres Angebot hinzu: Wenn man sich mal die Länder anschaut, in denen Russland aktiv ist – Zentralafrikanische Republik, Mali, Niger, Burkina Faso – das sind ja alles gescheiterte Staaten. Hier bietet Russland auch ein sogenanntes Regime-Survival-Paket an. Der Präsident von Mali hat beispielsweise eine Leibgarde vom „Afrikakorps“, der Nachfolgegruppe von Wagner. In Niger bahnt sich etwas Ähnliches an. Das ist ein Service für Regierungen, die unter politischem Druck stehen.

Lässt sich das russische Engagement in Zahlen ausdrücken?

Russland verkauft in der Sahelzone Hubschrauber und Flugzeuge; Jets, die zum Teil vierzig Jahre alt sind. Zahlenmäßig ist das allerdings überschaubar, was Russland macht.

Das gilt nicht nur für das Material, sondern auch für das Personal. In Mali sind es vielleicht 1.200 Söldner, 100 in Niger und 300 in Burkina Faso. Zum Vergleich: Frankreich hatte mehr als 5.000 Soldaten in Mali stationiert.

Sicherlich hängt es auch damit zusammen, dass Russland in der Ukraine eigentlich jeden Mann braucht. Sie wollen ihr Engagement in der Sahelzone allerdings um jeden Preis fortführen. Da wird es bereits als Erfolg gesehen, dass Russland nicht gezwungen war, Personal aus der Sahelzone abzuziehen. Allerdings glaube ich nicht, dass da noch viel mehr aufgestockt werden kann.

Gibt es neben Russland noch andere Staaten, die den Rückzug Frankreichs zu nutzen wissen?

Die Türkei nutzt ebenfalls den Rückzug des Westens aus. Auch an Mali hat das Land kürzlich Drohnen verkauft; im Tschad soll das ähnlich sein. Es gibt ebenso eine türkische Söldnerfirma im Niger, die mit Söldnern aus Syrien vor Ort ist.

Die nigrischen Spezialkräfte wurden auch von Kampfschwimmern der Bundeswehr ausgebildet.
Die nigrischen Spezialkräfte wurden auch von Kampfschwimmern der Bundeswehr ausgebildet.
Foto: Bundeswehr / KSM

Auch China ist sehr aktiv, wenn es um Infrastrukturprojekte geht. Der Iran hingegen bemüht sich Fuß zu fassen, beispielsweise durch eine iranische Delegation im Niger. Allerdings ist wohl bisher kein größeres Geschäft zum Abschluss gekommen. Man interessiert sich vermutlich für Uran und könnte im Gegenzug Drohnen anbieten.

Wenn Sie abschließend an die Sahelzone in 10 oder 20 Jahren denken: Welche Entwicklungen erwarten Sie und welche Auswirkungen könnten diese auf Deutschland und Europa haben?

Da werden wir eine noch größere Krise vorfinden. Das Durchschnittsalter hier in der Sahelzone liegt bei 15 Jahren. Jede Frau bekommt im Schnitt fünf bis sieben Kinder, dazu ein Staat, der nicht existiert bzw. außerhalb der Hauptstadt nicht existiert, wo sich dann die Dschihadisten breitmachen. Deswegen ist es vielleicht gar nicht so schlecht, die Militärregierungen erst einmal machen zu lassen. Die Erfolge sind noch bescheiden, aber die malische Armee kämpft zumindest ein bisschen mehr als vorher. Vielleicht schaffen sie es noch, die Dschihadisten zu verdrängen.

Es wird hier auf absehbarer Zeit keine Demokratie geben.

 

Man darf sich da auch nichts vormachen, denn die Militärregierungen sind bei der jungen Bevölkerung nicht unbeliebt. Es wird hier auf absehbarer Zeit keine Demokratie geben. Jetzt die Beziehungen einzustellen, wäre auch der falsche Weg, weil dann werden andere die Politik hier machen – wie Russland oder Iran. Das wäre dann auch zu unserem Schaden.

Deutsche Soldaten begleiten die nigerianische Nationalgarde während einer Patrouille in der Region Agadez.
Deutsche Soldaten begleiten die nigerianische Nationalgarde während einer Patrouille in der Region Agadez.
Foto: Bundeswehr / Jana Neumann

Schon jetzt macht sich Russland breit, um dem Westen zu schaden. Wenn es hier in der Sahelzone noch mehr Instabilität gibt – durch mehr Kämpfe von Wagner oder mehr Migration – kommt das sicherlich Moskau ganz gelegen.

Um vielleicht doch nicht ganz so pessimistisch zu enden, was könnte denn Deutschland unternehmen, um Ihre Vision nicht wahrwerden zu lassen?

Zum einen sollten wir die Gesprächskanäle offenhalten. Wir sind als Stiftung auch hier vor Ort, um noch Aktivitäten anzubieten – wir sind weiter hier. Vielleicht ändert sich der politische Wind auch eines Tages.

Und dann müssten wir in Deutschland das Thema Desinformationen in Russland ernster nehmen. Die Russen gehen da sehr professionell vor. Die Medien bestehen hier nicht so wie Deutschland aus seriösen Zeitungen und Fernsehprogrammen, vielmehr informieren sich die meisten Menschen nur von Facebook oder in Whatsapp-Gruppen. Und die werden halt sehr, sehr gezielt bespielt von Russland.

Es gibt beispielsweise eine neue russische Nachrichtenagentur – African Initiative –, die speziell nur auf den afrikanischen Markt und die Sahelzone abzielt, um eben Vorurteile gegenüber dem Westen noch einmal zu verstärken und Russland als Partner anzubieten. Das Thema haben wir bislang ignoriert; wir haben die Russen da machen lassen. Da muss mehr Engagement aus Deutschland kommen, um diese Desinformation zu bekämpfen.

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